Humboldt-Universität zu Berlin

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„„Rassistische und fremdenfeindliche Gewalttaten in Deutschland im Kontext internationalen und europäischen Rechts – Die Aufdeckung des NSU als Wendepunkt: Eine Analyse der juristischen Verarbeitung menschenverachtender Motive im Wandel der Zeit“

Dr. Julia von Eitzen wurde für ihre Dissertation an der Juristischen Fakultät mit dem Sonderpreis „Judentum und Antisemitismus“ ausgezeichnet.

Zusammenfassung

In dem Titel der Dissertation kommt dem Wort „Wendepunkt“ eine besondere Bedeutung zu. Es zeigt eine Zäsur an, die die Aufdeckung der Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ am 4.11.2011 und die anschließende politische Aufarbeitung, vor allem durch die Arbeit des NSU-Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages, zweifelsohne darstellt. Der daraus erwachsene politische Wille, weitreichende – wenn auch nicht ausreichende – Veränderungen der relevanten Gesetze, Verwaltungsanweisungen und Strafverfolgungsstrukturen vorzunehmen, mündete im „Gesetz zur Umsetzung der Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses“, welches als „Herzstück“ dieser Reformen bezeichnet werden kann und nach jahrelangem politischen Ringen „rassistische, fremdenfeindliche oder sonstige menschenverachtende“ Beweggründe und Ziele des Täters als strafschärfende Faktoren explizit in das StGB einführte. Die Überprüfung der Wirksamkeit, Effektivität und Praxistauglichkeit der vielschichtigen Reformmaßnahmen vor dem Hintergrund der Feststellungen und Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses und im Lichte des U.S.-amerikanischen „Hate Crime“ Konzepts bilden einen Schwerpunkt in der vorgelegten Dissertation.

Die Analyse der juristischen Verarbeitung identitätsbezogener Gewalttaten im Wandel der Zeit hat gezeigt, dass sich seit Entstehung der Bundesrepublik Deutschland viel zum Positiven verändert hat. Ein besonderes Augenmerkt wurde dabei auf die Aufarbeitung der vor allem rassistischen Tatmotive der schweren Verbrechen an Juden und anderen Menschen während des Nationalsozialismus gerichtet, welche die Verortung rassistischer Motive als niedrige Beweggründe im Mordtatbestand § 211 StGB etablierte. Andererseits erschienen jedoch viele Urteile äußerst kritikwürdig, wenn beispielsweise eine feste rassistische Gesinnung und Verankerung in der nationalsozialistischen Struktur zu Strafmilderungen führten. Darüber hinaus beleucht die Arbeit die juristische Aufarbeitung der Brandanschläge auf Asylbewerberheime in Rostock-Lichtenhagen, Mölln, Solingen und andere Übergriffe in den 1990er Jahren, die einen schrecklichen „Höhepunkt“ fremdenfeindlicher Ausschreitungen in jüngerer Zeit darstellten. Der Umgang hiermit brachte der Bundesrepublik harsche und nachhaltige Kritik von internationalen und europäischen Institutionen im Hinblick auf die zum großen Teil bindenden Vorgaben des Europa- und Völkerrechts ein, deren Konzeption und Effektivität als internationale Rechtsinstrumente ebenfalls eingehend begutachtet werden.

Die Untersuchung konnte vor allem hervorheben, dass nur ein Zusammenspiel verschiedener Maßnahmen und deren enge Verzahnung auf den unterschiedlichen Ebenen der in den Prozess involvierten Behörden eine wirksame Strafverfolgung identitätsbezogener Gewalttaten ermöglicht. Auch wenn die NSU-Reformen als Meilenstein bezeichnet werden können, ist eine stetige Weiterentwicklung einer nachhaltigen und effektiven gesamtstaatlichen Begegnung dieses Phänomenbereiches dringend erforderlich, was nicht zuletzt die traurige Aktualität jüngster Entwicklungen beweist, wie die fremdenfeindlichen Übergriffe im Rahmen der sogenannten Flüchtlingskrise in den Jahren 2015 und 2016, der Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke im Juni 2019, der versuchte Terroranschlag auf die Synagoge in Halle im Oktober 2019 sowie der rechtsextremistische Anschlag in Hanau im Februar 2020, dem neun Menschen zum Opfer fielen.