„‚Rettung des Weltklimas aus dem Geiste der deutschen Ode‘? Marion Poschmann und Friedrich Gottlieb Klopstock“
In der Gegenwartslyrik ist der Klimawandel präsent, verändert sich doch mit der Natur auch die Umwelt der Dichtung. Angesichts seines zerstörerischen Potentials werden gesellschaftspolitische Fragen virulent, die nicht zuletzt die Rolle der Literatur betreffen. Fand die Ökokritik in den 1970er Jahren Einzug in Gedichte, die mit aktivistischen Forderungen Hoffnung auf politische Einflussnahme verbanden, bildete sich seit der Jahrtausendwende eine subtilere Form ökologisch bewusster Naturlyrik aus. Eine zentrale Akteurin derselben ist Marion Poschmann, erste Preisträgerin des Deutschen Preises für Nature Writing. In ihrem lyrischen Schaffen trägt besonders die Form der Ode eine ökokritische Semantik. Im Spiel mit der bis in die Antike zurückreichenden Gattungsgeschichte und ihrer für den deutschen Sprachraum wirkmächtigen Prägung durch Friedrich Gottlieb Klopstock fokussieren Poschmanns Oden die ökologischen Zukunftsfragen der Gegenwart durch das Brennglas historischer Reflexion.
»Langsam wandelt / die schwarze Wolke.« – Die dialektische Spannung aus Friedrich Gottlieb Klopstocks berühmter Ode Frühlingsfeyer ist Marion Poschmanns Gedichtband Nimbus als Motto eingeschrieben, das die Vorzeichen für eine klimabewusste, zugleich historisch-reflektierte Lyrik setzt. Poschmanns Programm einer »Revitalisierung der Ode«, die den Menschen des 21. Jahrhunderts für ein empathisches Naturverständnis sensibilisieren soll, knüpft an Klopstocks subjektive Gefühlspoetik an, die in innovativen Experimenten mit der Odenform – von strengen antiken Strophen bis hin zu freien Rhythmen – ihre Ausprägung fand. An Klopstocks Frühlingsfeyer und ihrer Textgenese lassen sichgleichermaßen werkpolitische, ästhetische und poetologische Ideen neu beleuchten. Die metrische und strukturelle Analyse stellt eine Orientierung an horazischen und pindarischen Mustern heraus und gibt Aufschluss über formsemantische Merkmale, die für Poschmanns Klopstock-Rezeption von besonderer Relevanz sind.
Ein Close Reading ausgewählter Oden zeigt, dass Marion Poschmann die Gattungsentwicklung bei Klopstock durch intertextuelle und metrische Referenzen nachvollzieht und die Variabilität der Form in eigenen Experimenten produktiv macht. Beginnend mit antiken Oden nach der Natur und rekombinierten Strophen der Badeoden, zeigt sich das freirhythmische Gedicht Wolkenportale als ökokritische Aktualisierung der Frühlingsfeyer, während die Autorin in Ordnungen der Wildnis mit geordnet wuchernden sapphischen Odenversen zu einer neuen ökologischen Form der Ode findet. Die Dimensionen von Ökokritik und Formexperiment bedingen sich gegenseitig; gerade ob der Verkopplung von historischer Signatur und großem Potential für formale Aktualisierungen erweist sich die Ode als paradigmatische Gattung reflektierter Neuschöpfungen. Die gattungsgeschichtliche und formsemantische Perspektivierung von Poschmanns Oden erweitert den aktuellen Forschungsdiskurs über zeitgenössische ökokritische Lyrik und unterstreicht die fortwährende Bedeutung von Literatur als Medium gesellschaftlicher Reflexion.