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1933 – der Nationalsozialismus und die Universität zu Berlin

Gekürzte Fassung des Vortrags von Prof. Dr. Dr. h.c. Heinz‐Elmar Tenorth vom 7. Mai 2013 (anlässlich der Konzilssitzung der Universität)

Ein Rückblick auf das Jahr 1933 zeigt, dass hier in der Geschichte der damaligen Friedrich-Wilhelms-Universität die bewahrenswerte Tradition von einem eindeutig belasteten Erbe überlagert wird. Diese bis heute belastende Überlieferung betrifft die gesamte Universität mit ihren Professoren und Studenten, akademischen Gremien und universitären Ämtern, Rektor und Senat genauso wie die einzelnen Fakultäten und Disziplinen. Sie betrifft nicht allein das politische Verhalten der Akteure, sondern auch die Praxis der universitären Arbeit in ihrem Kern, in Lehre und Forschung, Studium und im Ethos neuzeitlicher Wissenschaft.

Die Bücherverbrennung vom 10. Mai 1933 auf dem Opernplatz vor der Universität ist ein besonders signifikantes Ereignis, muss jedoch im Zusammenhang mit anderen Geschehnissen seit Januar '33 und im Kontext der Vorgeschichte betrachtet werden. Sie ist auch nicht ein Ereignis der gesamten Universität, sondern wurde von der NS-Studentenschaft im Bündnis mit einzelnen Professoren, der SA und schließlich dem Reichspropagandaminister Joseph Goebbels initiiert.

Anfang April setzte die nationalsozialistisch beherrschte „Deutsche Studentenschaft“ die Aktion „Wider den undeutschen Geist“ reichsweit um – allein in Berlin mit mehr als 900 Plakaten, auf denen sie ihre zentrale Aussage „Unser gefährlichster Widersacher ist der Jude, und der, der ihm hörig ist“ und dazu zwölf Thesen propagierte. Das Pamphlet mündete in die Forderung: „Wir fordern die deutsche Hochschule als Hort des deutschen Volkstums und als Kampfstätte aus der Kraft des deutschen Geistes.“

Die Thesen wurden sowohl in Berlin als auch in der deutschen Rektorenkonferenz zwar in ihrem agitatorischen Charakter wahrgenommen, aber nicht etwa scharf abgelehnt, sondern auf eigenartige Art und Weise problematisiert. So lehnte etwa der Berliner Rektor Eduard Kohlrausch eine Plakatierung in der Universität ab, weil er in den Thesen fünf – „Der Jude kann nur jüdisch denken“ - und sieben – „Der undeutsche Geist wird aus deutschen Büchereien ausgemerzt“ - „Übertreibungen“ sah, „die nur geeignet seien, den Kampf gegen den undeutschen Geist zu diskreditieren, nicht aber ihn zu fördern.“ Die Rektorenkonferenz am 12. April erklärte, man habe sich „der Verjudung (…) nicht entgegengestellt“, und gegenüber dem Ministerium zeigte er sich mit der „Entjudung“ der Hochschulen einverstanden. Eine eindeutige Absage an Programm und Ziel der studentischen Aktionen aus der Universität heraus gab es nicht

Das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ hatte bereits am 7. April 1933 sehr gravierende und tiefgehende Konsequenzen formuliert. Die Berliner Universität verlor infolge des Gesetzes, , z.T. sogar schon seit dem Januar 1933, und weiterer Entlassungen bis 1945 rund 35 Prozent des Lehrkörpers, das heißt 280 von 797 Mitgliedern. Allein an der Universität in Frankfurt am Main waren es mit knapp 37 Prozent noch mehr.

86,4 Prozent der Entlassungen wurden allein rassistisch begründet, für 9,3 Prozent waren primär politische Gründe ausschlaggebend, sie betrafen vor allem Sozialisten und explizite Demokraten. Von diesem Vorgehen waren vor allem die Philosophische Fakultät, eingeschlossen die Naturwissenschaften, und die Medizinische Fakultät betroffen, weil vor allem dort jüdische Gelehrte als Privatdozenten vertreten waren, deutlich weniger Betroffene gab es in der theologischen und juristischen Fakultät.

Die Betrachtung nach Statusgruppen zeigt, dass 70 Prozent der Privatdozenten und nichtbeamteten Professoren entlassen wurden. Immerhin noch ein Viertel der Ordinarien war betroffen, nahezu ein Drittel der Extraordinarien, 31 Prozent der ordentlichen, ein Viertel der Honorarprofessoren und ein Drittel der Lehrbeauftragten. Das zeigt noch einmal, dass jüdischen Gelehrten auch in der Weimarer Republik die Position der Ordinarien kaum zugestanden wurde, und auch, welche Fakultäten am ehesten offen waren.

Die eher verständnisvolle Reaktion der nicht-jüdischen Kollegen gegenüber den Entlassungen belegt 1933 erneut auch den starken und kontinuierlichen Antisemitismus der Berliner Universität. Die Universität ergriff nicht Partei für ihre Amtskollegen, sondern für die deutschen Studenten und Jungakademiker, die ihre Karriere durch die jüdische Konkurrenz gefährdet sahen und sich an den Stellen der Entlassenen schadlos hielten.

In diesem Kontext fand am 10. Mai die Bücherverbrennung in ganz Deutschland statt. Das Berliner Ereignis ragt nicht nur durch die aktive Teilnahme von Goebbels, filmisch überliefert, heraus. Berlintypisch ist zum Beispiel auch die Rolle des frisch berufenen Professors für politische Pädagogik, Alfred Baeumler, im Umkreis des NS-Ideologen Alfred Rosenberg aktiv. Er hielt an diesem Tag seine Antrittsvorlesung und forderte am Ende die Studierenden auf: „Sie ziehen jetzt hinaus, um die Bücher zu verbrennen, in denen ein uns fremder Geist sich des deutschen Wortes bedient hat, um uns zu bekämpfen.“ Verbrannt wurden neben der schönen Literatur der Weimarer Zeit auch Schriften von Theoretikern wie Marx oder von Psychoanalytikern, die bereits vorher ausgegrenzt worden waren und an der Berliner Universität keinen Platz gefunden hatten.

Hochschullehrer dementierten 1933 aber nicht nur die universalen Standards von Lehre und Forschung oder unterwarfen ihre Disziplin dem NS-Staat, selbst in der Theologie, ein Rechtswissenschaftler, der bis heute berühmte Carl Schmitt, rechtfertigte 1934 die von Hitler angeordneten Morde im sog. Röhm-Pusch sogar mit der These „Der Führer schützt das Recht“, seine „Tat … war selbst höchste Justiz“, Andere Professoren wirkten schon vor dem Krieg aktiv an nationalsozialistischen Vernichtungsplänen mit. Der Geograph Konrad Meyer etwa arbeitete die Pläne für den Generalplan Ost mit aus, der Anthropologe Eugen Fischer beteiligte sich skrupellos an rassistischen Forschungen, der Mediziner Max de Crinis an der Aktion T4 und der Ermordung geistig behinderter Menschen.

Dass der Slawist Max Vasmer noch Abraham Heller promovierte, bevor dieser nach Palästina emigrierte, ist eines der wenigen Beispiele von Zivilcourage und Widerstand an der Berliner Universität. Die meisten Fachvertreter kennen selbst heute nicht mehr die Täter, die sich in ihren Disziplinen bewegt haben – und diskutieren sie noch seltener systematisch und ernsthaft als Problem ihrer eigenen Fachtradition. Zwar gibt es an der Humboldt-Universität sichtbare Gedenkorte, fanden Ausstellungen und Ringvorlesungen zur Mitwirkung in der NS-Zeit statt, wurden Studien zur eigenen Geschichte erstellt. Doch die Aufgabe, mit der eigenen Überlieferung, erinnernd und gedenkend, reflexiv und selbstkritisch, lehrend und forschend umzugehen, ist ungelöst und die Herausforderung, mit der uns das Jahr 1933 heute konfrontiert.

 

Der vollständige Vortrag von Heinz‐Elmar Tenorth (PDF)

 

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