Verdrängung der Wohnbevölkerung auf angespannten Wohnungsmärkten am Beispiel von Berlin
Zusammenfassung
Vor dem Hintergrund einer zunehmenden Anspannung der Wohnungsmärkte in Großstädten durch ein seit etwa Mitte der 2000er Jahre zu verzeichnendes Städtewachstum steht die Frage nach einer Verdrängung alteingesessenen Bewohner_innen vermehrt im Fokus stadtpolitischer Debatten. Zu Ausmaß und Folgen von Verdrängung gibt es wenig belastbare Zahlen. Die vorliegende Dissertation will diese Forschungslücke schließen und die Verdrängung der Mietwohnbevölkerung auf einem angespannten Wohnungsmarkt empirisch untersuchen. Die Arbeit quantifiziert das Phänomen der Verdrängung, liefert tiefergehende Kenntnisse über Verdrängungsprozesse und die Wohnstandortentscheidungen von Verdrängten und untersucht die Folgen der Verdrängung für die Betroffenen. Die Arbeit bedient sich Ansätzen und Ergebnissen bisheriger Forschung zu Verdrängung, die das Phänomen überwiegend im Kontext von Gentrifizierung untersuchen und bezieht Erkenntnisse aus der Wanderungsforschung über Entscheidungsprozesse von Haushalten vor Umzügen mit ein. Die Forschung wird aus einer handlungstheoretischen Perspektive durchgeführt, nach der Haushalte eine bewusste Entscheidung für einen Umzug treffen.
Als Fallbeispiel für einen angespannten Wohnungsmarkt dient Berlin. Innerhalb der Stadt stehen die Bezirke Friedrichshain-Kreuzberg und Mitte als potentielle Verdrängungsorte im Fokus. Die zwischen 2013 und 2015 umgezogenen Personen werden über eine zufällig aus dem Melderegister gezogene Stichprobe ermittelt und standardisiert befragt. Über die so ermittelten Umzugsgründe wird Verdrängung operationalisiert.
Die Studie führt zu der Erkenntnis, dass 15,4 Prozent der untersuchten Umzügler_innen verdrängt sind. Am häufigsten werden sie durch Mieterhöhungen, z.B. als Folge baulicher Aufwertungen, verdrängt. Neben Verdrängungsauslösern haben auch andere Gründe (z.B. der Wunsch nach einer größeren Wohnung) zu den Umzugsentscheidungen der Befragten beigetragen. Verdrängungsauslöser gehen zwar mit einem Gefühl an Unfreiwilligkeit einher, aber durch das gemeinsame Auftreten von Verdrängungsauslösern und anderen Umzugsgründen werden die Umzüge von den Verdrängten als eher freiwillig bewertet. Eine erhöhte Vulnerabilität für Verdrängung haben Einkommensschwache, Ältere, Alleinerziehende und Umzügler_innen mit einem niedrigen Bildungsabschluss.
Entscheidender als diese soziodemographischen Merkmale scheinen die Eigentumsverhältnisse der Mietwohnungen zu sein, aus denen die Umzügler_innen verdrängt werden. Am häufigsten verdrängen private Kleinanbieter_innen und privatwirtschaftliche Wohnungsunternehmen. Kleinräumig sind unterschiedliche Verdrängungsraten innerhalb des Untersuchungsraums festzustellen, die sich aber nicht auf räumliche Merkmale wie die Bebauungsstruktur, den soziale Status oder die soziale Dynamik zurückführen lassen. Verdrängten gelingt es überwiegend, ihre räumlichen Wohnwünsche zu realisieren und nahräumlich umzuziehen. Kosten für Wohnraum stellen bei der Suche eine wesentliche Restriktion dar. Während ihrer Wohnungssuche – wie auch im gesamten Prozess von den ersten Gedanken an einen Umzug bis hin zum Einzug in die neue Wohnung – sind Verdrängte sehr hohen Belastungen ausgesetzt. Verdrängte können zwar ihre Wohnsituation und Wohnzufriedenheit leicht verbessern, ohne jedoch das Niveau der nicht Verdrängten zu erreichen. Zudem müssen viele Verdrängte nach dem Umzug hohe Mietbelastungsquoten in Kauf nehmen.