Humboldt-Universität zu Berlin

Maren Klotz

Humboldt-Preis 2013 für ihre Dissertation

[K]information. Gamete Donation and the Constitution of Kinship through Knowledge-Management in Britain and Germany – an Ethnographic Exploration

In Deutschland sorgte die künstliche Befruchtung mit Spendersamen gerade 2013 wieder für Wirbel: Das Oberlandesgericht Hamm verurteilte einen Reproduktionsmediziner zur Herausgabe von Spenderdaten an ein inzwischen erwachsenes „Spendersamen-Kind“. Das Urteil scheint ein weiterer Schritt zu sein auf dem Weg zur juristischen Aufhebung der Spender-Anonymität in Deutschland – eine wissenschaftlich kaum thematisierte Entwicklung. In Großbritannien sind KeimzellspenderInnen schon seit 2004 nicht mehr anonym. Aber welche Familienkonstellationen und sozialen Beziehungen entstehen eigentlich aus der Herausgabe von Spenderdaten? Oder – umgekehrt gefragt – aus deren Geheimhaltung? Welche impliziten und expliziten Annahmen darüber was Familie ausmacht werden in der Datensammlung deutlich? Zeigt sich in der Tendenz zur rechtlichen De-Anonymisierung und elterlichen Offenheit über die künstliche Befruchtung gegenüber ihren Kindern eine gesteigerte gesellschaftliche Relevanz von Genetik, eine „Genetisierung“?

Meine Dissertation hat diese und ähnliche Fragen, bisher übrigens auch für Großbritannien nur begrenzt erforscht, an der Schnittstelle von Europäischer Ethnologie und interdisziplinärer Wissenschafts- und Technikforschung in den Blick genommen. Das bedeutetet, dass ich einerseits analysiert habe, wie sich Verwandtschaft in Alltagspraxen immer wieder neu herstellt und andererseits angeguckt habe, wie Rechtsprechung und Medizin mit-formt, was eine Familie ist. Deshalb habe ich den bisher nicht vorgenommenen deutsch-britischen Vergleich gewählt: Ähnliche Traditionen von Familie und Verwandtschaft treffen hier auf sehr unterschiedliche Rechtsprechung zur Keimzellspende. Die Arbeit war auch in ihrer institutionellen Anbindung deutsch-britisch: Sie wurde in einem sogenannten Co-Tutelle mit der University of Exeter verfasst und anschließend auch deutsch-britisch begutachtet. Konkret geforscht habe ich mit 13 betroffenen Familien in beiden Ländern, in reproduktionsmedizinischen Kliniken, durch Experten-Interviews und Dokumenten-Analysen. Originell war an diesem Ansatz unter anderem, juristische, alltagspraktische und medizinische Fragen der Familienbildung in ihrer Verflechtung in den Blick zu nehmen, anstatt – wie eigentlich üblich – nur über einen dieser Teilbereiche zu forschen. Neu war auch, sich nicht auf unmittelbare familiäre Krisensituationen zu beschränken, sondern längere Entwicklungsprozesse über mehrere Jahre zu analysieren.

Dabei habe ich unter anderem herausgefunden, dass die deutschen Eltern meiner Forschungsgruppe verunsicherter in Fragen der Kindererziehung schienen als die britischen Eltern: kein Wunder bei der unsicheren deutschen Rechtslage. Ich konnte auch zeigen, dass Offenheit über die Spende bei allen Eltern nicht unter Rückgriff auf genetische Überlegungen gerechtfertigt wurde, sondern unter Rückgriff auf moralische Argumentationsketten („nicht Lügen“). Letztlich kann ich in der Arbeit zeigen, dass es nicht, wie manche Forscherinnen und Forscher annehmen, die Genetik als einflussreiche Wissenschaft ist, welche es zunehmend wichtig macht, eine künstliche Befruchtung mit gespendeten Keimzellen offenzulegen und auch die Daten über den Spender zugänglich zu machen. Es scheinen eher Diskurse aus der Psychologie und verwandten Wissensbereichen zu sein, überhaupt auch veränderte Vorstellungen über ein generelles „Recht auf Wissen“, welche hier produktiv werden. Relevant sind diese Forschungsergebnisse nicht nur für die Fachdebatten in der deutschen wie internationalen Ethnologie über den Stellenwert biologischen Wissens für Verwandtschaft, sondern auch innerhalb transdisziplinärer Debatten über die Veränderung von Verwandtschaft und Familie in Europa und die Regulierung von Biotechnologien.