Humboldt-Universität zu Berlin

Franz von Liszt

Strafrechtler – Völkerrechtler – Rechtspolitiker

 

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Alternativtext

Franz von Listz / UB der HU

Franz von Liszt gilt als der wichtigste Erneuerer des Strafrechtsdenkens im 19. Jahrhundert. Schon vor seiner Berufung nach Berlin profilierte er sich als Gegner des Vergeltungsstrafrechts und entwickelte Konzepte der Resozialisierung von Straftätern. In Berlin engagierte er sich nicht nur wissenschaftlich, sondern als Abgeordneter des Reichstags und als Politikberater auch politisch.

1851 als Sohn des ranghöchsten österreichischen Staatsanwalts in Wien geboren, studierte Franz Ritter von Liszt (dessen Cousin der Komponist und Namensvetter Franz Liszt war) in seiner Heimatstadt Rechtswissenschaft. Er wurde dort 1874 promoviert. Bereits zwei Jahre später habilitierte er sich in Graz über „Meineid und falsches Zeugnis“. Über Professuren in Gießen (1879-1882), Marburg (1882-1889) und Halle (1889-1898) führte sein Karriereweg schließlich 1898 an die Berliner Universität, wo er bis zu seinem Tod 1919 tätig blieb.

 

 

 

 

Spezialist für Strafrecht

Als Liszt nach Berlin gelangte, hatte er sich im Strafrecht bereits einen Namen gemacht. 1880 hatte er die „Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft“ (diese erscheint bis heute) mitgegründet, in deren Programm sich Strafrechtsdogmatik. Kriminologie und Kriminalpolitik verbanden, und im folgenden Jahr sein „Lehrbuch des deutschen Strafrechts“ vorgelegt, das allein bis zu seinem Tod (1919) 22 Auflagen erlebte. 

Besonderes Aufsehen hatte er 1882 mit seiner Marburger Antrittsvorlesung über den „Zweckgedanken im Strafrecht“ erregt, das fortan als „Marburger Programm“ die im Aufschwung befindliche Strafrechtsreformbewegung inspirierte. Liszt hatte sich hier für ein Strafrecht als Spezialpräventivrecht ausgesprochen, mit dem er sich vom Vergeltungsstrafrecht absetzte und stattdessen Strafe vom Zweck der Gefahrenabwehr her dachte. Anders als viele Vertreter der zeitgenössischen Kriminologie, die in Folge Cesare Lombrosos in kriminalbiologischen Kategorien dachten, hatte Liszt die gesellschaftlichen Ursachen von Kriminalität im Blick.

Strafrecht als der „magna charta des Verbrechers“

Gleichwohl kannte auch er den Typus des „Gewohnheitsverbrechers“, den es in letzter Konsequenz „unschädlich“ zu machen galt (ein Gedanke, der der heutigen Sicherungsverwahrung zu Grunde liegt), während der „Gelegenheitsverbrecher“ „abzuschrecken“ bzw. zu „bessern“ (im heutigen Verständnis: zu resozialisieren) sei. Im Jugendstrafrecht von 1923 sowie im Instrument der Strafaussetzung zur Bewährung, 1953 ins StGB aufgenommen, fanden Liszts Gedanken ihren Niederschlag.

Zum Strafen legitimiert sah Liszt alleine den Rechtsstaat; sein viel zitiertes Wort vom Strafrecht als der „magna charta des Verbrechers“ weist darauf hin. Mit der Gründung der „Internationalen Kriminalistischen Vereinigung“ 1889 suchte Liszt sich mit seinem Programm und seinen Forschungsinteressen auch international zu vernetzen.

Von Liszt als Kriminalpolitiker

Sein wissenschaftlich-politisches Engagement konnte er vom Berliner Lehrstuhl aus noch breiter entfalten. 1902 wurde er in das vom Reichsjustizamt eingesetzte Wissenschaftliche Komitee zur Vorbereitung der Strafrechtsreform berufen, in die Erarbeitung des Vorentwurfs für das neue Strafgesetzbuch war er freilich nicht einbezogen. Dagegen legte er gemeinsam mit drei Strafrechtsprofessoren, u.a. seinem Berliner Kollegen James Goldschmidt, einen Gegenentwurf vor. In die Kommission, die aus beiden Einwürfen ein finales Dokument erstellen sollte, wurde Liszt wiederum nicht berufen.

Damit konnte er sich gegen die Schule um den Münchener Karl von Birkmeyer, die das Vergeltungsstrafrecht weiterhin propagierten, nicht durchsetzen. Das Misslieben der zuständigen staatlichen Stellen zog Liszt wohl auch auf sich, weil er– der zur Zeit des Marburger Programms noch politisch konservativ war – sich in seiner Berliner Zeit bei der linksliberalen Freisinnigen Volkspartei, dann bei der Fortschrittlichen Volkspartei politisch engagierte und letztere ab 1908 im Preußischen Abgeordnetenhaus, ab 1912 im Reichstag vertrat.

Gedanken zum Gründung eines Völkerbunds

Gegenüber seiner Tätigkeit als Strafrechtler sind Liszts Arbeiten zum Völkerrecht in den Hintergrund der Rezeption getreten. Auf diesem Gebiet war er nicht nur Autor des bis zum Ersten Weltkrieg erfolgreichsten deutschsprachigen Lehrbuchs („Völkerrecht. Systematisch dargestellt“), sondern leistete auch eine Reihe von Beiträgen zum internationalen Schiedsrecht sowie Überlegungen, die als Vorläufer des modernen Völkerstrafrechts gelten.

Im Sommer 1918 plädierte er in einem veröffentlichten Gutachten für die Anerkennung Georgiens, das sich von Russland gelöst hatte. Schon früh bekannte er sich zum Gedanken eines Völkerbunds, dessen Gründung er freilich nicht mehr erleben sollte.

Schriften (in Auswahl)

  • Lehrbuch des deutschen Strafrechts, (1881), 26. Aufl. Berlin 1932 (ab 1919 zusammen mit Schmidt).
  • Der Zweckgedanke im Strafrecht (1882/3), Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 3 (1882), 1 ff. (Nachdruck Baden-Baden 2002).
  • Strafrechtliche Aufsätze und Vorträge, 2 Bde., 1905.
  • Das Völkerrecht. Systematisch dargestellt, 11. Aufl. Berlin 1918.

Literatur (in Auswahl)

  • Franz von Liszt zum Gedächtnis – zur Wiederkehr seines Todestages am 21. Juni 1919, Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 81 (1969).
  • Frommel, Monika: Was bedeutet uns heute noch Franz von Liszt?, in: Neue Kriminalpolitik 24 (2012), S. 152-160.
  • Frommel, Monika: Liszt, Franz Ritter von, in: Deutsche Biographie 14 (1985), S. 704-705.
  • Hermann, Florian: Das Standardwerk. Franz von Liszt und das Völkerrecht, Baden-Baden 2001. 
  • Muñoz Conde, Francisco: Franz von Liszt (1851-1919), Franz von Liszt als Strafrechtsdogmatiker und Kriminalpolitiker, in: Festschrift 200 Jahre Juristische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin, hg. von Stefan Grundmann u.a., Berlin 2010, S. 439-454.



Franz von Liszt

2nd March 1851 (Vienna) – 21st June 1919 (Seeheim)

 

Expert in criminal law – Expert in international law – Legal politician

 

Franz von Listz / UB der HUFranz von Liszt is considered the most important innovator of criminal law thinking in the 19th century. Even before his appointment to a professorship in Berlin, he distinguished himself as an opponent of retributive criminal law and developed concepts for the rehabilitation of offenders. In Berlin, he was not only active in the academic world, but also politically, as a member of the Reichstag and as a political adviser. 

Born in Vienna in 1851, the son of the highest-ranking public prosecutor in Austria, Franz Ritter von Liszt (whose cousin was his namesake, the composer Franz Liszt) studied jurisprudence in his hometown. He obtained his doctorate there in 1874. Just two years later, he habilitated (attained the qualification needed to hold professorial positions) in Graz with a thesis on “Perjury and False Testimony” (“Meineid und falsches Zeugnis”). Via professorships in Giessen (1879–1882), Marburg (1882–1889) and Halle (1889–1898), his career path eventually led to the University of Berlin in 1898, where he remained until his death in 1919.

 

 

 

 

 

Specialist in criminal law

Liszt had already made a name for himself in criminal law before he arrived in Berlin. In 1880, he had co-founded the Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft (which continues to be published today), whose programme combined criminal law doctrine, criminology and criminal policy, and, the following year, he had published his Lehrbuch des deutschen Strafrechts (Textbook of German criminal law), of which there were 22 editions just up until his death alone, in 1919. He had caused a particular stir in 1882 with his inaugural lecture in Marburg on the “The Idea of Purpose in Criminal Law” (“Zweckgedanken im Strafrecht”), which henceforth, as the “Marburg Programme”, inspired the criminal law reform movement that was on the upswing. Liszt had spoken out in favour of criminal law as a special preventive law, with which he set himself apart from retributive criminal law and instead thought of punishment from the starting point of a purpose of protecting against threats. Unlike many representatives of contemporary criminology, who thought in criminal-biological categories in the wake of Cesare Lombroso, Liszt had his eye on the social causes of crime.

Criminal law as the "magna charta of the criminal".

Nevertheless, he was also familiar with the stock character of the “habitual offender”, who ultimately had to be rendered “harmless” (a thought that underlies preventive detention today), while the casual or “occasional offender” had to be “deterred” or “reformed” (in today’s understanding: re-socialised). Liszt’s ideas were reflected in the juvenile criminal legislation of 1923 and in the instrument of suspended sentences with probation, which was incorporated into the Criminal Code (StGB) in 1953.

Liszt saw only the constitutionally governed state, based on the rule of law, as authorised to hand out punishment; his much-quoted remark about criminal law being the “Magna Carta of the criminal” hints at this. With the foundation of the Internationale Kriminalistische Vereinigung (International Criminalistics Association) in 1889, Liszt also sought to network with his programme and research interests internationally.

Von Liszt as a criminal politician

He was able to spread his academic and political commitment even more widely from his chair in Berlin. In 1902, he was appointed to the Scientific Committee for the Preparation of Criminal Law Reform set up by the Reichsjustizamt (Imperial Department of Justice), though he was not involved in developing the preliminary draft of the new Criminal Code. Instead, he presented an alternative draft together with three professors of criminal law, including his Berlin colleague James Goldschmidt. However, Liszt was not appointed to the commission that was to draw up a final document on the basis of both submissions. He was therefore unable to prevail against the school surrounding Munich’s Karl von Birkmeyer, who continued to preach retributive law. Liszt likely also incurred the displeasure of the responsible state bodies because – while still politically conservative at the time of the Marburg Programme – during his time in Berlin, he became politically involved in the left-liberal Free-Minded People’s Party (Freisinnige Volkspartei) then the Progressive People’s Party (Fortschrittliche Volkspartei), the latter of which he represented from 1908 onwards in the Prussian House of Representatives (Preußisches Abgeordnetenhaus), and, from 1912, in the Reichstag.

Thoughts on the establishment of a League of Nations

Compared to his activities as a criminal law specialist, Liszt’s work on international law has taken a back seat in the reception. In this field, he was not only the author of the most successful German-language textbook up until the First World War (“Völkerrecht. Systematisch dargestellt” [International law. A systematic account”], but also made a number of contributions to international arbitration law and provided reflections that are regarded as precursors of modern international criminal law. In the summer of 1918, in a report that was published, he made a plea for the recognition of Georgia, which had broken away from Russia. He professed the idea of a League of Nations, though, of course, he was not to experience its founding.

Written works (selectio)

  • Lehrbuch des deutschen Strafrechts, (1881), 26. Aufl. Berlin 1932 (ab 1919 zusammen mit Schmidt).
  • Der Zweckgedanke im Strafrecht (1882/3), Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 3 (1882), 1 ff. (Nachdruck Baden-Baden 2002).
  • Strafrechtliche Aufsätze und Vorträge, 2 Bde., 1905.
  • Das Völkerrecht. Systematisch dargestellt, 11. Aufl. Berlin 1918.

References (selection)

  • Franz von Liszt zum Gedächtnis – zur Wiederkehr seines Todestages am 21. Juni 1919, Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 81 (1969).
  • Frommel, Monika: Was bedeutet uns heute noch Franz von Liszt?, in: Neue Kriminalpolitik 24 (2012), S. 152-160.
  • Frommel, Monika: Liszt, Franz Ritter von, in: Deutsche Biographie 14 (1985), S. 704-705.
  • Hermann, Florian: Das Standardwerk. Franz von Liszt und das Völkerrecht, Baden-Baden 2001. 
  • Muñoz Conde, Francisco: Franz von Liszt (1851-1919), Franz von Liszt als Strafrechtsdogmatiker und Kriminalpolitiker, in: Festschrift 200 Jahre Juristische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin, hg. von Stefan Grundmann u.a., Berlin 2010, S. 439-454.


 

 

 

 

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