Humboldt-Universität zu Berlin

Albrecht Daniel Thaer

Begründer der modernen Agrarwissenschaft
Alternativtext

Albrecht Daniel Thaer,,
Bild: Strichstich von J. H. Lips nach J. J. de Lose.
Lose, Johann Jakob de, etwa 1755-1813.
Referenz: 9124i, Wellcome Collection.

Wer das prachtvolle Vestibül des heutigen Instituts für Agrar- und Gartenbauwissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin in der Invalidenstraße 42 betritt, dem fällt sofort das prominent platzierte Denkmal Albrecht Daniel Thaers ins Auge. Es stand zunächst auf dem Schinkelplatz in Berlin Mitte, wurde aber 1952, offiziell aus Anlass von Thaers 200. Geburtstag – möglicherweise aber auch aus politischen Gründen im Zuge der Überbauung des Platzes in der DDR – an seinem heutigen Ort aufgestellt. Es ist die letzte Arbeit von Christian Daniel Rauch, der damit nach eigenen Worten den „ersten Helden auf öffentlichem Platze ohne Degen“ entwarf  (zit. n. von Simson 1996, S. 429 f.). Die Ausführung aber erfolgte erst 1860 durch Hugo Hagen. Eine Kopie der Statue steht seit 2000 wieder auf dem Schinkel-Platz. Das Standbild zeigt den Begründer der modernen Landwirtschaftslehre im Preußen in lehrender Geste, mit der linken Hand am Griff eines Pfluges.

Albrecht Daniel Thaer, geboren am 14. Mai 1752 als Sohn eines Arztes in Celle, studierte von 1770-1974 zunächst Medizin in Göttingen, arbeitete anschließend mehrere Jahre recht erfolgreich als Arzt in seiner Geburtsstadt, zuletzt im Rang eines Leibarztes des Hannoveraner Kurfürsten, ehe er sich – ab 1804 – ganz seiner Passion, der Landwirtschaft, hingab. Schon 1784 war er Mitglied der Königlich-Kurfürstlichen Hannoverschen Landwirtschaftsgesellschaft zu Celle geworden. Besonders interessierten ihn die englischen Agrarreformen, die zu komplexen Großwirtschaften mit kombinierter Pflanzen- und Tierproduktion geführt hatten. 1798 erschien Band 1 seiner „Einleitung zur Kenntniß der englischen Landwirthschaft und ihrer neuen praktischen und theoretischen Fortschritte in Rücksicht auf Vervollkommnung deutscher Landwirthschaft für denkende Landwirthe und Cameralisten“, dem 1800 und 1804 zwei weitere Bände folgten.

Thaer entwickelte Prinzipien einer integrierten Landwirtschaft 

Die preußische Regierung wurde alsbald auf die besonderen Fähigkeiten Thaers im Bereich der Landwirtschaft und ihrer Reorganisation aufmerksam. Sie unterbreitete ihm das Angebot, sich ganz der Agrarwissenschaft zu widmen und dafür eine Musterwirtschaft mit angeschlossener Akademie zu gründen. Daraufhin konnte er im Juni 1804 das Rittergut Möglinam Rande des Oderbruchs erwerben, mit einer Nutzfläche von rund 300 Hektar, das er mit Ackerbau und Schafszucht zu bewirtschaften begann.

Geschult durch das Medizinstudium ging Thaer auf seinem Gut systematisch vor, er entwickelte Prinzipien einer integrierten Landwirtschaft, erprobte sie und begründete damit eine eigenständige, interdisziplinär ausgerichtete Wissenschaft. In ihrer universellen Anlage umfasste sie Wissen aus den Natur- wie den philosophischen Wissenschaften und vereinte betriebs- und volkswirtschaftliche mit naturkundlichen und sozialpolitischen Ansätzen. Daneben wirkte er als Staatsrat an den preußischen Agrarreformen mit und errichtete mit Unterstützung Königs Friedrich Wilhelm III. eine landwirtschaftliche Lehranstalt, die aus seinem schon 1802 in Celle eröffneten landwirtschaftlichen Lehrinstitut (heute „Thaers Garten“) hervorging. 1806 zog diese Anstalt mit nach Möglin und wurde ab 1819 zur „Akademischen Lehranstalt des Landbaus “ (in anderen Quellen „Königlich Preußische Akademie des Landbaus”), die bis 1861 Bestand hatte. Es war das erste landwirtschaftliche Lehrinstitut in Deutschland.

Mitwirkung an der Ausarbeitung der preußischen Agrargesetze 

Thaers schriftstellerische und verlegerische Tätigkeit in Möglin begann 1805 mit der Herausgabe der „Annalen des Ackerbaus“, von denen bis 1810 sechs Jahrgänge erschienen. Ab 1817 nahm er das Journal als „Möglinische Annalen der Landwirthschaft“ wieder auf, das auch nach seinem Tod von der Akademie bis 1833 weitergeführt wurde.

Seine wohl berühmtesten Werke, die vier Bände der „Grundsätze der rationellen Landwirthschaft“ erschienen zwischen 1809 und 1812. Sie standen in einem engen Zusammenhang zu den Vorlesungen, die Albrecht Daniel Thaer als einer der Gründungsprofessoren der Berliner Universität – neben August Boeckh (Klassische Philologie), Georg Friedrich Wilhelm Hegel (Philosophie), Christoph Wilhelm Hufeland (Medizin), Carl Ritter (Geographie) und Friedrich Karl von Savigny (Jura) – ab 1810 hielt. Wilhelm von Humboldt hatte ihn auf eine außerordentliche Professur für Ackerbau (anderen Quellen zufolge Kameralwissenschaften) berufen. Neun Jahre versah Thaer das akademische Amt, immer in den Wintersemestern, ehe er sich wieder ganz der Landwirtschaft und dem Verfassen von wissenschaftlichen Abhandlungen zuwandte. Als Agrarwissenschaftler und -reformer wirkte er weiter an führender Stelle bei der Ausarbeitung der preußischen Agrargesetze mit und überzeugte den König von zahlreichen Neuerungen in der Landwirtschaftspolitik.

Im Band 1 der „Grundsätze“ entfaltet Thaer die wesentlichen wissenschaftlichen Grundlagen seiner Idee von rationeller Landwirtschaft. „Erst durch die Arbeit erhält der Boden einen Werth“, schreibt er darin (Erster Band, Zweites Hauptstück, S. 100). Im zweiten widmet er sich dem Boden und der Verbesserung seiner mechanischen, chemischen und physikalischen Eigenschaften, der dritte Band behandelt die Lehre von der vegetarischen Produktion, also vom Ackerpflanzenbau, und der vierte schließlich die Tierhaltung. Er selbst sagt von seinem Werk: „Es ist ein Grundriss, den man studieren und ganz vor Augen haben muss, wenn man sich auf jedem Punkte dieses Gebiets orientieren und nirgends verirren will“ (Vorrede zu Band 1, S. VI).

Schriften zur Interdisziplinären Agrarwissenschaft aktueller denn je

Die Kontakte zur Berliner Gelehrtenwelt des frühen 19. Jahrhunderts weiteten Thaers Blick für die (Spät-)Aufklärung und wurden zur Quelle seines kritischen und zugleich streng vernunftbezogenen Denkens. Neben – bzw. in Verbindung mit – seinem landwirtschaftlichen Interesse beschäftigte er sich mit religionsphilosophischen Schriften, mit den Werken Immanuel Kants und Moses Mendelsohns, besuchte Lessing und traf im September 1826 in Möglin Fontane. Zwei Jahre davor, anlässlich seines 50jähigen Doktorjubiläums, widmete Johann Wolfgang von Goethe ihm ein Gedicht, das den Thaer‘schen Ansatz einer Landbewirtschaftung „nach Ordnung und Verstand“ rühmt und von Karl Friedrich Zelter vertont wurde.

Sein Hauptwerk umfasst Gedanken zur landwirtschaftliche Ökonomie und Ertragssteigerung (etwa durch Fruchtfolge bzw. Drei-Felder-Wirtschaft, Düngung, Melioration usw.), zur Arbeitsteilung auf dem Hofe, zur Bodenqualität, zur Verwertung von Mist und Abfällen, er schreibt über Ackerwerkzeuge und Geräte, behandelt den Wiesenbau und die Stallfütterung, beschreibt die Getreidesorten, ihre Aussaat und Ernte, und entwickelt die Grundlagen einer umfassenden wissenschaftlichen Landwirtschaftslehre. Die vier Bände lesen sich teilweise noch heute wie ein modernes Kompendium einer interdisziplinären Agrarwissenschaft. „Jeder, welcher die Landwirtschaft mit höchstmöglichen Erfolg ausüben will, muss Energie und Tätigkeit, mit Überlegung, Ausdauer und mit allen erforderlichen Kenntnissen verknüpfen“, schreibt er im Vorwort von Band 1 (ohne Seitenangabe).

Zugleich war er darauf bedacht, die natürlichen Ressourcen nicht bedingungslos auszuschöpfen, sondern sie intelligent und schonend einzusetzen, so dass sie sich regenerieren und auch künftigen Generationen zur Verfügung stehen können. Das galt für die Natur (Böden, Pflanzen, Insekten und Tiere) ebenso wie für die auf dem Land arbeitenden Menschen, an deren Gesundheit, Arbeitskraft und Arbeitsfreude ihm lag.

Auch in Leipzig und Halle gibt es Thaer-Denkmäler, 1816 wurde er – auf Grund seiner Merino-Schafszuchterfolge in Möglin und außerordentlicher Erträge an hochwertiger Wolle – zum Generalintendanten der Königlich-Preußischen Stammschäfereien ernannt, was ihm den scherzhaften Namen „Woll-Thaer“ einbrachte. Später kam noch die Präsidentschaft des Leipziger Wollkonvents hinzu. Die Schäferei war zu einem Hauptpfeiler seiner Forschungen in Möglin und zugleich wichtigste Einnahmequelle geworden, daneben war er Vorstand mehrerer preußischer Stammschäfereien.

Thaer ist nie in den Adelsstand erhoben worden. Die Inschrift „Albrecht v. Thaer“ im Sockel der anfangs erwähnten Büste ist möglicherweise Folge einer Verwechslung mit seinem Enkel Georg Ernst von Thaer. Mit seiner Frau Philippine von Willich hatte Albrecht Daniel Thaer 11 Kinder, von denen fünf bereits in frühem Alter starben. Nach längerer Krankheit schied er am 26. Oktober 1828 auf seinem Gut, das sein Sohn Albrecht Phillip übernahm und auch die Akademie weiter betrieb, aus dem Leben. Im Park des durch ihn weltberühmten Gutes, neben der Dorfkirche, fand er seine letzte Ruhestätte.

Albrecht Daniel Thaers Grundsätze nachhaltigen und verantwortlichen Wirtschaftens auf dem Land sind heute aktueller denn je, einschließlich der Ausbildung des bäuerlichen Nachwuchses und der gesellschaftlichen bzw. staatlichen Verantwortung für die Lösung von Ernährungsfragen und den Klima- bzw. Umweltschutz, stets aber auch der Wirtschaftlichkeit.

Schriften 

  • Einleitung zur Kenntniß der englischen Landwirthschaft, 3 Bände, Hannover 1798–1804.
  • Grundsätze der rationellen Landwirthschaft, 4 Bände, Berlin 1809-1812 [Faksimile-Ausgabe, hg. von der Fördergesellschaft Albrecht Daniel Thaer, Möglin 2011].
  • Leitfaden zur allgemeinen landwirthschaftlichen Gewerbs-Lehre, Berlin 1815.
  • Geschichte meiner Wirthschaft zu Möglin, Berlin 1815.
  • Vermischte landwirthschaftliche Schriften aus den Annalen der niedersächsischen Landwirthschaft, 3 Bände, Hannover 1805-1806.

Literatur 

  • Frielinghaus, Martin/Claus Dalchow (Hg.): Albrecht Daniel Thaer. Ein Leben für die Landwirtschaft, Frankfurt/Main 2006.
  • Märtin, Boto: Albrecht Daniel Thaer, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 26, Berlin 2016, S. 72-74.
  • Wecke, Christain/Gotthard Kretzschmar (Hrsg.): Das Vermächtnis Thaers als Begründer der modernen Landwirtschaft, Leipzig 2002.

 

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