Die Metrik des Mahābhārata - Eine automatische Analyse der Anustubh-Strophe
Das Mahābhārata-Epos ist das längste Gedicht, das je geschrieben wurde. Seine
anhaltende Bedeutung für die hinduistische Mythologie und Religion ist nicht zu
überschätzen. Es ist zum großen Teil im Anuṣṭubh-Versmaß verfasst, dem
zentralen Versmaß der indischen Literatur, das wohl das meistverwendete Metrum
aller Zeiten sein dürfte.
Ziel meiner Bachelorarbeit war es, die Eigenschaften dieses Versmaßes
quantitativ exakt zu beschreiben. Im Gegensatz zu vorigen Untersuchungen mit
diesem Ziel stützt sich meine Arbeit auf alle 150.000 Anuṣṭubh-Verse, aus denen
die metrische Analyse vollautomatisch und reproduzierbar abgeleitet wird. Allen
verwendeten Code und seine Ergebnisse stelle ich nachhaltig online zur
Verfügung.
Die Analyse geht von der maßgeblichen digitalen Edition des Mahābhārata aus und
verwendet Methoden aus der Data Science. Dabei arbeite ich mit einem von mir
entwickelten Algorithmus, der vom geschriebenen Text eindeutig auf die
metrische Gestalt – die Verteilung von Längen und Kürzen – eines Verses
schließen kann.
Es zeigt sich, dass die Verse dieses über viele Jahrhunderte gewachsenen Texts
hochgradig regulär sind: Nur einige hundert Verse (0,2%) verstoßen grob gegen
die Grundregeln des Versmaßes. In den verbleibenden Versen werden unter
Anwendung statistischer Methoden Muster sichtbar, die Parallelen zu der anderen
in großem Umfang belegten indogermanischen Metriktradition haben: der
homerisch-griechischen. Andere, in der Forschung zuvor bereits vermutete
Eigenschaften des Versmaßes finden nun quantitative Unterstützung. Einige
Ergebnisse werfen weitere Fragen für die indische Vers-Forschung auf.
Weiterführende Untersuchungen, beispielsweise zur zeitlichen Stratifizierung
des Textes und zum Alter des berühmtesten Abschnitts des Mahābhārata, der
Bhagavad-Gītā, können sich fortan auf ein Korpus robuster metrischer Daten
stützen.
Die Anwendung meines Programms ist zudem nicht auf das Mahābhārata beschränkt.
Mit geringen Anpassungen lässt sich die gesamte digital vorliegende altindische
Literatur metrisch analysieren, mit ein wenig mehr Anpassungen Verstexte der
gesamten indogermanischen und außerindogermanischen Literatur. So leistet meine
Arbeit einen Beitrag zur historisch-vergleichenden Vers-Forschung und zur
quantitativen Metrik im Allgemeinen.