Humboldt-Universität zu Berlin

Annika Hildebrandt

Humboldt-Preis 2013 für ihre Masterarbeit

Sed et utilior quoque haec materies, quam antiquorum. Antikewissen im habsburgischen Nationaldiskurs des Siebenjährigen Kriegs

Wesentliche Impulse der deutschen Aufklärung gehen von den protestantischen Regionen im Norden aus, um sich von dort aus mit spezifischen regionalen Akzenten auszubreiten. Während diese Zentren breit beforscht sind, fällt der periphere Raum, dem sich meine Masterarbeit widmet, durch die disziplinären Raster. Denn die Anfänge der österreichischen Aufklärung setzen in einem literarischen System ein, das – bedingt durch die Multinationalität der Habsburgermonarchie – noch weitaus stärker in der lateinischen Sprache fundiert ist als in der deutschen. Hat die Germanistik die lateinischen Texte wenig im Blick, erscheinen sie unter den typischen klassisch-philologischen Perspektiven nur als Epigonen der antik-humanistischen Bildungstradition. Meine Arbeit versucht, diese Leerstelle zu schließen, indem sie die Schriften konsequent in den Diskurs des 18. Jahrhunderts stellt und zeigt, wie sich kulturelle und machtpolitische Ambitionen darin überlagern. Dazu fokussiert sie die Konfrontation, die das habsburgische Bedürfnis, literarisch aufzuschließen, entscheidend stimuliert: die Schlesischen Kriege mit dem aufstrebenden Preußen, die im Siebenjährigen Krieg (1756–1763) kulminieren.

In der Frage, wie diese politische Rivalität die habsburgische Literatur produktiv macht, setzt die Arbeit bei einer heuristischen Beobachtung an. Zwar ruft der militärische Konflikt eine breite patriotische Textproduktion auf den Plan. Darin zeichnet sich jedoch vor allem eine Irritation traditioneller Selbstbilder ab. Der Siebenjährige Krieg markiert eine diskursive Zäsur: Während die habsburgische Größe davor noch, wie seit dem 16. Jahrhundert, aus der Kontinuität mit dem römischen Kaisertum hergeleitet wird, kollabiert dieser identifikatorische common sense nach 1756. An seine Stelle tritt die intensive Suche nach Alternativen, die nicht nur den Rivalen konzeptuell standhalten, sondern sich auch als Leitlinie einer zu gründenden Nationalliteratur behaupten können. So wie sich die Gegner in Antikenposen entwerfen – man denke an Johann Wilhelm Ludwig Gleims Preussische Kriegslieder (1758) mit ihrer Losung „Berlin sey Sparta!“ –, bildet sich auch die Arbeit am habsburgischen Nationaldiskurs zentral in dem Versuch ab, das eigene Profil im Rekurs auf antike Gemeinschafts- und Dichtungsmodelle zu schärfen. 

Der Gebrauch antiker Konzepte kann darum als ein Seismograph dienen, um die Prozesse nachzuvollziehen, die mit der Konkurrenz der Kriegsliteraturen einsetzen. In den drei Kernbereichen, auf die sich die Arbeit konzentriert, isoliert sie zugleich wichtige institutionelle Fundamente der österreichischen Aufklärung. So öffnet sich erstens das Epos, das am Kaiserhof im Dienst von Repräsentation von Diplomatie steht, aufgeklärten Herrschafts- und Kulturkonzepten: Statt die Gegenwart weiter genealogisch festzuschreiben, dienen antike Modelle zur Analogie, die sich von der neuen französischen Gesellschaftstheorie inspiriert zeigen. Einen zweiten Ort, an dem literarische Innovationen vorbereitet werden, bildet die Universität. An Textsorten wie Vorträgen und Festreden, die auch im Norden weiterhin selbstverständlich auf Latein verfasst werden, wird eine österreichisch-sächsische Kooperation nachgezeichnet. So legt Johann Christoph Gottsched in seinen Vorträgen zur Dichtung der „alten Deutschen“ um 1750 die Basis für ein deutsches Nationalepos, das der Wiener Autor Franz Christoph von Scheyb verfassen soll. Dass diese kulturelle Allianz fortbesteht, nachdem sie nicht mehr durch ein politisches Bündnis gedeckt ist, zeigt das letzte Kapitel, das zugleich einen Anschluss zur germanistischen Aufklärungsforschung herstellt. Das Bild der Amazone, das Maria Theresias Inszenierung prägt, wandert als lyrische Rolle in Christian Felix Weißes Amazonen-Lieder (1762) ein: Dieser Fall macht exemplarisch klar, dass zwischen der lateinisch- und deutschsprachigen Literatur des 18. Jahrhunderts vielfältige Beziehungen bestehen, die auch für die Germanistik neue Perspektiven eröffnen.