Humboldt-Universität zu Berlin

Humboldt-Universität zu Berlin | Über die Universität | Menschen | Ehrungen und Preise | Humboldt-Preis | Preisträgerinnen und Preisträger | Humboldt-Preis 2017 | Morgenländischer Glanz Eine deutsche jüdische Literaturgeschichte (1750-1850)

Morgenländischer Glanz Eine deutsche jüdische Literaturgeschichte (1750-1850)

Kathrin Wittler hat ihr Promotionsstudium an der Humboldt-Universität zu Berlin absolviert. Für ihre Dissertation wurde sie mit dem Sonderpreis „Judentum und Antisemitismus“ des Humboldt-Preises 2017 ausgezeichnet.

Kathrin Wittler
Foto: privat

Zusammenfassung

Die Jahrzehnte um 1800 sind aus unterschiedlichen Blickwinkeln als eine Zeit epistemischer, sozialer, semantischer und kultureller Umbrüche beschrieben worden. Die Genese der deutschen jüdischen Literatur allerdings hat man bislang nicht in diesen – im doppelten Wortsinn epochalen – Zusammenhang gestellt und auf ihre Bedeutung hin befragt. Eben dies unternehme ich in der Arbeit Morgenländischer Glanz. Eine deutsche jüdische Literaturgeschichte. Einen weiten Bogen von Moses Mendelssohn und Naphtali Herz Wessely bis zu Heinrich Heine und Fanny Lewald spannend, erschließe ich die Möglichkeits- und Rezeptionsbedingungen sowie die Aussagemodi und Darstellungsformen deutscher jüdischer Literatur im Zeitraum von ca. 1750 bis 1850.

Ich rekonstruiere eine einzigartige Konstellation, die sich aus den Interferenzen zwischen drei Suchbewegungen ergibt: dem Ringen um eine deutsche Nationalkultur im Kontext langwieriger Staatenbildung, der Gestaltung eines modernen jüdischen Traditionsverhältnisses im Zeitalter der Emanzipation, und der Ausprägung eines stark bibel- und literaturbezogenen Orientalismus im deutschsprachigen Raum. Damit rücken erstmals die spannungsreichen Wechselverhältnisse zwischen deutschen, jüdischen und orientalistischen Aspekten der Literaturgeschichte um 1800 in den Blick. Die Arbeit bietet im Ergebnis allen drei beteiligten Fachdisziplinen – der Germanistik, der Judaistik und der Orientalistik – neue Perspektiven und fordert dazu auf, innerfachlich kultivierte und vermeintlich selbstverständliche Vorannahmen mithilfe eines gesteigerten (literatur)historischen und transdisziplinären Komplexitätsbewusstseins zu überprüfen.

Die deutsche jüdische Literatur verdankt sich, so das Ergebnis, erstens der neuzeitlichen Umordnung des Gattungssystems, zweitens der individuellen wie nationalkulturellen Emphatisierung von Stilzuschreibungen und drittens einem komplexen Zusammenspiel verschie-dener Sprachen und Schriften. Als entscheidend für das Verständnis dieser Prozesse erweist sich der Diskurshorizont des Orientalismus. Denn dieser strukturiert die reformerische Dynamik von Traditionsbruch und Traditionsstiftung, die zu dieser Zeit jüdisches Leben umfassend verändert.

Der Orientalismus dient, so die These, als ein Instrument, um die vielbeschworene Entfremdung von der ‚jüdischen Tradition‘ als eine gezielte Verfremdung zu gestalten, durch die überhaupt erst eine ‚jüdische Tradition‘ als solche greifbar und attraktiv gemacht werden kann. In vielen der untersuchten Texte verneinen jüdische Autorinnen und Autoren eine Zugehörigkeit zum Orient, indem sie umso facettenreicher mit literarischen Mitteln ihre Bezogenheit auf bestimmte Zeit-Räume des Morgenlands gestalten. Orientalistische (Selbst) Zuschreibungen dienen ihnen dazu, der europäischen Gegenwart jüdischen Lebens und Schreibens morgenländischen Glanz zu verleihen.