Rebellion or Defeat? The Heroine’s Suicide in Kate Chopin’s "The Awakening"
Laudatio
Nora Friedrich zeichnen wir für ihre hervorragende Bachelorarbeit in der Anglistik mit dem Humboldt-Preis aus. Sie legt eine exzellente literaturwissenschaftliche Arbeit vor, innerhalb derer sie eine Bewertung des Freitods der Protagonistin in der Novelle von Kate Chopin vornimmt. Dabei deutet Frau Friedrich mit einem hohen Grad an Reflektion den Suizid am Ende des Textes als eine selbstbestimmte Handlung im Sinne des Ausbruchs aus konventionellen Geschlechterhierarchien.
Zusammenfassung
Die Arbeit beschäftigt sich mit den Autonomiebestrebungen der Edna Pontellier, der Protagonistin des 1899 erschienenen Romans The Awakening von Kate Chopin. Im Vordergrund der Diskussion steht vor allem Ednas Suizid als ein maßgebliches Moment ihres subtilen Widerstandes gegen die sittenstrengen Reglementierungen ihres Umfelds. Die Arbeit betrachtet die Fragestellung nach den Motiven und dem Stellenwert von Ednas Freitod als Gegenstand der literaturwissenschaftlichen Analyse. Neben den stilistischen Deviationen, die Chopin vornimmt, um heteronormative Gattungsmuster zu durchbrechen, werden die Verquickungen von Ehebruch und weiblichem Suizid anhand der literaturgeschichtlichen Traditionslinie des 19. Jahrhunderts beschrieben. Dabei geht es vor allem um die Romantisierung des weiblichen Todes und Formen, derer sich Chopin bedient, um ihre Heldin vor androzentrischen Vereinnahmungen zu schützen. Seit der Aufnahme in den Kanon der amerikanischen Literaturgeschichte in den 1970er Jahren wurde Ednas Selbstmord häufig als Kapitulation vor den gesellschaftlichen Konventionen ihrer Zeit ausgelegt. Überdies wurde ihr Suizid als Bestrafung der ehebrecherischen Frau und notwendige Konsequenz für die moralische Legitimation des Textes verstanden. Beide Lesarten versteht die Bachelorarbeit als unzureichend und obsolet und entfaltet Textstrategien gegen jene in der Sekundärliteratur auftretenden Positionen.
Im literaturanalytischen Teil der Arbeit werden verschiedene Parameter, die Ednas Autonomiewerdung bedingen, diskutiert. Dabei werden zunächst Ednas Wirkungsweisen im patriarchalen Spannungsdreieck ihres Ehemannes und ihrer zwei Liebhaber beleuchtet. Ednas Affären fungieren als Katalysatoren, durch die Edna ihrer Selbstwahrnehmung näherkommt. Außerdem wird Ednas Nähe zu zwei Frauenfiguren, die ein jeweils extremes Gegenbild zu Ednas eigener Realität darstellen, erläutert: auf der einen Seite wird die aufopferungsvolle Mutter, die ganz in ihrer Heterosexualität aufgeht, porträtiert, auf der anderen Seite, die autonome aber einsame Künstlerin. Keine der beiden Frauenrollen bietet Edna eine mögliche Alternative und die auferlegten Rollen als Ehefrau, Mutter und Geliebte stehen ihrer zunehmenden Autarkie noch immer im Wege.
So geht es im letzten und wichtigsten Teil der Arbeit um Ednas Zuwendung zur Natur. Einzig und allein in der Natur findet Edna eine Projektionsfläche, die ihr autarkes Ich aufnimmt. Von Emerson und den Transzendentalisten ausgehend, lässt Chopin ihre Heldin durch eine intensive Naturerfahrung eine neue Orientierung außerhalb der konventionellen Arretierung der Frau finden. Eine besondere Rolle spielt hier vor allem der mexikanische Golf, in dessen Gegenwart Edna ihr erstes symbolisches Erwachen zu Beginn der Erzählung erlebt, welches sich durch den physischen Freischlag des Schwimmenlernens vollzieht. Ednas Gang ins Wasser am Ende der Handlung kann deshalb als eine Rückkehr zu den Ursprüngen dieses spirituellen Moments des Erwachens gedeutet werden.
Der Freitod der Heldin ist also keinesfalls als Scheitern oder symbolische Bestrafung ihrer Transgression zu betrachten, sondern lässt sich vor allem als die befreiende Inanspruchnahme eines autonomen Raumes und als konsequente Absage an die Gesellschaft verstehen. Die Bachelorarbeit betrachtet die erzählerischen Dynamiken des Romans aus der innovativen Perspektive der Autorin und ihrer Heldin heraus, die den Reglementierungen ihrer Zeit gleichermaßen trotzen und ihre eigenen Versionen einer unabhängigen weiblichen Existenz entwickeln.