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Heaven on their minds. Zur ‚vernünftigen‘ Epistemologie des Jenseitswissens in der Aufklärung

Für ihre Bachelorarbeit am Institut für Geschichtswissenschaften wurde Lavinia Gambini mit dem Humboldt-Preis 2021 ausgezeichnet.

Die neuere Aufklärungsforschung beschäftigt sich zunehmend mit der Frage, wie eine genaue Betrachtung der Erzeugung von aufgeklärtem Wissen das geläufige Bild einer ‚modernen‘ und ‚säkularen‘ Aufklärung revidieren kann. Aufklärer bedienten sich einer Vielzahl an Wissensquellen, die außerhalb des Kanons einer ‚modernen‘ Aufklärung fallen: Sie griffen auf antike, esoterische und christliche Quellen zurück und fragten nach dem Okkulten und Überirdischen. 

Die von Lavinia Gambini vorgelegte Bachelorarbeit beschäftigt sich mit der Frage, wie Aufklärer versuchten, ‚unsicheres‘ Wissen über das Jenseits, auf einer wissenschaftlich geprüften Weise zu erlangen. Die Arbeit zeigt, dass Aufklärer nicht zwingend ihrer Vernunft Grenzen setzten und sich das Erlangen von metaphysischem Wissen vorenthalten wollten; im Gegenteil, häufig versuchten sie, die bislang postulierten Grenzen des erreichbaren Wissens zu überwinden. Ausgehend von den ‚frühaufgeklärten‘ Kreisen der englischen ‚New Science‘ bis hin zur aufklärerischen Biologie umreißt die Arbeit drei solcher Methoden der Wissensgenerierung über das Jenseits. Anstelle der berühmteren ‚Radikalaufklärer‘, werden hier drei ‚gemäßigte‘ Aufklärer in den Blick genommen, nämlich der Naturphilosoph Thomas Burnet (1635–1715), derMathematiker William Whiston (1667–1752) und der Biologen Charles Bonnet (1720–1793). Durch eine kleinteilige Betrachtung der Hauptwerke dieser Autoren rekonstruiert die Bachelorarbeit die jeweils angewendeten Methoden und Quellen für die Erlangung von Jenseitswissen. Dabei wird auf drei Methoden der Wissenserlangung geschlossen, nämlich einer exegetisch-hermetischen, einer deduktiv-probabilistischen und schließlich einer anthropologisch-psychologischen. Während sich Burnet auf biblische Exegese und ‚orientalisches‘ Geheimwissen berief, bediente sich Whiston der Wahrscheinlichkeitsrechnung und der Newton’schen Kometentheorie. Beide Autoren wollten bestimmen, wie das Ende der Welt (so wie wir sie heute kennen) herbeigerufen und ein paradiesisches Jenseits erschaffen werden würde. Bonnet berief sich dagegen auf biologische Theorien, um aufzuzeigen, wie durch eine Seelenwanderung der Mensch im Jenseits den Sitz Gottes erreichen könne. Die Arbeit siedelt sich somit an der Schnittstelle zwischen Philosophie-, Religions-, Ideen- und Wissenschaftsgeschichte an, fragt aber auch danach, was es hieß, sich als Aufklärer mit dem Jenseits auseinanderzusetzen. Dadurch bietet sie relevante Ergebnisse für eine sozial- und kulturgeschichtlich interessierte Aufklärungsforschung. Es wird gezeigt, dass Burnet, Whiston und Bonnet sich nicht ‚am Rande‘ der Aufklärung befanden, sondern zu einem aufgeklärten Mainstream gehörten, der metaphysisches Wissen allgemein zugänglich machen wollte. Ihre Beschäftigung mit dem Jenseits brachte den drei Autoren soziales Prestige ein und verwickelte sie in die prominentesten wissenschaftlichen Diskussionen ihrer Zeit. In der gemäßigten Aufklärung war das Suchen nach Jenseitswissen eine konsensfähige und plausible Beschäftigung.