Humboldt-Universität zu Berlin

Agnes von Zahn-Harnack

Erste Studentin der Berliner Universität – Pionierin der akademischen Frauenbewegung

 

See English version below

 

Agnes von Zahn-Harnack

Dr. Agnes von Zahn-Harnack / bpk

Agnes von Zahn-Harnack war die erste Studentin an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin. Nachdem das preußische Kultusministerium am 18. August 1908 eine Verordnung über die Zulassung von Frauen zum Universitätsstudium erlassen hatte, schrieb sie sich an der Berliner Universität ein und studierte Germanistik, Anglistik und Philosophie. Vier Jahre später wurde sie an der Universität Greifswald mit einer Arbeit über Clemens Brentano zum Dr. phil. promoviert. Heute erinnert das „AGNES – Lehre und Prüfung Online“-System der Humboldt-Universität an diese außergewöhnliche Frau, die als Pionierin des Frauenstudiums und der Frauenforschung gilt.

Während Dorothea von Erxleben (1715-1762) mehr als 125 Jahre zuvor, von derselben kämpferischen Haltung und Entschlusskraft, sich ihren Weg an die Universität noch als „Einzelkämpferin“ bahnen musste, unterstützt von ihrem Vater, und 1784 als erste Frau an einer deutschen Universität – in Halle – promoviert wurde, stand Agnes von Zahn-Harnack gemeinsam mit Marie-Elisabeth Lüders an der Spitze einer akademischen Frauenbewegung, mit der sie zahlreiche Mitstreiterinnen für das Frauenstudium und die Gleichberechtigung der Frauen in der Academia mobilisierte.

Werdegang

Agnes von Zahn-Harnack wurde am 19. Juni 1884 in Marburg geboren und starb am 22. Mai 1950 in Berlin. Mit ihren Eltern und sechs Geschwistern zog sie 1888 nach Berlin, wo ihr Vater, Adolf von Harnack, zum Professor für Kirchengeschichte an die Friedrich-Wilhelms-Universität berufen worden war. Von 1900 bis 1903 absolvierte sie eine Ausbildung zur Lehrerin für mittlere und höhere Mädchenschulen und unterrichtete anschließend an einer Höheren Töchterschule in Berlin-Charlottenburg. 1908 legte sie als Externe am Sophien-Realgymnasium das Abitur ab, um unmittelbar darauf mit ihrem Universitätsstudium zu beginnen. 

Politische Positionierung

1914 trat von Zahn-Harnack dem Nationalen Frauendienst, einer Art weiblichem Äquivalent des Dienstes an der Front, bei und schloss sich nach Kriegsende der DDP an, einer linksliberalen Partei in der Weimarer Republik. Im Mai 1926 gründetet sie gemeinsam mit Marie-Elisabeth Lüders den Deutschen Akademikerinnenbund (DAB), dessen Vorsitzende sie für die folgenden vier Jahre wurde. Anliegen des DAB war es, die universitäre Frauenbildung voranzubringen und zu fördern.

Die Frauenbewegung

In der Zeit der Weimarer Republik arbeitete Agnes von Zahn-Harnack als freie Autorin und Schriftstellerin. Hier entstand eine Vielzahl von Schriften zur Frauenbewegung, zu gesellschaftspolitischen Themen sowie zu kirchlichen bzw. theologischen Fragen, denen ebenfalls zeitlebens ihr Interesse galt. Hervorzuheben sind dabei vor allem das 1928 erschienene Buch „Die Frauenbewegung. Geschichte, Probleme, Ziele“ und die 1934 mit Hans Sveistrup herausgegebene Bibliografie „Die Frauenfrage in Deutschland. Strömungen und Gegenströmungen 1790-1930. Sachlich geordnete und erläuterte Quellenkunde“, die bis heute aktualisiert wird.

Vorsitzende des Bundes Deutscher Frauenvereine (BDF)

Im Herbst 1931 wurde sie zur ersten Vorsitzenden des bereits 1894 gegründeten Bundes Deutscher Frauenvereine (BDF) gewählt, dem größten Dachverband der Vereine und Verbände der bürgerlichen Frauenbewegung mit rund einer Million Mitgliedern. 1933 löste sich der Bund selbst auf, um nicht der nationalsozialistischen Frauenbewegung angeschlossen zu werden. Innere Emigration Für Agnes von Zahn-Harnack folgte eine Zeit der „inneren Emigration“, in deren Verlauf sie 1936 die Biografie ihres Vaters Adolf von Harnack schrieb. Darin brachte sie auch ihre eigene, liberal-protestantische Kritik am Nationalsozialismus zum Ausdruck. Belegt ist überdies, mindestens in einem konkreten Fall, dass sie in der Zeit des Krieges Kindern jüdischer Abstammung, denen der Schulbesuch untersagt war, privaten Unterricht erteilte, und wahrscheinlich war sie auch – über ihre Schwester Elisabeth und Mitstreiterinnen des früheren BDF – in das Versteck jüdischer Kinder im Landjugendheim Finkenkrug bei Berlin eingeweiht. 1945 wurde ihr jüngerer Bruder Ernst von Harnack als Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus hingerichtet, ebenso wie ihr Cousin Arvid Harnack und dessen Frau Mildred.

Auf der Gedenkfeier am 5. März 1946 für ihren Bruder sprach Agnes von Zahn-Harnack im Namen der Familie und erinnerte an die hingerichteten Widerstandskämpfer des Berliner Bildungsbürgertums liberal-protestantischer Gesinnung, teils aus der Nachbarschaft ihrer Kindheit, wie z. B. der Familien von Dohnanyi und Bonhoeffer.

Gründung des Berliner Frauenbund 1945 e.V.

Unmittelbar nach Kriegsende initiierten Agnes von Zahn-Harnack und weitere frühere Aktivistinnen die Gründung eines neuen „Deutschen Frauenbundes“, aus dem der „Berliner Frauenbund 1945 e. V.“ hervorging, und beteiligte sich 1949 auch an der Neugründung des DAB. Die Frauen der ersten Stunde wollten nun mehr als Bildungschancen und caritatives Engagement, es ging ihnen um tatsächliche Gleichberechtigung in Ausbildung, Politik, Erwerbsleben und Gesellschaft. Beim Verfassungsausschuss der Berliner Stadtverordnetenversammlung beantragte der BFB die Aufnahme eines Friedensparagraphen, dem Parlamentarischen Rat, der das Grundgesetz entwarf, legten sie den Entwurf für ein Wehrdienstverweigerungsrecht vor. Bis zu ihrem Tod 1950 arbeitete Agnes von Zahn-Harnack als freie Publizistin und Journalistin, u. a. für den RIAS Berlin, und verfasste zahlreiche Rundfunk- und Pressebeiträge. Im Juni 1949 wurde ihr durch die Theologische Fakultät der Universität Marburg die Ehrendoktorwürde verliehen. Agnes von Zahn-Harnack starb am 22. Mai 1950 in Berlin.

Schriften (in Auswahl)

Die arbeitende Frau, Breslau 1924. Die Frauenbewegung. Geschichte, Probleme, Ziele, Berlin 1928. (mit Hans Sveistrup)

  • Die Frauenfrage in Deutschland. Strömungen und Gegenströmungen 1790-1930, Berlin 1934.
  • Schriften und Reden 1914-1950, hg. von Marga Anders und Ilse Reicke, Tübingen 1964.
  • Wandlungen des Frauenlebens vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Berlin 1951.
  • Adolf von Harnack, 2., verb. Aufl. Berlin 1951.
  • Der Apostolikumstreit des Jahres 1892 und seine Bedeutung für die Gegenwart, Marburg 1950.

Literatur (in Auswahl)

  • Bauer, Gisa: Kulturprotestantismus und frühe bürgerliche Frauenbewegung in Deutschland: Agnes von Zahn-Harnack, Leipzig 2006.
  • Cymorek, Hans/Friedrich Wilhelm Graf: Agnes von Zahn-Harnack (1884-1950), in: Inge Mager (Hg.), Frauenprofile des Luthertums.
  • Lebensgeschichten im 20. Jahrhundert, Gütersloh 2005, S. 202-251.

 

 


 

Agnes von Zahn-Harnack

19th June 1884 (Giessen) – 22nd May 1950 (Berlin)

 

First female student at the University of Berlin – Pioneer of the academic women’s movement

 

Dr. Agnes von Zahn-Harnack / bpk
Agnes von Zahn-Harnack, Foto: bpk
Agnes von Zahn-Harnack was the first female student at the Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin. After the Prussian Ministry of Education and Cultural Affairs enacted an ordinance on the admission of women to universities on 18th August 1908, she enrolled at the University of Berlin and studied German, English and philosophy. Four years later, she received her doctorate (Dr phil.) from the University of Greifswald with a thesis on Clemens Brentano. Today, the AGNES online teaching and examination system (“AGNES – Lehre und Prüfung Online”) at the Humboldt-Universität reminds us of this extraordinary woman, who is considered a pioneer of women’s studies and research.

 

While Dorothea von Erxleben (1715–1762), more than 125 years earlier and made of the same fighting attitude and determination, had had to battle her way to university as a “lone warrior”, supported by her father – becoming the first woman to receive a doctorate at a German university, in Halle, in 1784 – Agnes von Zahn-Harnack, together with ® Marie-Elisabeth Lüders, was at the vanguard of an academic women’s movement which she used to mobilise numerous fellow campaigners for university education for women and their equal rights in academia.

 

Career

Agnes von Zahn-Harnack was born on 19th June 1884 in Marburg. Together with her parents and six siblings, she moved to Berlin in 1888, where her father, Adolf von Harnack, had been appointed professor of ecclesiastical history at the Friedrich-Wilhelms-Universität. From 1900 to 1903, she completed training to become a teacher for mittlere and höhere Mädchenschulen (historic forms of girls’ school, comparable to lower secondary level today, that prepared its students not for university study but for management of a household) and then taught at a höhere Tochterschule (as above, often for those from well-to-do families) in Berlin-Charlottenburg. In 1908, she sat her Abitur (final school examinations that granted eligibility to study at university) as an external student at the Sophien-Realgymnasium in order to begin her university studies immediately thereafter.

Political positioning 

In 1914, von Zahn-Harnack entered the Nationaler Frauendienst (National Women’s Service), a kind of female equivalent to service on the frontline, and, after the war, she joined the German Democratic Party (DDP), a left-liberal party in the Weimar Republic. In May 1926, together with Marie-Elisabeth Lüders, she founded the German Association of Female Academics (Deutscher Akademikerinnenbund [DAB]), becoming its chairman for the next four years. The aim of the DAB was to promote and support university education for women.

The women's movement

During the Weimar Republic, Agnes von Zahn-Harnack worked as a freelance author and writer. She composed a large number of works here on the women’s movement and socio-political issues, as well as ecclesiastical and theological issues, in which she also maintained a lifelong interest. Particularly worthy of mention are the book Die Frauenbewegung. Geschichte, Probleme, Ziele (The women’s movement. History, problems, goals), published in 1928, and the 1934 bibliography Die Frauenfrage in Deutschland. Strömungen und Gegenströmungen 1790-1930. Sachlich geordnete und erläuterte Quellenkunde (The question of women’s rights in Germany. Currents and counter-currents 1790–1930. A study of sources, arranged by subject matter and with explanatory notes), which she edited with Hans Sveistrup, and which is still updated to this day.

Chairwoman of the Federation of
German Women's Associations (BDF)

In the autumn of 1931, she was elected first chairwoman of the Bund Deutscher Frauenvereine (BDF; Federation of German Women’s Associations), which had been founded in 1894 already and was the largest umbrella organisation of societies and associations of the bourgeois women’s movement, with around one million members. In 1933, the federation disbanded on its own initiative in order to not be attached to the National Socialist women’s movement.

 

For Agnes von Zahn-Harnack, a period of “inner emigration” followed, during which time she wrote the biography of her father, Adolf von Harnack, in 1936. In it, she also expressed her own liberal Protestant criticism of National Socialism. There is also evidence, at least in one specific case, that she gave private tuition during the war to children of Jewish descent, who were forbidden from attending school, and she was probably also let in – by her sister Elisabeth and fellow campaigners of the former BDF – on the hiding of Jewish children at the Landjugendheim Finkenkrug (countryside youth centre in Finkenkrug) near Berlin.

 

In 1945, her younger brother Ernst von Harnack was executed as a resistance fighter against National Socialism, as were her cousin Arvid Harnack and his wife Mildred. At the memorial ceremony for her brother on 5th March 1946, Agnes von Zahn-Harnack spoke on behalf of her family and recollected the executed resistance fighters from the Berlin middle-class of a liberal Protestant disposition, some of whom came from her childhood neighbourhood, such as the families of Dohnanyi and Bonhoeffer.

Foundation of the Berliner Frauenbund 1945 e.V.

Immediately after the end of the war, Agnes von Zahn-Harnack and other former activists initiated the founding of a new “German Women’s League” (Deutscher Frauenverbund), from which the Berlin Women’s League (Berliner Frauenbund 1945 e. V.) emerged, and, in 1949, she was also involved in the re-founding of the Deutscher Akademikerinnenbund.

 

The women of the first hour now wanted more than educational opportunities and charitable commitment; they were looking for actual equality in education, politics, working life and society. The Berlin Women’s League made an application to the Constitutional Committee of the Berlin City Assembly for the inclusion of a peace paragraph and presented the Parliamentary Council, which drafted the constitution, with the draft for a right to conscientiously object to military service.

 

Until her death in 1950, Agnes von Zahn-Harnack worked as a freelance commentator and journalist, including for RIAS Berlin, and wrote numerous radio and press articles. In June 1949, she was awarded an honorary doctorate by the Theology Faculty of the University of Marburg. Agnes von Zahn-Harnack died on 22nd May 1950 in Berlin.

Written works (selection)

Die arbeitende Frau, Breslau 1924. Die Frauenbewegung. Geschichte, Probleme, Ziele, Berlin 1928. (mit Hans Sveistrup)

  • Die Frauenfrage in Deutschland. Strömungen und Gegenströmungen 1790-1930, Berlin 1934.
  • Schriften und Reden 1914-1950, hg. von Marga Anders und Ilse Reicke, Tübingen 1964.
  • Wandlungen des Frauenlebens vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Berlin 1951.
  • Adolf von Harnack, 2., verb. Aufl. Berlin 1951.
  • Der Apostolikumstreit des Jahres 1892 und seine Bedeutung für die Gegenwart, Marburg 1950.

References (selection)

  • Bauer, Gisa: Kulturprotestantismus und frühe bürgerliche Frauenbewegung in Deutschland: Agnes von Zahn-Harnack, Leipzig 2006.
  • Cymorek, Hans/Friedrich Wilhelm Graf: Agnes von Zahn-Harnack (1884-1950), in: Inge Mager (Hg.), Frauenprofile des Luthertums.
  • Lebensgeschichten im 20. Jahrhundert, Gütersloh 2005, S. 202-251.

 

 

Kontakt

Abteilung Kommunikation, Marketing und Veranstaltungsmanagement (VIII)

Online-Redaktion

E-Mail: hu-online@hu-berlin.de