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„redefine, expand, and revise“ – Das Feminist Art Program, Womanhouse (1972) und die Pop Art im Los Angeles der 1960er Jahre

Für ihre Bachelorarbeit am Institut für Kunst- und Bildgeschichte Humboldt-Universität zu Berlin wurde Hanna Steinert mit dem Humboldt-Preis 2020 ausgezeichnet.

Meine Bachelorarbeit untersucht das Feminist Art Program (FAP), das von der Künstlerin Judy Chicago als erstes feministisches Ausbildungsprogramm für Künstlerinnen im Jahre 1970 am Fresno State College gegründet und ein Jahr später in Zusammenarbeit mit der Künstlerin Miriam Schapiro am California Institute of the Arts (CalArts) in Los Angeles fortgesetzt wurde, im Kontext der damaligen Kunstszene. Dabei wird die erste öffentliche Ausstellung des FAP, Womanhouse (1972), bei der ein Wohnhaus mitten in Los Angeles als Ausstellungsort und -gegenstand zugleich diente, vor dem Hintergrund der sich in den 1960er Jahren etablierenden und von der Pop Art geprägten L.A.-Kunstszene betrachtet.

Dank meines durch das Getty Research Institute geförderten Forschungsaufenthalts in Los Angeles hatte ich Zugang zu bislang unveröffentlichtem Material wie z.B. dem Künstlerinnenarchiv der FAP-Künstlerin Faith Wilding und dem FAP-Archiv am CalArts. In der kunsthistorischen Forschung wird das FAP und Womanhouse hauptsächlich innerhalb jener Geschichtsschreibung von feministischer Kunst rezipiert, die das Projekt und die Ausstellung einer ersten Generation naiv-essentialistischer Positionen zuordnet, die Ende der 1970er Jahre durch eine zweite, theoretisch bewandertere Generation von Künstlerinnen abgelöst wird. Der Vorwurf, mit essentialisierenden Geschlechtsbildern zu argumentieren, wurde im Zuge der Entwicklungen feministischer Theorien und ihrer Implikationen für die kunsthistorische Forschung zu einem Ausschlusskriterium für eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Kunstwerken der ersten Generation feministischer Künstlerinnen, wie dem FAP und Womanhouse. Obwohl dieses Generationennarrativ heute als veraltet gilt und viele feministische Kunstwerke erneute und erweiterte Betrachtungen erfahren, ist die Diskussion weiterhin auf feministische Inhalte und weniger auf künstlerische Gehalte sowie ihre historische Verortung in einem ganz spezifischen Kontext fokussiert.

Auf dieser Forschungsgrundlage nimmt meine Arbeit eine Kontextverschiebung vor, indem sie das FAP und Womanhouse vor dem Hintergrund der L.A.-Kunstszene betrachtet und damit den Schwerpunkt auf die künstlerischen Ausdrucksformen lenkt. Die durch die Pop Art geprägte Kunstszene hatte sich der südkalifornischen Surf- und Autokultur verschrieben und nutzte ihre Selbstdarstellung als Strategie zur Kunstvermarktung, wodurch sie insbesondere für Künstlerinnen Ausschlussmechanismen schuf. Auch die in Los Angeles ausgestellten Pop-Kunstwerke schlossen mit ihrer Reproduktion von medial vermittelten Stereotypen weiblicher Körper und Konsumkultur Perspektiven weiblicher Wahrnehmungen und Erfahrungen der US-amerikanischen Nachkriegsgesellschaft aus. Vor dieser Folie wird die politische Dimension des FAP und von Womanhouse deutlich. Als umfassendes, ausschließlich für Frauen vorgesehenes Professionalisierungsprogramm strebte das FAP an, ein feministisches Bewusstsein unter den Teilnehmerinnen zu schaffen, auf dessen Grundlage die individuellen Erfahrungen der Künstlerinnen zum Gegenstand ihrer Kunstwerke werden sollten. Dabei befassten sich die Studentinnen auch mit der Recherche von weiblichen künstlerischen Vorbildern und etablierten somit eine alternative Kunstgeschichte.

Im Archiv des CalArts entdeckte ich, dass sich unter den recherchierten Künstlerinnen auch Pop-Künstlerinnen befanden, die den FAP-Künstlerinnen einen anschlussfähigeren künstlerischen Zugang zur Populärkultur boten als ihre männlichen Kollegen. In der Ausstellung Womanhouse finden die Aktivitäten des FAP ihre künstlerische Umsetzung. Im als Ausstellungsort und -gegenstand fungierenden Wohnhaus werden die von der Pop Art übernommenen Motive zurück in ihre alltägliche Umgebung überführt und in Environments und Performances für feministische Diskurse um das Häusliche und (Haus-)Arbeit sowie den damit zusammenhängenden Rollenbildern aktiviert. Die Arbeit integriert feministische Kunst und Kunstgeschichte in ihren spezifischen historischen Kontext anstatt sie weiterhin als ein Parallelphänomen zu behandeln und möchte damit – im Sinne des Titels – zu einer grundlegenden Revision des Faches Kunstgeschichte beitragen.