„Fakultätsgeschichte von unten: Manche Studierende wurden ermordet, viele konnten fliehen“
Was ist das Besondere an Ihrer Ausstellung?
Sebastian Eller: Unser Fokus geht weg von der oft erzählten Universitätsgeschichte aus Sicht der Professoren. Wir schauen uns Fakultätsgeschichte von unten an und Perspektiven, die sonst nicht prominent vorkommen. Es geht um vier Gruppen. Wir zeigen die Perspektive von Studierenden auf die Zeit des Umbruchs zum Nationalsozialismus, von Frauen, die an der Juristischen Fakultät studiert oder als wissenschaftliche Mitarbeiterinnen gearbeitet haben sowie von Menschen, die in der Verwaltung tätig waren – vor allem in der Bibliothek. Wir vollziehen außerdem anhand eines Promovierenden-Netzwerks nach, inwiefern nach der Flucht aus Deutschland die wissenschaftliche Laufbahn fortgeführt werden konnte.
Antonia Boehl: Der eine Teil der Ausstellung sind Plakatwände, die sich diesen vier Themengebieten übergreifend widmen. Der andere Teil besteht aus temporären Erinnerungssteinen – angelehnt an die Stolpersteine des Künstlers Gunter Demnig. Diese stellen die Biographien von ehemaligen Fakultätsangehörigen dar und werden im Mai im Fakultätsgebäude ausgelegt sein.
Ein Beispiel?
Boehl: Martha Mosse hat in Berlin studiert. Sie musste zuerst promovieren, bevor sie einen juristischen Abschluss machen durfte – das war vor 1922 typisch für Frauen. 1933 wurde sie als Jüdin aus ihrem Beruf entlassen und war ab 1939 in einer Gemeinde ausgerechnet dazu genötigt, Wohnungen zu arisieren. 1941 wurde sie nach Theresienstadt deportiert, konnte aber dort überleben.
Warum haben Sie sich mit dem Thema beschäftigt?
Boehl: Die Juristische Fakultät steht direkt am Ort der Bücherverbrennung, dem Bebelplatz. Bislang fehlte hier die Auseinandersetzung mit konkreten Biographien und die Erinnerung an verfolgte Menschen. Nirgendwo sind Namen, Gesichter oder Lebenswege von Studierenden sichtbar, die nach 1933 ihr Studium abbrechen mussten.
Eller: Hinzu kommt, dass die Bücherverbrennung durch Studierende organisiert und veranstaltet wurde, die dem Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund angehörten. Dessen Vorsitzender war Jurastudent an unserer Fakultät.
Um wie viele Verfolgte geht es?
Eller: Eine Gesamtzahl zu nennen ist schwierig. Beziffern lassen sich die aus politischen Gründen verfolgten Studierenden. Es waren 132, die auf Relegationslisten standen und unter dem Vorwurf der kommunistischen, sozialistischen oder staatsfeindlichen Gesinnung ausgeschlossen wurden. Eine trügerische Zahl, die sehr klein ist im Verhältnis zu den Studierenden, deren Studienabschluss aus antisemitischen und rassischen Gründen verunmöglicht wurde.
Lennart Kokott: Der ehemalige Lehrer Peter Nolte hat eine Übersicht über die 1933 an der Berliner Universität immatrikulierten jüdischen Studierenden zusammengestellt. Wir konnten rund 450 Jurastudent:innen identifizieren und bei knapp 100 von ihnen Näheres über den weiteren Lebensweg herausfinden. Natürlich sind manche von ihnen im Holocaust ermordet worden, viele konnten aber auch fliehen. Die wenigsten haben danach noch juristisch gearbeitet.
Boehl: Unsere Recherche umfasst zudem auch etwa 30 Lebenswege von Frauen, die vor
1933 an der Juristischen Fakultät studiert hatten und die aus ihren Berufen verdrängt
wurden. Das waren ganz besonders jüdische Juristinnen
Wie wurde die Verfolgung an der Fakultät umgesetzt?
Eller: Das begann mit physischen Auseinandersetzungen bereits vor der Machtübergabe und gewann 1933 Auftrieb. Ein Teil der Studierenden selbst trieb die Verfolgung gezielt voran. Sie störten die Vorlesungen jüdischer Forschender, prügelten sich mit jüdischen oder linken Kommiliton:innen, und es gab willkürliche Verhaftungen durch SS- und SA-Mitglieder. Verstärkt wurde das durch rechtliche Maßnahmen, zum Beispiel das sogenannte Gesetz gegen die Überfüllung deutscher Schulen und Hochschulen vom 25. April 1933, das eine Obergrenze für die Zulassung jüdischer Studierender einführte.
Inwiefern waren Frauen betroffen?
Kokott: Helga Herz zum Beispiel gab schon im März 1933 ihr Studium auf und floh mit der Mutter über die Schweiz nach Frankreich, wo sie das Studium an der Sorbonne 1937 abschloss. Als sie von dort 1942 in die USA floh, war ihre juristische Laufbahn beendet, sie wurde Bibliothekarin.
Boehl: Frauen waren doppelt betroffen. Sie wurden nach 1933 als Juristinnen aus ihren Berufen verdrängt und auf juristische Hilfstätigkeiten beschränkt. Das entsprach dem nationalsozialistischen „Ideal der deutschen Frau“. Jüdische Richterinnen wurden zudem ohne finanzielle Absicherung entlassen. Viele flohen ins Ausland und brauchten lange, um wieder berufstätig zu werden. Andere, die in Berlin bei ihrer Familie blieben, wurden deportiert und umgebracht.
Wie konnten Sie das herausfinden?
Boehl: Über Juristinnen gibt es ein gutes Lexikon von Marion Röwekamp. Wir haben in Suchmaschinen, in Datenbanken von Yad Vashem und im Universitätsarchiv recherchiert. Vor allem die Promotionsakten geben Aufschluss darüber, wer wann worüber geforscht hat.
Verwaltungsangestellte kommen in solchen Quellen aber nicht vor...
Boehl: Das war tatsächlich die schwierigste Gruppe für uns. Es gibt kaum Forschung dazu – und diese ist teils fehlerhaft oder unvollständig.
Kokott: Es gibt nur wenige Beispiele, weil viele Akten nicht mehr vorhanden sind und weil der Verwaltungsaufbau deutlich anders war als heute. Nur die Bibliothek hat über viele Mitarbeitende verfügt. Unsere Fakultät hatte kaum Verwaltungsmitarbeiter.
Wo sehen Sie noch Leerstellen zur weiteren Erforschung?
Boehl: Das Thema könnte besser ins Studium integrieren werden, damit sich mehr Studierende damit beschäftigen und zum Beispiel zu einzelnen Biographien promovieren. Um die Juristische Fakultät herum könnten mehr Stolpersteine verlegt werden. Unsere Erinnerungssteine liefern hoffentlich den Anstoß dafür.
Die Fragen stellte Isabel Fannrich-Lautenschläger
Über die Ausstellung „Nationalsozialistische Verfolgung an der Juristischen Fakultät“
Die Rolle der Juristischen Fakultät bezogen auf den Nationalsozialismus bestand vor allem in der Übernahme und Umsetzung der nationalsozialistischen Ideologie, die im Fakultätskontext aus einer Verschränkung von physischer Repression und legal gewordener Diskriminierung bestand und Ergebnis eines Radikalisierungsprozesses mithilfe des Rechts war. Dies bedeutete, dass jüdische Professor:innen, aber auch Studierende und Promovierende ab 1933 aus der Fakultät vertrieben wurden.
Die Unsichtbarkeit der Veränderung des Lebens der ab 1933 Verfolgten im Fakultätsgebäude steht dabei in einem krassen Missverhältnis zu der Bedeutung, die diese Ausschlüsse im Leben der Betroffenen hatten.
Die Recherchegruppe zur Sichtbarmachung nationalsozialistischer Verfolgung an der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität hat den 90. Jahrestag der Bücherverbrennung auf dem Bebelplatz zum Anlass genommen, um an die nationalsozialistische Verfolgung zu erinnern und die Art, wie diese an der Juristischen Fakultät geschah, sichtbar zu machen.
Dazu hat die Recherchegruppe eine Ausstellung entwickelt, die sich mit vier Themenfeldern beschäftigt, für die wir Leerstellen in der öffentlichen Erinnerung an die Fakultätsvergangenheit sehen:
- Biographische Forschung zu verfolgten Studierenden
- Vertreibung des wissenschaftlichen Nachwuchses
- Doppelte Diskriminierung von verfolgten Frauen
- Verfolgung von Verwaltungsmitarbeitenden
Die Ausstellung wird am 10. Mai im Foyer der Juristischen Fakultät eröffnet und dort für vier Wochen ausgestellt werden.