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Die Attikaskulpturen auf dem Hauptgebäude der Humboldt-Universität. Zur Würdigung und Bewahrung einer Zeitschicht

von Prof. Dr. Kai Kappel und Prof. Dr.-Ing. Dr. Sabine Kunst (Humboldt-Universität zu Berlin)

Dankenswerterweise ergibt sich durch das Engagement des Stadt Forums Potsdam erneut die Möglichkeit, die Positionen der Humboldt-Universität (HU) zum Thema darzulegen, wobei die Anregungen und Ergebnisse unseres Berliner Kolloquiums vom 21. Oktober 2016 hier unmittelbar einfließen.

Die Attikaskulpturen auf den südlichen Kopfbauten des West- und Ostflügels der Humboldt-Universität haben eine „erste Geschichte“: Diese begann Mitte des 18. Jahrhunderts äußerst repräsentativ, auf dem Dach des friderizianischen Stadtschlosses von Potsdam. Nach der Zäsur des Zweiten Weltkrieges setzte sie sich in Notbergungen aus dem zum Abbruch freigegebenen Bau und in einer interimistischen gartenkünstlerischen Aufstellung in einem Skulpturenrondell fort. Die „zweite Geschichte“ dieser Skulpturen umfasst nunmehr 50 Jahre auf dem Dach der Humboldt-Universität.

Dieses substanziell 1748–53 entstandene Gebäude diente zunächst als Palais des Prinzen Heinrich. Es geht wahrscheinlich auf Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff zurück, wurde von Friedrich II. überplant und schließlich von Johann Boumann d. Ä. ausgeführt. Die dort zunächst befindlichen Attikaskulpturen waren von den Bildhauern Johann Peter Benckert und Johann Mathias Gottlieb Heymüller geschaffen worden. Das Skulpturenprogramm, gestenreich interagierende Götter- und Heroenpaare, bezog sich auf Ovids Metamorphosen (einer der Lieblingslektüren Friedrichs II.) und spielte auf die Hochzeit des Hausherrn an. Gemeinsam mit den verwandten Figuren des Opernhauses und der Königlichen Bibliothek bildeten diese Skulpturen eine verlebendigte Dachlandschaft rund um das erdachte Forum Fridericianum.

Nach den schweren Zerstörungen der Jahre 1943, 1944 und 1945 stand von den einstmals 14 figürlichen Skulpturen auf dem Universitätsgebäude allein Jason am Platz. Seit 1951–53 gab es Bemühungen, für die Attikazonen des HU-Hauptgebäudes Kopien in Potsdam anzufertigen oder aber historische Skulpturen von der Dresdner Hofkirche oder vom Berliner Stadtschloss zu erhalten. Die Universität lehnte dies 1953 als wesensfremd zur damaligen Welt ab und forderte nicht zuletzt eine Verbindung der Wissenschaft mit den werktätigen Menschen. Doch auch die bereits 1951/52 entstandenen Entwürfe für zeitgenössische Skulpturen von Waldemar Grzimek und Fritz Koelle vermochten nicht zu überzeugen (es handelte sich um 14 Modelle à 30 cm Höhe; Fotografien davon wurden jüngst von Prof. Dr. Kerstin Wittmann-Englert präsentiert). Schließlich kam es 1955 im Zuge des Aufbaues der Humboldt-Universität zu einer Aufstellung der verlorenen sechs Attikaskulpturen des Mittelrisalits in Form von Kopien. Diese Figuren waren 1953–54 in der Dresdner Zwingerbauhütte allein auf der Grundlage historischer Fotografien angefertigt worden. Die Resonanz darauf war nicht einhellig positiv. 1958 wurde vom Institut für Denkmalpflege entschieden, für die Attikaskulpturen der Kopfbauten von derartigen Rekonstruktionen abzusehen.

Was die Risalite der beiden Kopfbauten des HU-Hauptgebäudes betraf, war zunächst geplant, von den etwas kleineren Attikaskulpturen des vormaligen Potsdamer Stadtschlosses leicht vergrößerte Kopien zu fertigen; schließlich entschied man sich für eine Translozierung dieser Skulpturen selbst. Diese waren nach der politisch motivierten Preisgabe dieses gleichsam friderizianisch geprägten Potsdamer Schlosses mühevoll geborgen und teilweise zu einem Skulpturenrondell gestaltet worden. 1967 gelangten acht von ihnen auch und gerade auf Initiative des Berliner Instituts für Denkmalpflege als eine Dauerleihgabe der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten (SPSG) auf die Attiken der beiden Kopfbauten des HU-Hauptgebäudes. Die Schöpfer der Skulpturen waren Johann Georg (oder Gottlieb) Heymüller und Leonhard Storch. Diese Maßnahme fand als eine geschichtsbewusste, auch in den stilistischen Details überzeugende Lösung Gefallen. Die anfänglich monierten Größenunterschiede zwischen den Skulpturen des Mittelrisalits und der Kopfbauten stellte man dabei hintan – aus Sicht der Verfasser nicht zuletzt deswegen, weil es kaum möglich ist, die beiden Skulpturengruppen aus einer Perspektive vergleichend zu erfassen. Evident ist ein politischer Zusammenhang zwischen dem Aufbau der Humboldt-Universität (die sich in der Nachkriegszeit erheblicher Konkurrenz in Westberlin gegenübersah), des Boulevards Unter den Linden und des Forum Fridericianum in Hinblick auf die damals anstehende 20-Jahrfeier der DDR.

Wie es uns die historischen Quellen berichten, handelte es sich bei der Translozierung der Skulpturen vom Potsdamer Skulpturendepot beziehungsweise vom dortigen Skulpturenrondell auf das HU-Hauptgebäude im Jahre 1967 um ein bewusstes, historisch wie kunsthistorisch sensibles Agieren der damaligen Akteure im Institut für Denkmalpflege und in der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten. Gemeinsam fühlten sie sich einem bestmöglichen Substanzerhalt und einer geschichtsbezogenen Weiternutzung dieses Kulturerbes verpflichtet. Dieses Agieren impliziert, dass es sich bei dem Nationalsozialismus und den durch ihn ausgelösten gewaltigen Kriegszerstörungen eben nicht um einen möglichst ungeschehen zu machenden Betriebsunfall der Geschichte handelt. Zugleich ist das Wirken dieser Kolleginnen und Kollegen eine durchaus widerständige Reaktion auf die unbeschreibliche Ignoranz der damaligen Potsdamer Stadtverordneten, die das von der Denkmalpflege als weitgehend standsicher bezeichnete Potsdamer Stadtschloss dennoch, aus weltanschaulich-politischen Gründen, der Vernichtung preisgegeben hatten. Dass es sich bei den erhaltenen Skulpturen vom Dach des Potsdamer Stadtschlosses und jenen verlorenen des HU-Hauptgebäudes um Zeugnisse ein und derselben Epoche handelte (entstanden in den Jahren um 1750, jeweils Artefakte der friderizianischen Bau- und Hofkultur), war für die damaligen Akteure ebenfalls wichtig. Am 11. Mai 1966 heißt es wörtlich: „Es ist ein außerordentlich glücklicher Umstand, daß hier im Vergleich zu den verlorenen Originalen fast gleichzeitige Arbeiten, teilweise von den gleichen Künstlern, erhalten sind. Demgegenüber dürften die ikonographischen Unterschiede, die sich ohnehin nicht genau fassen lassen, keine Rolle spielen. Die getroffene Auswahl der Figurenpaare berücksichtigt nach Möglichkeit die ursprünglichen Zusammenhänge […]. Der Bedeutung des Bauwerkes, seiner bevorzugten Lage an der Straße Unter den Linden und seiner traditionellen Nutzung als Universität glauben wir, allein mit der Aufstellung der originalen Figuren vom Potsdamer Stadtschloß entsprechen zu können.“[i] Von politischen Zwängen bei der Durchführung, von einem einstweiligen Provisorium, von einer späteren Respoliation ist in den damaligen, die Translozierung betreffenden historischen Dokumenten nicht die Rede.

Wie ist die Position der HU zu den Attikaskulpturen? Welche Optionen für einen künftigen konservierenden Umgang mit diesen Skulpturen sehen wir? Substanziell eine einzige. Es besteht Konsens zwischen dem Berliner Landesdenkmalamt, dem Wissenschaftlichen Beirat der SPSG und der Humboldt-Universität, dass die Skulpturen zeitnah einer sichernden Untersuchung und, wo erforderlich, einer Restaurierung zu unterziehen sind (hierzu werden 2017/18 erste Schritte erfolgen). Wie es die bereits vorliegenden, ausführlichen Gutachten ausdrücken, geht es insbesondere um eine Überprüfung der Standfestigkeit, die problematischen Anschlüsse zwischen dem Sandstein und den eisernen Blitzableitern sowie die Steinoberflächen (stark angegriffen ist insbesondere Figur 4 des Westflügels). Für diese Untersuchungen und Restaurierungen ist die Humboldt-Universität bereit, gemeinsam mit den genannten Partnern aktiv die erforderlichen Mittel einzuwerben. Unser aller Ziel ist der Bestandserhalt der heute erreichten Anordnung der Skulpturen auf dem Dach des HU-Hauptgebäudes. Eine Abnahme der Skulpturen und ihre Verwendung im Kontext einer musealen Präsentation (so die hierfür wichtigen Gedankengänge von Dr. Angelika Keune auf dem Berliner Kolloquium) sind dabei lediglich ultima ratio. Dieser Fall ist in absehbarer Zeit nicht gegeben, wenn, so die vorliegenden Gutachten, die Skulpturen einem sachgerechten Monitoring und einer partiellen Restaurierung unterzogen werden. Es ist uns wichtig, die vorhandenen Skulpturen als letzten historisch gewachsenen Zustand wertzuschätzen und für die kommenden Generationen zu bewahren. Dies schließt ausdrücklich historisierende Rückgriffe auf frühere Zustände aus (beispielsweise Rekonstruktionen der 1945 verlorenen Götterpaare auf den Seitenrisaliten durch Nachschöpfungen nach Fotografien).

Aus heutiger Sicht handelt es sich zweifelsfrei um Zeugnisse von herausragender kultureller und historischer Bedeutung. Gemeinsam mit der Staatlichen Denkmalpflege sind wir der Auffassung, dass nicht der vermeintlich historische “Urzustand“, sondern ein Bauwerk mit allen seinen historischen Einschreibungen, seinem Alterswert, für uns und die nachfolgenden Generationen einen Zeugniswert besitzt. Ungeachtet der derzeit zunehmenden Infragestellung des Echtheits- und Authentizitätsbegriffes, ungeachtet der Diskussionen über ein auch immaterielles Kulturerbe, ungeachtet der zunehmenden Zahl von Rekonstruktionen als Indikatoren eines tief sitzenden Unbehagens an der Moderne tritt die Humboldt-Universität für die vorurteilsfreie Erforschung, sichtbare Präsentation und dauerhafte Bewahrung der ihr übereigneten materiellen und nichtmateriellen Geschichtsschichten ein. Wie im Treppenhaus des HU-Hauptgebäudes am Umgang mit dem Karl-Marx-Zitat zu sehen ist, setzen wir auf eine deutliche Kommentierung „unbequemer“ Baudenkmäler. Auch der Gedenkort an die NS-Opfer im nördlichen Ehrenhof bedarf in Zeiten eines dezidiert opferspezifischen Gedenkens einer kommentierenden Aktualisierung; die jüngst gesetzten „Stolpersteine“ vor dem HU-Haupteingang sind ein erster Schritt dorthin.

Die aktuell in der Diskussion stehenden Attikaskulpturen sind eine authentische und unverzichtbare Einschreibung der Nachkriegsepoche in den Bestand des seit 1975 denkmalgeschützten HU-Hauptgebäudes. Das ist die Position der Staatlichen Denkmalpflege in Berlin, des Berliner Landesdenkmalrates, der Staatsministerin für Kultur und Medien, des Beirates der Stiftung der Preußischen Schlösser und Gärten sowie der Humboldt-Universität.

Der jüngst größtenteils in den Formen des Potsdamer Stadtschlosses entstandene Brandenburgische Landtag ist hingegen Konstruktion von Geschichte, sichtbarer Ausdruck des von größeren Teilen der Potsdamer Bürgerschaft gewünschten Wiederherstellung der preußisch-klassizistisch geprägten Stadtmitte. Dabei handelt es sich um ein zeitgenössisches Bauwerk mit vorgeblendeten historisierenden Fassaden, das mehr Geschosse hat als das historische Vorbild und auch in seiner Kubatur verändert wurde. Die in der Diskussion stehenden Attikaskulpturen würden im Falle einer Rückkehr nicht alle am ursprünglichen Standort Verwendung finden, sondern im Sinne einer „Stadtbildpflege“ an bestimmten, sehr zeichenhaften Stellen des Baues konzentriert werden. Wie Kerstin Wittmann-Englert auf dem HU-Kolloquium ausführte, wäre es hoch an der Zeit, auch einmal über neue Skulpturen in den Maßen und Kubaturen der vormaligen Skulpturen des Potsdamer Schlosses nachzudenken – Skulpturen mit einem unmittelbar abbildenden oder allegorischen Bezug zu der Würde und den konkreten Aufgaben eines demokratischen Landtages im 21. Jahrhundert.

An der Humboldt-Universität legen wir Wert auf die Unterscheidbarkeit zwischen einer Geschichte, die durch in situ befindliche materielle Zeugnisse zu uns spricht, und Geschichtsdeutungen beziehungsweise Geschichtskonstruktionen durch Rekonstruktionen. Letztere folgen in einem ganz erheblichen Maße subjektiven Wertmaßstäben. Auf dem Berliner Kolloquium zu den Attikaskulpturen wurde mehrfach ein wichtiges Fallbeispiel behandelt: Das Berliner Humboldt-Forum. Ebenfalls ein Neubau mit einer historisierenden Hülle, ist es die Wiedergeburt und Weiterentwicklung einer Idee, jedoch kein Denkmal. Es hat eine zwingende Logik, dass das unmittelbar dahinter befindliche Schlossportal IV/„Liebknechtportal“, konstituierender Teil des 1962–64 errichteten DDR-Staatsratsgebäudes, als ein materiell verbürgtes (wenn auch im Detail stark verändertes) und nachträglich politisch aufgeladenes Geschichtszeugnis gerade nicht in den derzeitigen Neubau des Humboldt-Forums integriert wird. Vergleichbar den Attikaskulpturen des HU-Hauptgebäudes hat es längst eine eigene, vom ursprünglichen Kontext gelöste Geschichte.

Doch zurück zu den Attikafiguren selbst. Heute wie in Zukunft ist es unsere Aufgabe, in engem Austausch mit der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg als dem Leihgeber sowie mit dem Landesdenkmalamt Berlin für die Bewahrung dieser außerordentlich wertvollen und gleichsam sprechenden Zeugnisse zu sorgen. Vor dem Hintergrund der nahezu einhelligen Voten der Denkmalfachbehörden ist für uns eine Rückführung der Skulpturen nach Potsdam nicht denkbar. Leitende Kriterien hierfür sind die Unwiederholbarkeit von Geschichte wie die Überzeugung, dass Rekonstruktionen als konstruierte Geschichtsbilder nicht zu einer Verdrängung beziehungsweise Überschreibung von in situ befindlichen historischen Kontexten führen sollten. „Geschichte ist einmal“ - so hat es der Architekt Rudolf Schwarz bereits 1946/47 auf den Punkt gebracht.[ii] Dies gilt umso mehr für die von historischen Brüchen und Geschichtsschichten stark geprägte Metropole Berlin.

Lediglich angemerkt sei, dass die Attikaskulpturen im heutigen Erscheinungsbild der HU vielfältig präsent sind. Die hohe Identifikation der Lehrenden und Studierenden mit diesen Skulpturen manifestiert sich nicht nur in einem großen Interesse an unserem Kolloquium, sondern auch in eingehenden Seminardiskussionen.

Im Kontext einer wichtigen und aktuellen Debatte über ein gemeinsames Kulturerbe bzw. den Bemühungen um ein shared heritage ist es unser Anliegen, den Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen in Potsdam zu intensivieren. Gemeinsam mit ihnen über die Geschichte dieses sehr besonderen Kulturerbes zu forschen sowie über dessen didaktische Präsentation auch und gerade im digitalen Zeitalter nachzudenken. Die beiden Kolloquien in Berlin und Potsdam haben hierfür wichtige Anstöße geliefert.

Grundlegende Literatur

 

Prof. Dr. Dr. Sabine Kunst ist seit 2016 Präsidentin der Humboldt-Universität zu Berlin

Prof. Dr. Kai Kappel lehrt seit 2012 die Geschichte der Architektur und des Städtebaus an der Humboldt-Universität zu Berlin



[i] SPSG Potsdam, Fachbereich Leihverkehr, Objektakte, Schreiben vom 11.5.1966, zitiert nach Hübner/Oehmig 2012, S. 6.

[ii] Zitiert nach Kai Kappel: Memento 1945. Kirchenbau aus Kriegsruinen und Trümmersteinen in den Westzonen und in der Bundesrepublik Deutschland, München/Berlin 2008, S. 17.

 

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