Humboldt-Universität zu Berlin

Georg Wilhelm Friedrich Hegel

Philosoph - schulebildend bis zur Gegenwart - umstrittenes Zentrum der Universität zu seiner Zeit

 

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Georg Wilhelm Friedrich Hegel

Georg Wilhelm Friedrich Hegel, porträtiert von
Jakob Schlesinger, 1831

Georg Wilhelm Friedrich Hegel, in einem pietistischen Beamtenhaushalt in Stuttgart geboren, hatte einen langen und umweghaften Bildungsgang hinter sich, bevor er 1818 als Philosoph an die Berliner Universität berufen und dort zum Zentrum eines großen Kreises von Schülern, aber auch zum umstrittenen Zentrum der Universität wurde. Als Systemphilosophie zwar überholt, werden seine Texte aber als theoretische Herausforderungen bis zur Gegenwart intensiv beachtet.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Werdegang

Nach dem Besuch von Gymnasien in Stuttgart war er seit 1788/89 Mitglied des für hochbegabte württembergische Landeskinder eingerichteten Stifts an der Universität Tübingen und studierte entsprechend Theologie und Philosophie. Er und seine Zimmergenossen Hölderlin und Schelling erlebten, begrüßten und problematisierten dort die Französische Revolution, setzten sich mit der Philosophie Kants kritisch auseinander und entwickelten Grundideen ihres Idealismus.

1790 erwarb Hegel den Magister der Philosophie, 1793 das theologische Lizenziat, ging aber nicht in das Pfarramt, sondern wurde, wie viele junge Akademiker, 1793 zuerst Hauslehrer in Bern. Dort lernte er neben einer liberalen Welt die großen Texte der alteuropäischen Staatstheorie kennen, entwickelte aber auch Distanz gegenüber der jakobinischen Deformation der Revolution. Die nächste Hauslehrerstelle hatte er in Frankfurt, bevor von 1801-1807 an der Universität Jena lehrte, sich in seiner Habilitationsschrift mit Newton auseinandersetzte, in Vorlesungen erstmals „Logik und Metaphysik“ vortrug und 1806/07 die „Phänomenologie des Geistes“, die Grundlage seines Systems, vollendete.

Von Heidelberg nach Berlin

Von französischen Soldaten nach 1806 zur Flucht gezwungen, war er bis 1808 Redakteur der „Bamberger Zeitung“, bevor er in Nürnberg von 1808 bis 1816 als Rektor des Egidiengymnasiums pädagogisch tätig war und Schulreden hielt, die bis heute gelesen werden. 1816 erhielt Hegel einen Ruf nach Heidelberg, und nach einem ersten missglückten Versuch des Wechsels, 1817, lehrte er dann endlich ab 1818 in Berlin. Trotz des großen Schülerkreises in zahlreichen Disziplinen, der ihn hoch verehrte, sich aber nach „rechts“ und „links“ – v.a. mit Marx – bald separierte, lebte er dort nicht unumstritten. Von Schleiermacher und Savigny bekämpft, die auch seine Aufnahme in die Akademie der Wissenschaften blockierten, von Schopenhauer als „Kathederphilosoph“ kritisiert, politisch nicht nur im Konsens mit der Obrigkeit, starb er 1831, wahrscheinlich an der Cholera.

Hegels monumentales Werk entzieht sich jeder knappen Beschreibung. Aber man versteht vielleicht seinen historischen Ort, wenn man seiner eigenen Deutung von Philosophie folgt: Sie sei „ihre Zeit in Gedanken erfasst“. Hegels Zeit war eine im ausgehenden 18. Jahrhundert einsetzende Phase revolutionärer Umbrüche, politisch und gesellschaftlich, geistesgeschichtlich und philosophisch. Noch im Tübinger Stift hat er die Französische Revolution erlebt, begrüßt und als Problem erfahren. Er sah, 1806, im Jahr des Untergangs des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, Napoleon, die „Weltseele“, in Jena. In Berlin beobachtete er die Restauration nach 1819 und die Neuordnung Preußens in Politik und Universität.

Hegels Philosophie

Seine Philosophie kann man deshalb auch als den Versuch ansehen, selbstbewusst diese Erfahrungen zu verarbeiten, Philosophie in einem umfassenden Anspruch als möglich zu zeigen, um gegen die „Revolution der Denkungsart“, die Kants Kritiken eingeläutet hatten, und auch gegen die Kritik von Dogmatismus und Metaphysik, Kirche und Religion, die als „Aufklärung“ ihren Siegeszug angetreten hatten, dennoch neue Gewissheit zu stiften. In seiner Philosophie arbeitete Hegel daher an dem grandiosen Versuch, noch einmal die Ganzheit von Welt und Wissen, Politik und Gesellschaft, Mensch und Kultur wiederherzustellen, aus einem einheitlichen Gedanken in neuer reflexiver Form, und zwar in „System“ und „Begriff“ des „Geistes“. Die Sequenz seiner Werke zeigt, wie er diese Aufgabe anging: Nach der „Phänomenologie des Geistes“ (1807) folgte die „Wissenschaft der Logik“ (1812-1816), er riskierte eine „Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften“ (1817) und als Staatsphilosophie die „Grundlinien der Philosophie des Rechts“, als einzige der Berliner Vorlesungen 1821 publiziert. Zeitgleich hielt er – später edierte – Vorlesungen, u.a. „über die Ästhetik“ (mehrfach seit 1820), „Über die Geschichte der Philosophie“ (schon 1805/06), „Über die Philosophie der Geschichte“ (in Berlin seit 1822) und die „Philosophie der Religion“ (ab 1821). Seine „Gesammelten Werke“ umfassen am Ende mehr als 30 Bände.

Und Hegel lebt, wie sich erneut 2020, im Jahr seines 250. Geburtstages zeigte. Aber er lebt vor allem in den Kontroversen, die er bis heute auslöst, schon weil man sich „auf einen befremdlichen Philosophen gefaßt machen“ (Siep) muss, wenn man ihn heute studiert. Er wurde und wird für vollständig philosophisch überholt, ja zum Vorläufer totalitären Denkens (Popper) erklärt, wie in der angelsächsischen Welt. Er wird aber nicht nur in der deutschsprachigen Philosophie immer wieder neu ausgelegt, um seine Philosophie angemessen zu verstehen. Hegel wird dabei auch themenbezogen aktualisiert, z.B. bildungstheoretisch, wenn es um den legitimen Sinn von Vergesellschaftung geht, oder staatsphilosophisch und als Philosoph der Freiheit (Viehweg) rehabilitiert. Zwar versteht niemand mehr die „Logik“ noch dialektisch, also formal, material und ontologisch zugleich, wie es Hegel tat, sondern nur noch formal und aussagenbezogen, aber die Phänomenologie des Geistes kann „als allgemeine Logik unseres wirklichen Weltbezugs“verständlich gemacht werden, also als „Logik des Argumentierens“ (Stekeler), ohne doch die einzelwissenschaftliche Forschung entbehrlich zu machen. Denn auch Hegels Exegeten können ja nicht mehr die Totalität der Welt philosophisch erklären, sondern eher kritisch beobachten, wie die Praxis des Argumentierens und der Forschung agiert.

„Ratgeber für die Gegenwart“ (Münkler 2020) mag er für seine Verehrer sein, selbst mit seiner Dialektik kann man leben, wenn man sie nur mit Ironie „als ein Weltprinzip“ versteht, „dass es kein Weltprinzip geben kann“, und mit Brecht im zehnten Stück der „Flüchtlingsgespräche“, deshalb auch keine „Ordnung … ohne Unordnung“. Selbst sein vielleicht umstrittenster Satz aus der Rechtsphilosophie, der ihm die Kritik als Apologet des preußischen Obrigkeitsstaates eingetragen hat – „Was vernünftig ist, das ist wirklich; und was wirklich ist, das ist vernünftig.“ , einer Anekdote Heinrich Heines zufolge auch in der Version „Alles, was vernünftig ist, muss sein“ (Viehweg) – , ist einer begründbaren Interpretation zugänglich, wenn man z.B. historisch und als Erwartung liest, was Tatsachenbehauptung scheint (Kaube 2020).

Werke

  • Gesammelte Werke, 31 Bde., in Verbindung mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft hg. von der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste, Hamburg 1968-2020.

Literatur (in Auswahl)

  • Schnädelbach, Herbert: Georg Wilhelm Friedrich Hegel zur Einführung, Hamburg 6. Aufl. 2020.
  • Siep, Ludwig: Hegel, in: O. Höffe (Hg.), Klassiker der Philosophie. 2. Bd., München 2008, S. 43-65.
  • Stekeler, Pirmin: Hegels Phänomenologie des Geistes. Ein dialogischer Kommentar. Bd. 1: Gewissheit und Vernunft; Bd. 2: Geist und Religion, Hamburg 2014.
  • Vieweg, Klaus Hegel. Der Philosoph der Freiheit, München 2019.
  • Kaube, Jürgen: Hegels Welt, Berlin 2020.
  • Hegel – Themenheft der Zeitschrift für Ideengeschichte 14(2020)2, dort u.a. die Beiträge von Herfried Münkler: Hegel und wir (S.5-13); Jürgen Kaube: Logik eines Satzes. (S. 14-26).

 


Georg Wilhelm Friedrich Hegel

27th August 1770 (Stuttgart) – 14th November 1831 (Berlin)

 

Philosopher – A formative influence on schools of thought to the present day – Controversial centre of the university in his day

 

Georg Wilhelm Friedrich Hegel, porträtiert von Jakob Schlesinger, 1831
Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Foto: gemeinfrei
Georg Wilhelm Friedrich Hegel, born into a Pietist family of civil servants in Stuttgart, had a long and circuitous education before he was appointed professor of philosophy at the University of Berlin in 1818, where he became the centre of a large circle of students, but also the controversial focal point of the university. Though his work has been superseded as a system philosophy, intense attention is paid to his texts as theoretical challenges to this day.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Career

After attending secondary schools in Stuttgart, he was from 1788/89 onwards a member of the Tübinger Stift seminary set up for highly gifted Württemberg natives at the University of Tübingen, and studied theology and philosophy accordingly. There, he and his roommates, Hölderlin and Schelling, experienced, welcomed and expounded the problems of the French Revolution, critically examined the philosophy of Kant and developed fundamental ideas of its idealism. In 1790, Hegel obtained a master’s degree in philosophy, then, in 1793, a licentiate in theology; however, he did not go into ministry, but, rather, like many young academics, first became a private tutor in Bern, in 1793. There, in addition to a liberal world, he also became acquainted with the great texts of old European theory of the state, but also grew critical of the Jacobin distortion of the revolution. He went to Frankfurt for his next tutoring position before then teaching at the University of Jena from 1801–1807, grappling with Newton in his habilitation thesis (postdoctoral thesis that is submitted in order to qualify to hold professorial positions), holding his first lectures on “Logic and Metaphysics”, and completing the Phenomenology of Spirit, the basis of his system, in 1806/07.

From Heidelberg to Berlin

Forced to flee by French soldiers after 1806, he was editor of the Bamberger Zeitung until 1808, before becoming the rector of the Egidiengymnasium in Nuremberg from 1808 to 1816, where he gave school lectures, which are still read today. In 1816, Hegel was offered a professorial appointment in Heidelberg, then, following an initial, unsuccessful attempt to bring about the move, in 1817, he eventually taught in Berlin from 1818 onwards. Despite the large circle of students in numerous disciplines who greatly revered him, but who soon separated off to the “right” and “left” – especially with Marx – his life there was not without controversy.  Opposed by  Schleiermacher and  Savigny, who also blocked his admission to the Academy of Sciences, criticised by Schopenhauer as a “lectern philosopher” (Kathederphilosoph), and not always in agreement with the authorities politically, he died in 1831, probably due to cholera.

Hegel’s monumental work eludes any concise description. Yet, perhaps one understands his historical position if one follows his own interpretation of philosophy, which is: “philosophy is its own age comprehended in thought”. Hegel’s time, in the late-18th-century, was a period of revolutionary changes, political and social, intellectual and philosophical. He had lived to see the French Revolution while still at the Tübinger Stift, and had welcomed it and come to know it as a problem. In 1806, the year of the fall of the Holy Roman Empire of the German Nation, he saw Napoleon, the “soul of the world”, in Jena. In Berlin, he observed the Restoration after 1819 and the Prussian reforms in politics and the universities.

Hegel's philosophy

His philosophy can therefore also be seen as an attempt to process these experiences in a self-conscious way, to show philosophy as having as comprehensive a claim as possible, so that, counter to the “revolution in the way of thinking” which Kant’s Critiques had heralded, and also the critique of dogmatism and metaphysics, Church and religion, which had begun its triumphant march as the “Enlightenment”, he could nonetheless create new certainty. In his philosophy, Hegel therefore worked on the grandiose attempt to again restore the totality of world and knowledge, politics and society, man and culture from one consistent idea in a new reflexive form, namely in the “system” and “concept” of the “spirit”. The sequence of his works shows how he approached this task: Phenomenology of Spirit (1807) was followed by Science of Logic (1812–1816); he dared an Encyclopaedia of the Philosophical Sciences (1817) and, as a philosophy of the state, Elements of the Philosophy of Right, the only Berlin lectures of his that he was to publish, in 1821. At the same time, he gave lectures – that were edited later – “On Aesthetics” (multiple times from 1820 onwards), “On the History of Philosophy” (from as early as 1805/06), “On the Philosophy of History” (in Berlin as of 1822) and “On the Philosophy of Religion” (from 1821), among others. His Gesammelte Werke (collected works) ultimately comprise more than 30 volumes.

And Hegel lives on, as was shown once again in 2020, the year of his 250th birthday. Yet, above all, he lives on in the controversies that he provokes to this day, if only because one has to “brace oneself for a strange philosopher” (Siep) if one studies him today. He has been and is declared to have been completely superseded philosophically, and, indeed, to be a precursor of totalitarian thought (Popper), as in the Anglo-Saxon world. Yet, he is not repeatedly reinterpreted in German-speaking philosophy merely in order to adequately understand his philosophy. Hegel also gets updated in relation to specific subjects, e.g., in educational theory, when it comes to the legitimate sense of socialisation, or as pertains to the philosophy of state, and when rehabilitated as a philosopher of freedom (Viehweg). Admittedly, no one understands his “logic” dialectically anymore, that is to say formally, materially and ontologically at the same time, as Hegel did, but only formally and in reference to specific statements; however, Phenomenology of Spirit can be conveyed “as a general logic of our true relation to the world”, that is to say as a “logic of argumentation” (Stekeler), without rendering research in the individual sciences superfluous. For, indeed, Hegel’s exegetes can also no longer explain the totality of the world philosophically, but, instead, tend to critically observe how the practice of argumentation and research operates. He may be a “Guide for the present age” (Münkler 2020) for his admirers, one can even live with his dialectics, if one understands it only with irony “as a world principle that there can be no world principle”[1], and thus, as Brecht notes in the tenth dialogue of Refugee Conversations, no “order ... without disorder” either. Even his perhaps most contentious proposition from his Philosophy of Right, which saw him criticised as an apologist of the Prussian authoritarian state – “What is rational is real; and what is real is rational.”[2], also existing in the version “All that is rational must be” according to an anecdote by  Heinrich Heine (Viehweg) – is amenable to a justifiable interpretation if one reads what seem to be factual assertions historically, for example, and as speculation (Kaube 2020).

 

 

[1]      Patrick Eiden-Offe: Ein Gespräch über Bäume. In: Merkur 856, 74(2020), pp. 84–90, quotation p. 89. [Flüchtlingsgespräche in Frankfurter Werk-Ausgabe, 1967, vol. 14, quotation p.  1460]

[2]      Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, edited by Moldenhauer/Michel, Frankfurt am Main, vol. 7, p. 24.

Works

  • Gesammelte Werke, 31 Bde., in Verbindung mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft hg. von der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste, Hamburg 1968-2020.

References (selection)

  • Schnädelbach, Herbert: Georg Wilhelm Friedrich Hegel zur Einführung, Hamburg 6. Aufl. 2020.
  • Siep, Ludwig: Hegel, in: O. Höffe (Hg.), Klassiker der Philosophie. 2. Bd., München 2008, S. 43-65.
  • Stekeler, Pirmin: Hegels Phänomenologie des Geistes. Ein dialogischer Kommentar. Bd. 1: Gewissheit und Vernunft; Bd. 2: Geist und Religion, Hamburg 2014.
  • Vieweg, Klaus Hegel. Der Philosoph der Freiheit, München 2019.
  • Kaube, Jürgen: Hegels Welt, Berlin 2020.
  • Hegel – Themenheft der Zeitschrift für Ideengeschichte 14(2020)2, dort u.a. die Beiträge von Herfried Münkler: Hegel und wir (S.5-13); Jürgen Kaube: Logik eines Satzes. (S. 14-26).

 

 

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