Humboldt-Universität zu Berlin

Wolfgang Heubner

Arzt und Pharmakologe – Kampfgasforscher und späterer Pazifist – NS-Kritiker aus liberaler Haltung

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Wolfgang
Wolfgang Heubner, Foto: Charite -
Universitätsmedizin Berlin

Wolfgang Heubners Karriere nahm in Göttingen ihre Anfänge. Nach dem Kriegseinsatz im Ersten Weltkrieg erlangte er an der dortigen Universität hohe Ämter, bis er über kurze Zwischenstationen 1932 nach Berlin kam. Während der NS-Zeit hielt er seine schützende Hand über seine Mitarbeiter im Pharmakologischen Institut und bewahrte für sich selbst Distanz zum NS-Regime.

Wolfgang Heubner ist am 18. Mai 1877 in Leipzig geboren und starb am 26. Februar 1957 in Heidelberg. Heubner stammte aus Leipzig; er studierte Medizin in Göttingen, Berlin, Marburg und Straßburg. Dort wurde er 1903 Mitarbeiter des Pharmakologischen Instituts, 1907 erfolgte die Habilitation. 1908 zunächst als Extraordinarius und Direktor des Pharmakologischen Instituts nach Göttingen berufen, wurde er dort 1910 ordentlicher Professor. Als Stabsarzt der Artillerie nahm er am Ersten Weltkrieg teil. Nach Göttingen zurückgekehrt, wirkte er dort 1919/1920 als Dekan der Medizinischen Fakultät und 1927/1928 als Rektor der Universität.

Berufung auf Lehrstühle

Über 20 Jahre vertrat Heubner sein Fach in Göttingen, bis er kurz hintereinander Rufen auf die Lehrstühle in Düsseldorf (1929), Heidelberg (1930) und dann, als schon 55-Jähriger, nach Berlin (1932) folgte. Die Berliner Fakultät begründete: 

„Er wäre als Persönlichkeit zur Leitung gerade des Berliner pharmakologischen Instituts geeignet, weil er bei großer Selbstkritik ausgesprochen kritisch eingestellt ist und als aufrechter Mann Führerqualitäten besitzt. Er darf, gestützt auf umfassendes Können und Wissen, als Vorkämpfer der wissenschaftlichen Pharmakologie im Sinne seines Lehrers Schmiedeberg, als scharfer Gegner der industriellen Überproduktion von Arzneimitteln und als erfolgreichster Kritiker des verschwommenen Wunderglaubens an die Heilkraft des ‚Mittels’ gelten. Er ist bei feiner Bildung kraftvoll genug, um sich auch gegen starke Widerstände gewisser Industrie- und Sektenkreise durchzusetzen.“

Wissenschaftliche Schwerpunkte

Heubners wissenschaftliche Schwerpunkte waren die Wirkung von Giften, die Methämoglobinbildung, die Kolloidchemie und der Mineralstoffwechsel. Schon im Ersten Weltkrieg hatte er an der Heeresgasschule zusammen mit Fritz Haber über Kampfgase und Gasvergiftungen geforscht. Spätestens ab 1921 galt er als Kampfgas-Experte. In seiner kritischen Haltung zur industriellen Arzneimittelproduktion folgte er seinem Vorgänger in Berlin, Paul Trendelenburg (1884-1931).

Liberale Haltung

Sein Verhalten gegenüber den NS-Behörden zeugt von einer liberalen Haltung, die er furchtlos gegenüber den Machthabern vertrat. Ein Beispiel ist sein Streit mit Reichserziehungsminister Bernhard Rust: Ihm schrieb er am 4.10.1933 einen mehrseitigen Brief zu dessen Artikel in der Deutschen Allgemeinen Zeitung vom 29.9.1933. Rust hatte geschrieben: „Mit marxistischen, liberalistischen, demokratischen und pazifistischen Lehrern und Hochschullehrern können völkische Erziehungsprogramme nicht verwirklicht werden“. Heubner sah mit den Charakterisierungen „liberalistisch“ und „pazifistisch“ sein Selbstverständnis als Wissenschaftler tangiert und fragte nach, ob er denn das Recht habe, sein „Amt als Hochschullehrer [...] weiter auszuüben“.

Er sei „allerdings von liberaler Gesinnung durch und durch erfüllt“, ja, mehr noch, er halte „das Höchstmass erspriesslicher Arbeit auf dem Gebiete der Wissenschaft wie des akademischen Unterrichts nur aus liberaler Gesinnung heraus für möglich.“ Diese Gesinnung definierte er als „die geistige Unabhängigkeit und Selbstverantwortlichkeit des Einzelnen und die damit logisch verknüpfte Toleranz gegenüber der Geisteswelt der anderen.“ Es wäre ihm „unerträglich, in einem öffentlichen Amt nur deswegen zu verharren, weil etwa bei der vorgesetzten Behörde ein Irrtum über mein wahres Wesen besteht“. Er sei, wie bisher unter jeder Regierung, „bereit zu einer gutwilligen sachlichen Pflichterfüllung, aber niemals zu einem sacrificium intellectus“, also zur Aufgabe des Verstandes im Hinblick auf den Machtanspruch der Regierung. Falls der Minister nach Kenntnis dieser Mitteilungen zur Überzeugung käme, dass sein Verbleiben im Amt nicht mit dem von der Regierung zu verfolgenden Programm zu vereinbaren sei, werde er sich darein zu fügen wissen.

Durch seine Tagebücher sind wir über Heubner gut informiert. Auffällig im Vergleich zu den Professorenkollegen sind die zahlreichen jüdischen Freunde. Ihnen standen Heubner, noch mehr seine Ehefrau Lisa, nach Beginn der Verfolgungen helfend zur Seite. Heubner nahm trotz des Verbots durch den zuständigen Minister 1934 an der Gedenkfeier für den im Exil verstorbenen Fritz Haber teil.  

 

 

 

 

 

 

 

Regimekritische Mitarbeitende des Berliner Instituts

An seinem Berliner Institut arbeiteten neben aktiven Nationalsozialisten auch eindeutig regimekritisch denkende Mitarbeiter an seinem Berliner Institut: Sein späterer Oberassistent Robert Havemann, die Assistenten Fritz von Bergmann (1907-1982), Friedrich Jung (1915-1997) sowie weitere Mitarbeiterinnen gehörten dazu. Havemann war 1932 noch als Chemiestudent (nicht offen auftretendes) Mitglied der KPD geworden. Von 1936 bis 1945 war er am Pharmakologischen Institut u.a. in Forschungsprojekten tätig, die Heubner gemeinsam mit dem Oberstarzt Wolfgang Wirth (1898–1996), Militärärztliche Akademie und Heereswaffenamt, verantwortete. Heubner machte Havemann 1942 zum militärischen und 1943 auch zum politischen Abwehrbeauftragten des Instituts. 1943 wurde Havemann verhaftet und wegen seiner Tätigkeit für die Widerstandsgruppe Europäische Union vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt. 

Auf Drängen Heubners und Wirths, die die Kriegswichtigkeit der Forschungsarbeiten Havemanns hervorhoben, wurde die Vollstreckung des Urteils aufgeschoben. Innerhalb des Zuchthauses Brandenburg-Görden entstand für Havemann sogar ein eigenes Forschungslabor. Zwischen Heubner und Havemann war allerdings vereinbart worden, dass kriegsverwendbare Ergebnisse bei diesen Untersuchungen nicht herauskommen sollten. Ohne die fachliche Autorität Heubners und die militärische Position von Wirth wäre dieses Unternehmen, dem Havemann sein Leben zu verdanken hatte, nicht denkbar gewesen. 

Bis 1949 leitete Heubner das Pharmakologische Institut an der Humboldt-Universität. Nach seiner Emeritierung im Alter von 71 Jahren entschloss er sich, das gleichnamige Institut an der Freien Universität in Berlin (West) aufzubauen und blieb dort weitere vier Jahre im Amt.

Schriften (in Auswahl)

  • Mehrere Beiträge in: Handbuch der experimentellen Pharmakologie, Ergänzungswerk, hg. von Wolfgang Heubner u.a., Berlin u.a. 1935 ff.

Literatur (in Auswahl)

  • Schagen, Udo: Von der Freiheit – und den Spielräumen – der Wissenschaft(ler) im Nationalsozialismus: Wolfgang Heubner und die Pharmakologen der Charité 1933 bis 1945, in: ders./ Sabine Schleiermacher (Hg.), Die Charité im Dritten Reich. Zur Dienstbarkeit medizinischer Wissenschaft im Nationalsozialismus,  2. Aufl. 2019, als E-Book und pdf-Dokument überarbeitet, URL https://charite.zeit-archiv.de.
  • Seidler, Eduard: Heubner, Wolfgang, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 9, Berlin 1972, S. 39f.

 


Wolfgang Heubner

18th May 1877 (Leipzig) – 26th February 1957 (Heidelberg)

 

Doctor and pharmacologist – War gas researcher and later pacifist – Critic of National Socialism from a liberal position

 

Wolfgang Heubner, Foto: Charite - Universitätsmedizin Berlin
Wolfgang Heubner, Foto: Charite - Universitätsmedizin Berlin
Wolfgang Heubner’s career began in Göttingen. After serving in the First World War, he attained senior posts at the university there until he came to Berlin in 1932, via some brief intermediate positions. During the Nazi era, he provided protection for his staff at the Pharmacological Institute and kept his distance from the Nazi regime.

Heubner came from Leipzig; he studied medicine in Göttingen, Berlin, Marburg and Strasbourg. There, he became a member of the Pharmacological Institute in 1903, and, in 1907, he achieved his qualification to teach as a professor. After moving to Göttingen in 1908, initially for appointments as an “extraordinary” professor (a professor without a chair) and Director of the Pharmacological Institute, he became a chaired professor there in 1910. He participated in the First World War as a captain in the artillery medical corps. After returning to Göttingen, he worked there as dean of the Medical Faculty in 1919/1920 and, in 1927/1928, as rector of the university.

 

 Appointment to chairs 

Heubner represented his field in Göttingen for more than 20 years, before accepting a quick succession of appointments to the chairs in Düsseldorf (1929), Heidelberg (1930) and then, already 55 years old, Berlin (1932). The Berlin faculty stated the following grounds:

"He would be a fitting person to lead the Berlin Pharmacological Institute, in particular, because he offers an extremely critical view alongside a great deal of self-critique and, as an upstanding man, possesses leadership qualities. Underpinned by comprehensive skill and knowledge, he may be regarded as a pioneer of scientific pharmacology in line with the ideas of his teacher Schmiedeberg, as a fierce opponent of the industrial overproduction of pharmaceuticals, and as the most successful critic of the nebulous belief in the miraculous healing power of the ‘remedy’. With his fine education, he is forceful enough to prevail against even strong resistance from certain industrial and sectarian circles."

 Scientific focus 

Heubner’s areas of scientific focus were the effect of toxins, the formation of methaemoglobin, colloid chemistry and mineral metabolism. He had already researched combat gases and gas poisoning during the First World War at the Army Gas School together with ® Fritz Haber. By 1921, at the latest, he was regarded an expert in combat gases. He followed his predecessor in Berlin, Paul Trendelenburg (1884–1931), in taking a critical attitude towards the industrial production of pharmaceuticals.

 Liberal attitude

His behaviour towards the Nazi authorities bears witness to a liberal attitude, which he defended fearlessly to those in power. One example is his quarrel with Reich Education Minister Bernhard Rust: on 4th October 1933, he wrote Rust a multi-page letter concerning the latter’s article from 29th September 1933 in the Deutsche Allgemeine Zeitung. Rust had written: “Völkisch [ethnic-popular] education programmes cannot be achieved with Marxist, liberalist, democratic and pacifist teachers and university professors”. Heubner saw the characterisations of “liberalist” and “pacifist” as bearing upon his own conception of himself as an academic and asked whether he had the right, then, to “continue to exercise his position as a university professor”. He said that he was, “indeed, filled through and through with a liberal disposition,” and, furthermore, that he considered “the highest possible degree of fruitful work in the field of science and academic teaching [to] only [be] possible when born from a liberal disposition.” He defined this disposition as “intellectual independence and self-responsibility of the individual and the tolerance towards the intellectual world of others with which these are logically connected”. It would be “intolerable for him to only remain in a public office because, for instance, there [was] a misapprehension about [his] true nature at the superior authority”. As had been the case under every government thus far, he was “willing to fulfil duties in an obliging, objective manner, but never to make a sacrificium intellectus”, that is to say, to abandon reason in view of the government’s claim to power. If, having learnt of these communications, the minister were to come to the conclusion that his continuance in office could not be reconciled with the programme to be pursued by the government, he would be able to resign himself to this.

Thanks to Heubner’s diaries, we are well informed about the man. What is striking is his numerous Jewish friends in comparison to his professorial colleagues. Heubner supported and helped them after their persecution began – and his wife Lisa, even more so. Despite the ban by the minister responsible, Heubner participated in 1934 in the memorial event for ® Fritz Haber, who had died in exile.  

 

 

 

 

 

 

 

 Employees of the Berlin Institute critical of the regime 

In addition to active National Socialists, those working at his Berlin Institute also included staff with a critical view of the regime. Among them were his later senior assistant ® Robert Havemann, the assistants Fritz von Bergmann (1907–1982) and Friedrich Jung (1915–1997), and other staff members. Havemann had (privately) become a member of the Communist Party of Germany (KPD) in 1932 while still a chemistry student. From 1936 to 1945, he worked at the Pharmacological Institute, including in research projects for which Heubner shared responsibility with the medical corps colonel Wolfgang Wirth (1898–1996), who worked at the Military Medical Academy and Army Weapons Office. Heubner made Havemann a military and then a political counterintelligence agent (Abwehrbeauftragter) of the institute in 1942 and 1943, respectively. In 1943, Havemann was arrested and sentenced to death by the People’s Court for his work for the European Union resistance group. At the insistence of Heubner and Wirth, who stressed the importance of Havemann’s research for the war, the execution of the sentence was stayed. A research laboratory was even established especially for Havemann inside Brandenburg-Görden prison. However, it had been agreed between Heubner and Havemann that no results that could be used in war were to come out of these investigations. Without Heubner’s professional authority and Wirth’s military position, this enterprise, to which Havemann owed his life, would not have been conceivable.

Up until 1949, Heubner was head of the Pharmacological Institute at the Humboldt-Universität. After his retirement at the age of 71, he decided to establish an institute of the same name at the Freie-Universität in Berlin’s West, where he remained in office for a further four years.

Written works (selection)

  • Mehrere Beiträge in: Handbuch der experimentellen Pharmakologie, Ergänzungswerk, hg. von Wolfgang Heubner u.a., Berlin u.a. 1935 ff.

References (selection)

  • Schagen, Udo: Von der Freiheit – und den Spielräumen – der Wissenschaft(ler) im Nationalsozialismus: Wolfgang Heubner und die Pharmakologen der Charité 1933 bis 1945, in: ders./ Sabine Schleiermacher (Hg.), Die Charité im Dritten Reich. Zur Dienstbarkeit medizinischer Wissenschaft im Nationalsozialismus,  2. Aufl. 2019, als E-Book und pdf-Dokument überarbeitet, URL https://charite.zeit-archiv.de.
  • Seidler, Eduard: Heubner, Wolfgang, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 9, Berlin 1972, S. 39f.

 

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