Humboldt-Universität zu Berlin

Johannes Vierock

Humboldt-Preis 2013 für seine Masterarbeit

Schnelles Flicker Gating des Modellkaliumkanals KcsA

Unsere alltäglichen Bewegungen, Gedanken und Gefühle gehen mit einem Feuerwerk elektrische Impulse einher, bei welchem Milliarden von Zellen in unserem Gehirn, unserem Nervensystem und unseren Muskeln miteinander kommunizieren. Die molekulare Grundlage dieser elektrischen Pulse bilden Ionenkanäle. Diese sind hoch spezialisierte Proteinkomplexe in der äußeren Hülle der Zelle, die sich bei bestimmten Reizen öffnen und es geladenen Atomen, Ionen, erlauben die Zellmembran zu durchqueren. Von besonderer Bedeutung sind vor allem Kanäle, die selektiv nur Kaliumionen passieren lassen. Diese Kaliumkanäle bestimmen nicht nur die Grunderregbarkeit der Zellen sondern sind zusammen mit Natriumkanälen verantwortlich für den Verlauf von Aktionspotentialen, der Basiseinheit der elektrischen Signalweiterleitung in unserem Nervensystem.

In meiner Masterarbeit wird der Funktionsmechanismus von Kaliumkanälen mit Hilfe des als Modellkanal etablierten Kaliumkanals KcsA aus dem Bodenbakterium Streptomyces lividans untersucht. Dieser bakterielle Kaliumkanal weißt bei einem übersichtlicheren molekularen Aufbau und einer einfacheren experimentellen Handhabbarkeit wesentliche Übereinstimmungen mit Kaliumkanälen im menschlichen Körper auf. Der Austausch einer einzelnen Aminosäure E71Q in diesem Kanal stabilisiert einen Schließmodus von Kaliumkanälen, in welchem diese Kanäle sehr schnell zwischen offenen und geschlossenen Zuständen wechseln, was als Flickern bezeichnet wird. Ein für extrem niedriges Rauschen und eine hohe Zeitauflösung präparierter Messplatz erlaubte es, unter optimierten Bedingungen diese Übergänge an einem einzelnen Ionenkanal mit einer sehr hohen Zeitauflösung von nahezu einer 100 000stel Sekunde zu messen. Eine Klassifizierung der Übergänge entsprechend ihrer mittleren Verweilzeit im Ionen leitenden, beziehungsweise Ionen nicht leitenden Zustand erlaubte die Identifizierung von zwei unterschiedlichen geschlossenen Zuständen, von denen der schnellere noch nicht vorher beschrieben wurde. Die Kristallisation der das Flickern stabilisierenden Mutante mit einem geschlossenen oder alternativ einem offenen Aktivierungstor ermöglichte es außerdem, einen Schnappschuss der vermutlichen molekularen Struktur der funktional beobachteten schnelllebigen Konfirmationen des Kanals zu gewinnen. Ähnlich zum dauerhaft inaktivierten Kaliumkanal weißt auch die Struktur des Kanals mit einem geöffneten Aktivierungstor eine reduzierte Ionendichte im Zentrum der Ionen durchlassenden Pore auf. Im Gegensatz zum inaktivierten Kanal scheint dies jedoch von wesentlich geringeren Verschiebungen der die Pore am Selektivitätsfilter umgebenden Aminosäuren begleitet zu werden und könnte ein erstes Modell des kurzzeitig geschlossenen Zustandes darstellen.

Die in meiner Masterarbeit untersuchten schnellen Schließübergänge von Kaliumkanälen ermöglichen es, molekulare Übergänge in einem für molekulare Computersimulationen nahezu erreichbaren Zeitfenster experimentell zu beobachten. Zusammen mit den strukturellen Daten könnte somit die Möglichkeit bestehen, die molekularen Dynamiken während des Öffnens und Schließens eines Ionenkanals am Computer zu simulieren und dabei direkt mit funktionalen, experimentellen Messungen zu vergleichen und zu überprüfen. Ein präzises Verständnis der molekularen Maschinen im Motor unseres Denkens könnte schließlich dazu beitragen, Funktionsstörungen von Ionenkanälen und die mit ihnen einhergehenden Krankheiten besser verstehen und gegebenenfalls behandeln zu können sowie veränderte Ionenkanäle für biotechnologische und medizinische Anwendungen zu entwerfen.