Humboldt-Universität zu Berlin

Michael Kleineberg

Humboldt-Preis für seine Masterarbeit

Die elementaren Formen der Klassifikation. Ein strukturgenetischer Beitrag zur Informationsgeschichte

 

Zusammenfassung

 

Die Bibliotheks- und Informationswissenschaft bemüht sich in erster Linie um eine gewinnbringende Systematisierung und Vermittlung bereits vorhandenen Wissens. Die zu diesem Zweck entwickelten Informationssysteme wie Bibliotheken, Museen, Archive oder Online-Umgebungen beruhen dabei auf Klassifikationsmodellen, die zunehmend kritisch hinterfragt werden, etwa indem auf ihre dominierende Wirkung durch Marginalisierung und Exklusion verwiesen wird. Das sich gerade etablierende Forschungsgebiet der Informationsgeschichte betrachtet Wissen, Wissensorganisation und Wissens­vermittlung daher im Horizont ihrer kulturhistorischen Entstehungskontexte und fordert eine Reflexion über die eigene hermeneutische Ausgangslage in Bezug auf die sinnhaften Artefakte der kulturellen Überlieferung.

In meiner Masterarbeit wird nun der Frage nachgegangen, ob und inwieweit sich die Pluralität von Wissenskulturen in eine Systematik bringen lässt und von welchem Ausgangspunkt eine kulturvergleichende Betrachtung zur Wissensorganisation überhaupt ausgehen kann. Anhand der fächerübergreifenden Klassifikationsforschung wird zunächst darauf verwiesen, dass Ordnungs­systeme im kulturellen Vergleich neben der Inhaltsebene auch auf der Formebene grundlegende Unterschiede aufweisen. Mit Bezug auf die kognitiven Voraussetzungen, welche der Klassen- und Begriffsbildung unterliegen, wird nachgewiesen, dass die dichotomische bzw. polytomische Klassenbildung, auf der sowohl die gesamte Klassenlogik als auch das hierarchische Klassifikationsmodell beruhen, ein sich historisch erst herausbildendes Phänomen darstellt und sich in Struktur und Genese von elementareren Formen unterscheidet.

Die Ergebnisse der Untersuchung legen nahe, dass es sich bei der Formenvielfalt des klassifikatorischen Denkens keineswegs um jeweils kulturspezifische Logiken handelt, sondern um kognitive Strukturen, die sich als kulturübergreifende Entwicklungsstufen interpretieren lassen, so dass die hier rekonstruierten Elementarformen der Klassifikation als Bedingungen der Möglichkeit komplexerer Klassifikations­formen angesehen werden können. Insofern ließen sich die mannigfaltigen Klassifikationsphänomene auf eine überschaubare Anzahl von Grundformen reduzieren und unabhängig von der Inhaltsebene in ihrer Entwicklungshöhe verorten sowie in ihrer Eigenlogik verstehen. Als methodologischer Beitrag für eine Historiographie des Wissens und der Information lässt eine solche entwicklungstheoretische Grundlegung in der Kulturvergleichs­forschung signifikante Isomorphismen erwarten, von denen ein historisches und kulturelles Fremdverstehen seinen Ausgang nehmen kann.