Humboldt-Universität zu Berlin

Max Herrmann

Germanist – Begründer der Theaterwissenschaft – Opfer des Nationalsozialismus

 

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Max Herrmann

Max Herrmann / Staatsbibliothek
zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz,
Handschriftenabteilung

Max Herrmanns Leben dokumentiert die Biographie eines in Berlin geborenen deutschen Juden, der seine gesamte akademische Karriere an der Berliner Universität verbrachte, und zwar als erfolgreicher akademischer Lehrer und Begründer einer neuen wissenschaftlichen Disziplin, dem die Universität dennoch notorisch die institutionelle Anerkennung versagte.

Herrmann ist aber auch darin singulär, weil er sich selbst als „nationaldeutsch“ definierte, die Emigration nach 1933 verweigerte, ja offensiv für sein Verbleib im Amt gekämpft hat. 1933 zwangspensioniert, wurde er von den Nazis im KZ Theresienstadt 1942 ermordet.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Werdegang und Politische Courage

Max Herrmann wurde 1865 als Sohn des Schriftstellers und beliebten Lustspielautors Louis Herrmann in Berlin geboren, studierte Germanische Philologie und Geschichte in Freiburg, Göttingen und Berlin, wo er 1889 promoviert wurde und sich 1891 habilitierte. Bis 1919 lehrte er als Privatdozent für Germanische Philologie und war, auch zur Sicherung seines Lebensunterhalts, bis 1925 Schriftleiter der Zeitschrift für Geschichte der Erziehung und des Unterrichts. Erst 1919 a.o. Professor, wurde er zum persönlichen Ordinarius sogar erst 1930 ernannt, während das für vergleichbare Kollegen in der Regel schon 1920 geschah. Der NS-Staat machte seiner Laufbahn ein Ende, auch hier anders als üblich, denn Herrmann praktizierte weder opportunistische Anpassung, wie seine deutschen Kollegen, noch ging er in die Emigration, wie seine jüdischen Leidensgenossen. In einem  Brief vom 1. Mai 1933 an das Preußische Kultusministerium bat er vielmehr um Beurlaubung, mit einem 1933 sonst nicht gehörten Argument. Selbst Philosophen wie Eduard Spranger entdeckten damals in der antisemitischen Hetze der Studentenschaft ja noch einen „wahren Kern“ des nationalen Protests, aber Herrmann wollte nicht mehr lehren,

„so lange nämlich, wie in der Universität die von der deutschen Studentenschaft erlassene Erklärung ,Wider den undeutschen Geist‘ öffentlich aushängt. Meinem Ehrgefühl, das in meiner allzeit gehegten und bekundeten nationaldeutschen Gesinnung tief verwurzelt ist, widerstrebt es auf das entschiedenste, meine akademische Tätigkeit in einem Hause auszuüben, in welchem über die Angehörigen einer Gemeinschaft, zu der ich durch meine Geburt gehöre, öffentlich gesagt wird: ,Der Jude kann nur jüdisch denken; schreibt er deutsch, dann lügt er‘ – widerstrebt mir um so entschiedener, als ich ja gerade das Wesen deutschen Geistes den Studenten zu verkünden habe. Ich schreibe deutsch, ich denke deutsch, ich fühle deutsch und ich lüge nicht.“

1933 wurde er aus dem Amt entfernt, 1942 nach Theresienstadt deportiert und dort ermordet, wie 1944 in Auschwitz seine Frau Helene, eine der ersten Studentinnen und Literaturwissenschaftlerinnen der Universität.

Begründung der Theaterwissenschaft

Aber nicht allein wegen seiner politischen Courage, wissenschaftlich lebt Max Herrmann vor allem mit der Begründung der Theaterwissenschaft als universitäre Disziplin bis heute fort. 1900 hielt er die ersten theaterwissenschaftlichen Vorlesungen an der Berliner Universität, 1901 die ersten Übungen, im WS 1923/24 eröffnete auf seinen 1919 formulierten Antrag hin schließlich das Theaterwissenschaftliche Institut an der Universität, auch jetzt eher gegen den Widerstand als mit Unterstützung der Universität. Sie hatte schon auf seinen Antrag hin versucht, den Titel der Disziplin in „Theatergeschichte“ zu ändern, mit der Ernennung des 1921 neu berufenen Germanisten Julius Petersen zum Direktor des Instituts Herrmann aber erneut gedemütigt und seine Pioniertat zu verdecken gesucht, nicht ohne Folgen, denn selbst für Universitätskollegen galt Petersen, fälschlich, gelegentlich als der Gründer der Theaterwissenschaft.

Vorsitzender der Gesellschaft für Theatergeschichte

Aber Idee und Konzept dieser neuen Disziplin hat allein Herrmann lehrend und forschend seit 1900 konstant entwickelt und u.a. als Vorsitzender der Gesellschaft für Deutsche Literatur von 1916-36 sowie als Vorsitzender der Gesellschaft für Theatergeschichte (1919-34) auch öffentlich sichtbar und anerkannt gemacht. In seinem Antrag zur Institutsgründung an das Ministerium Haenisch erhielt diese „Theaterwissenschaft“ 1919 auch ihr eigenes Profil. Herrmann grenzte sich einerseits von dem „munter betriebenen Dilettantismus“ ab, der öffentlich in der Beobachtung des Theaters regiere, andererseits von der philologisch dominierenden „dramengeschichtlichen Arbeit“.

„Zu einer wirklich wissenschaftlichen Universitätsdisziplin“ könne die Theaterwissenschaft erst werden, wenn sie ihre eigene „Methode“ entwickele und auch die Praxis des Theaters, zentral die Aufführung und d.h. die „Theaterkunst“, zum Thema der Forschung mache. Das schloss für ihn ein, dass sie die Versuchung mied und zugleich den Verdacht abwehrte, sie wolle eine „Theaterschule“ sein, gar „Schauspieler technisch ... schulen“. Es ging um die „wissenschaftliche Vorbildung“ für den Beruf der Regisseure und Dramatiker, aber auch der Theaterkritiker. Obwohl er selbst noch eher geistesgeschichtlich gearbeitet hat, ohne engen Kontakt zum zeitgenössischen Theater, spiegelt sich bis in aktuelle Debatten um den „performative turn“ Herrmanns zäsursetzende Konzeption in der Begründung der Theaterwissenschaften. Julius Petersen dagegen nährte noch 1935 den Zweifel, ob es eine Theater-wissenschaft wirklich gibt. Aber das Fach ist heute universitär etabliert und wird in Berlin weltweit sichtbar, allerdings an der FU, aktuell gelehrt. Der Max-Herrmann-Preis wird seit 2000 von den Freunden der Staatsbibliothek zu Berlin e.V. verliehen, zeitgleich zum Max-Herrmann-Dissertationspreis der Gesellschaft für Theatergeschichte.

Schriften (in Auswahl)

  • Sammlung der „Bibliothek deutscher Privat- und Manuskriptdrucke“, 20 000 Stücke, jetzt: Staatsbibliothek zu Berlin.
  • Forschungen zur deutschen Theatergeschichte des Mittelalters und der Renaissance, Berlin 1914.
  • Die Bühne des Hans Sachs. Ein offener Brief an Albert Köster, Berlin 1928.
  • Die Entstehung der berufsmässigen Schauspielkunst im Altertum und in der Neuzeit, [Aus dem Nachlass] hg. und mit einem Nachruf von Ruth Mövius, Berlin 1962 [online verfügbar]

Literatur (in Auswahl)

  • Knudsen, Hans: Begründung und Entwicklung der Theaterwissenschaft an der Friedrich-Wilhelms-Universität, in: H. Leussink/E. Neumann/G. Kotowski (Hg.), Studium Berolinense, Berlin 1960, S. 739-54.
  • Corssen, Stefan: Max Herrmann und die Anfänge der Theaterwissenschaft, Tübingen 1998.
  • Hollender, Martin: Der Berliner Germanist und Theaterwissenschaftler Max Herrmann (1865-1942). Leben und Werk, Berlin 2013.
  • Häder, Sonja: Zwischen disziplinärer und universitärer Gemeinschaft. Max Herrmann und sein Wirken als fachlicher Außenseiter in der „Gesellschaft für deutsche Erziehungs- und Schulgeschichte“ (1904/1909-1924), in: M. Caruso/
  •  H. Kemnitz/J. Link (Hg.), Orte der Bildungsgeschichte, Bad Heilbrunn 2009, S. 65-90.

 

 


Max Herrmann

14th May 1865 (Berlin) – 17th November 1942 (Theresienstadt concentration camp)

 

Germanist – Founder of theatre studies – Victim of National Socialism

 

Max Herrmann / Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz, Handschriftenabteilung
Max Herrmann, Foto: Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz, Handschriftenabteilung
Max Herrmann’s life documents the biography of a German Jew, born in Berlin, who spent his entire academic career at the University of Berlin as a successful member of academic teaching staff and founder of a new academic discipline, though the university still notoriously denied him any institutional recognition. Herrmann is also unique in this respect, however, because he defined himself as a “national German”, refused to emigrate after 1933, and, indeed, fought aggressively to continue in his post. He was forced to retire in 1933 and was murdered by the Nazis in Theresienstadt concentration camp in 1942.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Career and Political Courage

Max Herrmann was born in Berlin in 1865, the son of the writer and popular comedy playwright Louis Herrmann. He studied Germanic philology and history in Freiburg, Göttingen and Berlin, where he received his doctorate in 1889 and qualified as a professor in 1891. Up until 1919, he taught as a Privatdozent (university lecturer who is not a salaried staff member) of Germanic philology and, until 1925, he was editor of the Zeitschrift für Geschichte der Erziehung und des Unterrichts (Journal of the history of education and schooling). Having only been appointed an “extraordinary” (non-chaired) professor in 1919, it was not until 1930 that he was then appointed a professor with a personal chair (persönlicher Ordinarius), whereas, for comparable colleagues, this generally happened as early as 1920. The Nazi state put an end to his career, and, once again, this did not follow the usual pattern, because Herrmann neither practised opportunistic adaptation, like his German colleagues, nor did he emigrate, like his fellow Jewish sufferers. In a letter to the Prussian Ministry of Education and Cultural Affairs dated 1st May 1933, he instead asked for leave of absence, with an argument that was not otherwise heard in 1933. Even philosophers like Eduard Spranger detected a “genuine core” of national protest in the anti-Semitic agitation of the student body at that time, but Herrmann no longer wanted to teach “so long as the declaration ‘Against the Un-German Spirit’, issued by the German student body, [wa]s publicly displayed in the university.” He continues:

My sense of honour, which is deeply rooted in my always cherished and expressed national-German sentiment, is most reluctant to pursue my academic activity in an establishment in which it is openly said about the members of a community to which I belong through my birth: ‘The Jew can only think in a Jewish way; if he writes German, he is lying’ – and I am all the more reluctant as, indeed, I have to proclaim the very essence of the German spirit to the students. I write in German, I think in German, I feel in German, and I don’t lie.

He was removed from office in 1933, deported to Theresienstadt in 1942 and murdered there, as his wife Helen was in Auschwitz in 1944, one of the university’s first female students and literary scholars.

Foundation of theater studies

Yet it is not only due to his political courage that Max Herrmann still lives on in scholarship to this day, first and foremost, through the foundation of theatre studies as a university discipline. He gave his first lectures in theatre studies at the University of Berlin in 1900, then, in 1901, his first tutorials, and, in the winter semester of 1923/24, he finally opened the Theaterwissenschaftliches Institut (Theatre Studies Institute) at the University following a request he formulated in 1919, even then, more against resistance from the university than with its support. At his request, it had already tried to change the title of the discipline to “theatre history” (Theatergeschichte), though when the German scholar Julius Petersen was made director of the institute, having been newly appointed professor in 1921, it had humbled Herrmann again and tried to cover up his pioneering feat, and not without consequences, because, even for university colleagues, Petersen was sometimes mistakenly considered to be the founder of theatre studies.

Chairman of the Society for the History of Theater

Yet it was Herrmann alone who developed the idea and concept of this new discipline, doing so consistently in his teaching and research from 1900 onwards, and he also achieved public visibility and recognition for it as chairman of the German Literature Society (Gesellschaft für Deutsche Literatur) from 1916 to 1936 and as chairman of the Theatre History Society (Gesellschaft für Theatergeschichte) from 1919 to 1934. In 1919, in his request to the Haenisch ministry to establish an institute, this discipline of “theatre studies” (Theaterwissenschaft) also received its own profile. Herrmann distanced himself, on the one hand, from “blithely pursued dilettantism”, which reigned publicly in observations of the theatre, and, on the other hand, from the “dramatic-historical work” that dominated in the philological approach. Theatre studies could only become “a truly scientific university discipline” if it developed its own “method” and also made the practice of theatre the subject of research, with performance, i.e., the “dramatic art” at its centre. For him, this involved avoiding temptation and at the same time fending off the suspicion that it wanted to be a “theatre school”, let alone “train […] actors technically”. It was about the “scientific preparatory training” for the professions of the director and playwright, but also of the theatre critic. Although he himself still worked more in the field of the history of ideas, without close contact to contemporary theatre, Herrmann’s watershed concept in founding theatre studies is reflected to this day in current debates about the “performative turn”. Julius Petersen, on the other hand, was still fostering doubts as to whether there was actually such a thing as theatre studies in 1935. Yet the subject is now established as a university discipline and is currently taught, with global visibility, in Berlin, though at the FU. The Max Herrmann Prize (Max-Hermann-Preis) has been awarded since 2000 by Freunde der Staatsbibliothek zu Berlin e.V., at the same time as the Max Herrmann Dissertation Prize (Max-Hermann-Dissertationspreis) from the Gesellschaft für Theatergeschichte.

Written works (selection)

  • Sammlung der „Bibliothek deutscher Privat- und Manuskriptdrucke“, 20 000 Stücke, jetzt: Staatsbibliothek zu Berlin.
  • Forschungen zur deutschen Theatergeschichte des Mittelalters und der Renaissance, Berlin 1914.
  • Die Bühne des Hans Sachs. Ein offener Brief an Albert Köster, Berlin 1928.
  • Die Entstehung der berufsmässigen Schauspielkunst im Altertum und in der Neuzeit, [Aus dem Nachlass] hg. und mit einem Nachruf von Ruth Mövius, Berlin 1962 [online verfügbar]

References (selection)

  • Knudsen, Hans: Begründung und Entwicklung der Theaterwissenschaft an der Friedrich-Wilhelms-Universität, in: H. Leussink/E. Neumann/G. Kotowski (Hg.), Studium Berolinense, Berlin 1960, S. 739-54.
  • Corssen, Stefan: Max Herrmann und die Anfänge der Theaterwissenschaft, Tübingen 1998.
  • Hollender, Martin: Der Berliner Germanist und Theaterwissenschaftler Max Herrmann (1865-1942). Leben und Werk, Berlin 2013.
  • Häder, Sonja: Zwischen disziplinärer und universitärer Gemeinschaft. Max Herrmann und sein Wirken als fachlicher Außenseiter in der „Gesellschaft für deutsche Erziehungs- und Schulgeschichte“ (1904/1909-1924), in: M. Caruso/
  •  H. Kemnitz/J. Link (Hg.), Orte der Bildungsgeschichte, Bad Heilbrunn 2009, S. 65-90.

 

 

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