Humboldt-Universität zu Berlin

Friedrich Schleiermacher

Theologe – Mitbegründer der Berliner Universität – „Kirchenvater des 19. Jahrhunderts“

 

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Friedrich Schleiermacher
Friedrich Schleiermacher, Foto: HU Berlin
Friedrich Schleiermacher war einer der bedeutendsten und vielseitigsten Gelehrten seines Zeitalters, insbesondere in den ersten drei Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts. Untrennbar ist er mit der Berliner Universität verbunden, an deren Gründung er maßgeblich beteiligt war, und wo er von 1815-1816 auch das – jährlich wechselnde – Rektorenamt versah.

Die Bandbreite seiner Themen und Gedanken reicht von den alten Sprachen (er übersetzte u. a. die Werke Platons ins Deutsche) über Theologie, Philosophie und Pädagogik bis in die Linguistik und die Staatswissenschaft. Aus der Fülle seines Werkes sind hier vor allem seine im Kontext der Universitätsgründung formulierten Gedanken über den Zusammenhang von Wissenschaft und Religion sowie über die universitäre Bildung – vor allem die Bedeutung der akademischen Lehr- und Lernfreiheit – von Interesse.

 

 

 

 

Werdegang

Schleiermacher wurde 1768 in Breslau als Sohn eines reformierten Feldpredigers geboren. Ab 1783 besuchte er das Pädagogium der Herrnhuter Brüder-Unität in Niesky, von 1785 bis 1787 ihr Seminar in Barby. Hier distanzierte er sich von der dogmatisch-positiven Religiosität der Herrnhuter und schrieb sich für ein Studium der Evangelischen Theologie an der Universität Halle ein. In der Saalestadt begann er, sich – durchaus schon kontrovers – mit dem Rationalismus Christian Wolffs und der Philosophie Immanuel Kants auseinanderzusetzen.

Nach dem Studium und Zwischenstationen als Hauslehrer  auf Schloss Schlobitten in Ostpreußen, Hilfsprediger in Landsberg/Warthe, Prediger an der Charité in Berlin, wo er 1796 Friedrich Schlegel kennenlernte, und Hofprediger in Stolp trat er 1804 eine zunächst außerordentliche, ab 1806 ordentliche Professur für Theologie in Halle an. Da die hallesche Universität im selben Jahr – infolge der verlorenen Schlacht gegen Napoleon bei Jena und Auerstedt – kurzzeitig geschlossen wurde, wechselte er 1807 nach Berlin und nahm eine Stelle als Prediger an der Dreifaltigkeitskirche an. Gemeinsam mit seiner Frau wurde er Mitglied der Singakademie Carl Friedrich Zelters, die damals ein bedeutendes geistig-kulturelles Zentrum Berlins war. Vor allem aber setzte sich Schleiermacher – gemeinsam mit dem Freiherrn vom Stein und Wilhelm von Humboldt – für die Gründung der Friedrich-Wilhelms-Universität ein, an der er ab 1810 bis zu seinem Tod am 12. Februar 1834 als ordentlicher Professor für Theologie lehrte. Parallel war er Mitglied der Königlich-Preußischen Akademie der Wissenschaften, die ihn 1814 zum Sekretär der philosophischen Abteilung wählte.

Spannungen zwischen
Religiosität und Rationalität

Zeitlebens interessierte Schleiermacher die Spannung zwischen Religiosität und Rationalismus, oder einfacher gesagt, zwischen Glaube und Vernunft. In seiner Schrift „Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern“, erschienen schon 1799, verteidigte er die Religion gegen die Aufklärung, und zugleich die Aufklärung gegen die Religion. Schon in Halle, wo 100 Jahre zuvor der Frühaufklärer Christian Thomasius und der pietistische Waisenvater August Hermann Francke in einer produktiven – und freundschaftlichen – Spannung zueinander standen, war der Grundstein für dieses Interesse des jungen Theologiestudenten gelegt worden.

So grenzte er sich vom philosophischen Rationalismus à la Christian Wolff ebenso ab wie von der Vernunftphilosophie Immanuel Kants; ohne beiden zu widersprechen, spannte er quer zu ihren Denkansätzen (oder über diese hinweg) eine Brücke, die den ganzheitlichen Sinn unseres – auch individuellen – Seins aufruft, eine Transzendenz, die man Schleiermacher zufolge nur in der Religion verstehen und erfahren könne. Das darf man durchaus als frühe, kritische Distanz oder zumindest Skepsis gegenüber der Aufklärung ansehen. Er griff damit Debatten vor, die erst gut 200 Jahre später in der Philosophie geführt werden.

Der sich selbst bildende Mensch

Für Schleiermacher war die Grundbeziehung des sich selbst bildenden Menschen die Bezugnahme auf das „Unendliche“, das Universum. „Mit Schmerzen sehe ich es täglich“, adressiert Schleiermacher an die Vertreter des Rationalismus , „wie die Wuth des Berechnens und Erklärens den Sinn gar nicht aufkommen läßt, und wie alles sich vereinigt, den Menschen auf das Endliche und an einen sehr kleinen Punkt desselben zu befestigen, damit das Unendliche ihm so weit als möglich aus den Augen gerückt werde” (1868, S. 117). Damit wurde für ihn die Religion die „ursprüngliche und geschworene Feindin aller Kleinsinnigkeit und aller Einseitigkeit” (ebd. S. 52).

Mit heutigen Worten könnte man sagen, als Instanz der kritischen Relativierung verhilft sie dem Menschen zu seiner Ganzheit, oder, wie Schleiermacher es ausdrückte, zu seinem „ungetheilten Dasein“ (ebd., S. 10). Solche Denkansätze haben Schleiermacher in der Theologie den Ruf des „Kirchenvaters des 19. Jahrhunderts“ eingebracht, er gilt als früher Vertreter des ab etwa 1860 so genannten „Kulturprotestantismus“ und der „Vermittlungstheologie“, die auf die Notwendigkeit religiöser Besinnung auch des vernunftgeleiteten und rational denkenden Gebildeten aufmerksam machen wollte.

Nicht minder interessant sind Schleiermachers „Gelegentliche Gedanken über Universitäten in deutschem Sinn“ von 1808 und seine „Vorlesungen über Pädagogik“, die er in den Wintersemestern 1813/14 und 1820/21 (später noch einmal 1826 unter dem Titel „Grundzüge der Erziehungskunst“) abgehalten hat.

Schleiermachers Wissenschaftsbegriff

In der engen Einheit des Schleiermacher‘schen Wissenschaftsbegriffs mit seiner Lehrkonzeption leitete er die Notwendigkeit akademischer Freiheit aus der Überzeugung her, dass der „wahrhaft wissenschaftliche Geist“ nicht im Zwange zu erregen sei (1808, S. 110). Gewiss könne man unter strenger Aufsicht und Kontrolle u. U. mehr lernen, aber weniger erkennen: „... allein man vergißt, daß das Lernen … nicht der Zweck der Universität ist, sondern das Erkennen“ (ebenda). Mit diesem Plädoyer Schleiermachers für Freiheit und „Rat“ fällt das Schlüsselwort nicht nur für ein gewandeltes akademisches Lehrverständnis, sondern auch für ein neues Verhältnis von Lehrenden und Studierenden zueinander, in ihrer berühmten humboldtschen „Gemeinschaft“. 

Für Schleiermacher war die Universität das Bindeglied zwischen Schule und Akademie, sie fungiert als „Nachschule“ und „Vorakademie“ (1808, S. 39).  Vielleicht resultiert daraus die für ihn charakteristische Tendenz des Ausgleichs und der Toleranz auch in der Bewertung jener „Menge kleinen Frevels“ (ebd. S. 107) namentlich auf Seiten der Studenten im Gebrauch dieses hohen Gutes der Freiheit. Aber dies war Toleranz nach innen, die sich mit größter Unduldsamkeit nach außen paarte, sobald es um Ansprüche ging, die der Staat auf die Schulen und Universitäten erhob, indem er sie – zu ihrem Schaden – „als Anstalten ansieht, in welchen die Wissenschaften nicht um ihret-, sondern um seinetwillen betrieben werden“ (ebenda, S. 46). 

Die Aktualität dieser Gedanken kann man bis in die universitäre Gegenwart hinein nicht deutlich genug unterstreichen.

Schriften (in Auswahl)

  • Kritische Gesamtausgabe, hg. von Lutz Käppel u.a., 5 Abteilungen, Berlin (seit 1983, Abschluss 2034 geplant)
  • Gelegentliche Gedanken über Universitäten im deutschen Sinn. Nebst einem Anhang über eine neu zu errichtende, Berlin 1808.
  • Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern, hg. von Carl Schwarz, Leipzig 1868.

Literatur (in Auswahl)

  • Nowak, Kurt: Schleiermacher. Leben, Werk und Wirkung, Göttingen 2001.

  • Crouter, Richard: Friedrich Schleiermacher between Enlightenment and Romanticism, Cambridge 2005.
  • Ohst, Martin (Hg.): Schleiermacher Handbuch, Tübingen 2017.

 

 


 

Friedrich Schleiermacher

21st November 1768 (Breslau/today Wrocław) – 12th February 1834 (Berlin)

 

Theologian – Co-founder of the University of Berlin – “Church Father of the 19th century”

 

 

Friedrich Schleiermacher
Friedrich Schleiermacher, Foto: HU Berlin

Friedrich Schleiermacher was one of the most important and eclectic scholars of his age, especially during the first three decades of the 19th century. He is inextricably linked to the University of Berlin, in whose founding he played an instrumental role, and where he also held the office of rector – a post that was newly filled each year – from 1815 to 1816.

The range of his subjects and ideas stretches from the ancient languages (he translated Plato’s works, among others, into German) to theology, philosophy, and pedagogy, as well as linguistics and political science. From his wealth of works, it is above all the thoughts he formulated in the context of the founding of the university concerning the connection between science and religion and concerning university education – most notably, the importance of academic freedom – that are of particular interest here.

 

 

 

 

Career

Schleiermacher was born in Breslau (now Wrocław) in 1768, the son of a Reformed army chaplain. From 1783, he attended the Pädagogium (a historical term used for advanced schools that prepared students for further study) of the Moravian Church in Niesky, then, from 1785 to 1787, its seminary in Barby. There, he distanced himself from the dogmatic-positive religiosity of the Herrnhuters (members of the sect of the “United Brethren”, or Moravians) and enrolled for a degree in Protestant theology at the University of Halle. In the city on the Saale, he began to engage – quite controversially – with the rationalism of Christian Wolff and the philosophy of Immanuel Kant.

After his studies and some intermediary posts as a home tutor at Schloss Schlobitten in East Prussia, an assistant preacher in Landsberg/Warthe, a preacher at the Charité in Berlin, where he met Friedrich Schlegel in 1796, and a court chaplain in Stolp, he took up first an “extraordinary” (non-chaired) professorship of theology, in 1804, then a full professorship with a chair, from 1806 onwards, in Halle. Since the University of Halle was briefly closed that same year – as a result of the defeat in battle against Napoleon at Jena and Auerstedt – he moved to Berlin in 1807 and accepted a position as a preacher at the Holy Trinity Church (Dreifaltigkeitskirche). Together with his wife, he became a member of Carl Friedrich Zelter’s Singakademie, which, at the time, was an important intellectual and cultural hub in Berlin. Most notably, though, Schleiermacher campaigned – together with Baron vom Stein and Wilhelm von Humboldt – for the founding of the Friedrich-Wilhelms-Universität, where he taught as a chaired professor of theology from 1810 until his death on 12th February 1834. He was at the same time a member of the Royal Prussian Academy of Sciences, which elected him secretary of its philosophical division in 1814.

Tension between religiosity and rationalism

Throughout his life, Schleiermacher was interested in the tension between religiosity and rationalism, or, to put it more simply, between faith and reason. In his essay “Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern”(“On Religion: Speeches to its Cultured Despisers”), published as early as 1799, he defended religion against the Enlightenment, and, likewise, the Enlightenment against religion.

The foundation stone for this interest on the part of the young theology student had already been laid in Halle, where, 100 years earlier, the philosopher of the early Enlightenment Christian Thomasius and the Pietist orphanage director August Hermann Francke had enjoyed a productive – and friendly – tension. He thus distanced himself from philosophical rationalism à la Christian Wolff, as well as from the philosophy of reason of Immanuel Kant; without contradicting either, he formed a bridge across to their intellectual approaches (or beyond them) that invokes the holistic sense of our being – including our individual being – a transcendence which, according to Schleiermacher, can only be understood and experienced in religion. This can certainly be seen as early, critical distance from, or at least scepticism towards, the Enlightenment. He thereby anticipated debates that were not conducted in philosophy until a good 200 years later.

The self-cultivating man

For Schleiermacher, the fundamental relationship of the self-cultivating man was his reference to the “infinite”, the universe. “With pain I see daily,” says Schleiermacher, addressing the representatives of rationalism, “how the rage for calculating and explaining completely suppresses the sense. I see how all things unite to bind man to the finite, and to a very small portion of the finite, that the infinite may as far as possible vanish from his eyes” (Oman 1994, pp. 124–5). Thus, religion became for him the “natural and sworn foe of all narrow-mindedness, and of all one-sidedness” (ibid. p. 56). In today’s words, one might say that, as an instance of critical relativisation, it helps man attain his wholeness, or, as Schleiermacher put it, his “undivided existence” (ibid. p. 9).

Such approaches earned Schleiermacher the name “Church Father of the nineteenth century” within theology; he is regarded as an early proponent of so-called “cultural Protestantism”, which took shape from around 1860 onwards, and of “mediation theology” (Vermittlungstheologie), which wanted to draw attention to the need for religious reflection among even the well-educated who are guided by reason and think rationally.

No less interesting are Schleiermacher’s Occasional Thoughts on Universities in the German Sense (Gelegentliche Gedanken über Universitäten in deutschem Sinn), from 1808, or his “Lectures on Pedagogy” (Vorlesungen über Pädagogik), which he held in the winter semesters of 1813/14 and 1820/21 (then again, later, in 1826 under the title “Grundzüge der Erziehungskunst” [“Outlines of the Art of Education”]).

Schleiermacher's notion of scholarship

In the close union of the Schleiermacherian notion of scholarship and his concept of teaching, he derived the necessity of academic freedom from the conviction that the “truly scientific spirit” could not be aroused by compulsion (1808, p. 110). Of course, under strict supervision and control one can perhaps learn more, but will know (cognize) less: “... one forgets that learning ... is not the purpose of the university, but knowledge” (ibid.). In this plea from Schleiermacher for freedom and “guidance”, this key word calls for not only a changed understanding of academic teaching, but also a new relationship between teachers and students, in their famous Humboldtian “community”.

For Schleiermacher, the university was the link between the school and the academy; it functions as a Nachschule and Vorakademie (“post-school” and “pre-academy”; 1808, p. 39). Perhaps this is what results in his characteristic tendency towards compromise and tolerance even in his evaluation of the “host of small iniquities” (ibid. 107) on the part of the students, principally, when making use of this precious asset freedom. However, this was inwardly directed tolerance, which was coupled with the greatest intolerance towards the outside world as soon as it came to claims laid by the state to schools and universities by regarding them – to their detriment – “as institutions in which the academic disciplines are pursued not for their own sake, but for its sake” (ibid., p. 46).

The currency of these ideas cannot be emphasised clearly enough, even in universities today.

Written Works (selection)

  • Kritische Gesamtausgabe [Critical edition of his complete works], edited by Lutz Käppel et al., 5 divisions, Berlin (started in 1983, completion planned for 2034)

  • Gelegentliche Gedanken über Universitäten im deutschen Sinn. Nebst einem Anhang über eine neu zu errichtende, Berlin 1808 (English translation: Occasional Thoughts on Universities in the German Sense with an Appendix Regarding a University Soon to be Established, translated by Terrence N. Tice and Edwina Lawler, Lewiston 1991)

  • Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern, edited by Carl Schwarz, Leipzig 1868 (English translation: On Religion: Speeches to its Cultured Despisers, translated and edited by John Oman, Louisville, 1994).

References (selection)

  • Nowak, Kurt: Schleiermacher. Leben, Werk und Wirkung, Göttingen 2001.

  • Crouter, Richard: Friedrich Schleiermacher between Enlightenment and Romanticism, Cambridge 2005.

  • Ohst, Martin (ed.): Schleiermacher Handbuch, Tübingen 2017.

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