Humboldt-Universität zu Berlin

Hedwig Hintze, geb. Guggenheimer

Historikerin – linksliberale Republikanerin – rassistisch Verfolgte

 

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Hedwig Hintze
Hedwig Hintze, Foto: ullstein bild

In ihrem gebrochenen Lebensweg kamen in tragischer Weise drei Felder von Marginalisierung zusammen, zuerst die als Frau, d.h. die immense Schwierigkeit für Frauen eine akademische Karriere zu machen, zweitens ihr Außenseitertum als linksliberale Republikanerin gegenüber den meisten Historikern, schließlich als Jüdin die rassistische Verfolgung.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Werdegang

Ein Aufenthalt in einem Mädchenpensionat in Brüssel ließ sie 1903 eine kritische Schrift über die oberflächliche Frauenbildung veröffentlichen („Zur Erziehungsfrage“). 1902-04 besuchte sie Vorlesungen des Victoria-Lyzeums in Berlin. Sie durfte an der Münchener Universität Vorlesungen und Übungen besuchen, publizierte über Novalis und Richard Wagner, arbeitete am Register einer Lessingausgabe mit. Erst Ostern 1910 konnte sie nach zweijähriger Vorbereitung im humanistischen Zweig der Hohenzollernschule in Berlin-Schöneberg das Abitur machen.

Darauf immatrikulierte sie sich an der Berliner Universität, hörte bei → Ernst Troeltsch (‚Historismus‘) und Friedrich Meinecke, bei den mediävistischen Hilfswissenschaftlern Michael Tangl und Hermann Krabbo, bei dem Germanisten Erich Schmidt und vor allem viel bei dem bedeutenden Historiker Otto Hintze (1861-1940), als dessen Schülerin sie sich verstand und den sie 1912 heiratete. Mehrfach unterbrach sie das Studium wegen Erkrankungen ihres Mannes.

Die Französische Revolution

Ihr großes Projekt war die Französische Revolution, dessen Keimzelle eine Seminararbeit bei Otto Hintze. Ihre Qualifikationsschriften stellten den bis dahin bedeutendsten Beitrag der deutschen Forschung zu diesem Großthema dar. 1924  wurde sie mit ‚Summa cum laude‘ bei Meinecke zum Thema „Die Munizipalgesetzgebung der Constituante“ promoviert, behandelte also die zur Einheitsstaatsbildung komplementäre „föderalistische Unterströmung“   Frankreichs.  Schon 1928 folgte die Habilitationsschrift „Staatseinung und Föderalismus im alten Frankreich und in der Revolution“, die ebenfalls mit Höchstnote (Opus eximium) bewertet wurde und heute als Standardwerk von europäischem Rang gilt. Für die Zulassung hatte sich nachdrücklich auch der Osteuropahistoriker hedwig-hintze.text.image7 Otto Hoetzsch eingesetzt. Sie war damit die zweite habilitierte Historikerin in Deutschland und die erste von Rang. 1928 bis 1933 lehrte sie als unbesoldete Privatdozentin an der FWU Berlin, über neue Themen wie moderne Politik- und Sozialgeschichte und Historiographie  Frankreichs, so mit Alphonse Aulard, Albert Mathiez und Jean Jaurès. Die Französische Revolution war für sie ein „Prüfstein der Geister“. Hintze schrieb emphatische Einleitungen zur Revolutionsgeschichte des Sozialisten Aulard (gest. 1928) ebenso wie zu einem unveröffentlichten Geschichtswerk von hedwig-hintze.text.image8 Hugo Preuss, dem Schöpfer der Weimarer Verfassung. Beides brachte ihr von nationalkonservativer Seite viel Kritik ein, etwa durch den österreichischen Historiker Ritter von Srbik.  Privat führte das Ehepaar Hintze mit den berühmten samstäglichen Teenachmittagen (oft mit Konrad Burdach, den Ehepaaren Meinecke und Troeltsch) ein gastliches Haus. 

Verdrängung durch das NS-Regime

Im September 1933 wurde Hintze vom NS-Regime als Dozentin entlassen, bereits zuvor, im Mai des Jahres, wurde sie durch Meinecke  und Albert Brackmann aus der Redaktion der wichtigen ‚Historischen Zeitschrift‘  gedrängt  („Sie gelten nun einmal als politisch besonders belastete Persönlichkeit“). Hintze versuchte, ihre Forschungen im Ausland fortzusetzen, u.a. durch Archivreisen nach Paris. 1940 starb Otto Hintze vereinsamt in Berlin. Seine Frau konnte im Herbst einen Ruf in die USA (New School of Social Research, New York) wegen eines fehlenden Reisepapiers nicht antreten. Eine Einreise in die Schweiz wurde ihr verweigert. Sie zog, weitgehend mittellos und von Freunden unterstützt, in die Niederlande, wo erste Deportationen von Juden begannen. Hedwig Hintze starb am 19. April 1942 im Krankenhaus in Utrecht, wahrscheinlich durch Suizid.

In Gedenken an Hedwig Hintze verleiht der Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands den „Hedwig Hintze-Preis“ für herausragende Dissertationen in den Geschichtswissenschaften.

Nachlass

keinen Nachlass erhalten

Literatur (in Auswahl)

  • Staatseinheit und Föderalismus im alten Frankreich und in der Revolution, ND mit neuem Nachwort von Wolfgang Reichhardt, Frankfurt/M. 1989.
  • Otto Hintze/Hedwig Hintze: „Verzage nicht und laß nicht ab zu kämpfen...“. Die Korrespondenz 1925-1940, hg. von Robert Jütte/Gerhard Hirschfeld, bearb. von Bettina Oestreich, Essen 2004.

Schriften (in Auswahl)

  • Walther, Peter Th.: Die Zerstörung eines Projekts: Hedwig Hintze, Otto Hintze und Friedrich Meinecke, in: Gisela Bock/ Daniel Schönpflug (Hg.), Friedrich Meinecke in seiner Zeit. Studien zu Leben und Werk, München  2006, S. 119-144.
  • Ritter, Gerhard A. (Hg.): Friedrich Meinecke. Akademischer Lehrer und emigrierte Schüler. Briefe und Aufzeichnungen 1910-1975, München 2006, S. 81-92, 413-432. 
  • Dickmann, Elisabeth: Hedwig Hintze (1884-1942). Bibliografie, 2. überarb. Aufl. Berlin 2017.
  • Bruns, Hinnerk: Hedwig Hintze (1884-1942). Une historienne en avance sur son temps, un destin tragique, une reconnaissance tardive, in: André Burguière/Bernard Vincent (Hg.), Un siècle d’historiennes, Paris 2014, S. 97-115.
  • Neugebauer, Wolfgang: Otto Hintze, Denkwelten und Sozialräume eines Historikers in der Globalisierung 1861-1940,  Berlin 2015.

 


 

Hedwig Hintze

6th February 1884 (Munich) – 19th April 1942 (Utrecht)

 

Historian – Left-liberal republican – Victim of racial persecution

 

Hedwig Hintze, Foto: ullstein bild
Hedwig Hintze, Foto: ullstein bild
In her fractured journey through life, three spheres of marginalisation came together in a tragic way: firstly, as a woman, i.e., the immense difficulty women faced in building an academic career; secondly, as a left-liberal republican, her position as an outsider compared to most historians; and, finally, her racial persecution as a Jew.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Career

She was born into a Munich banking family and was socialised in the Protestant tradition. Her training, studies and career were fractured and frequently interrupted. Hintze initially commuted between Munich and Berlin. She attended a höhere Mädchenschule (early form of secondary school for girls that did not prepare them for university study but for management of a household) in Munich, received private tuition in addition, and passed a state examination to become a teacher of French. A stay at a girls’ boarding school in Brussels led her to publish a critical paper on the superficiality of women’s education in 1903 (“Zur Erziehungsfrage” [On the question of education]). From 1902 to 1904, she attended lectures at the Victoria Lyceum in Berlin. She was permitted to attend lectures and tutorials at the University of Munich, published on Novalis and Richard Wagner, and worked on the index of an edition of Lessing’s works. It was not until Easter of 1910, after two years of preparation in the humanistic stream of the Hohenzollern School in Berlin-Schöneberg that she was able to sit her Abitur (final school-leaving examination that bestowed the eligibility to study at university). She then enrolled at the University of Berlin, where she attended lectures by  Ernst Troeltsch (“historicism”) and Friedrich Meinecke, the scholars of medieval auxiliary sciences Michael Tangl and Hermann Krabbo, the Germanist Erich Schmidt and, above all, the important historian Otto Hintze (1861–1940), of whom she considered herself a pupil and follower, and whom she married in 1912. She broke off her studies several times due to her husband’s illnesses.

The French Revolution

Her major project was the French Revolution, the core of which was a seminar paper under Otto Hintze. The theses she wrote to obtain her qualifications were the most important contribution to this major topic to have come out of German research up until that point. In 1924, she received her doctorate under Meinecke with a summa cum laude on the topic of “The Municipal Legislation of the Constituent Assembly” (“Die Munizipalgesetzgebung der Constituante”), thus dealing with France’s “federalist undercurrent”, which formed the complement to the establishment of a unitary state. Her habilitation thesis to attain the qualification to hold professorial positions at university, “Staatseinung und Federalismus im alten Frankreich und in der Revolution” (“State Unity and Federalism in Early France and in the Revolution”), which followed in just 1928, was, again, awarded the highest grade (opus eximium) and is now regarded to be a standard work of European stature. The historian of Eastern Europe  Otto Hoetzsch had also strongly advocated for her habilitation to be approved. She thus became the second female historian in Germany to qualify to hold professorial positions at a university, and the first of distinction. From 1928 until 1933, she taught as an unsalaried lecturer at the Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin on new topics such as modern political and social history and the historiography of France, thus drawing on Alphonse Aulard, Albert Mathiez and Jean Jaurès. The French Revolution was for her a “touchstone of spirits” (Prüfstein der Geister). Hintze wrote emphatic introductions to the Revolutionary history of the socialist Aulard (d. 1928) as well as an unpublished historical work by  Hugo Preuss, the author of the Weimar Constitution. Both brought her much criticism from the national conservative side, for example, from the Austrian historian Ritter von Srbik. In private, the Hintze couple entertained frequently with their famous Saturday afternoon tea parties (often with Konrad Burdach, and the Meinecke and Troeltsch couples).

Suppression by the Nazi regime

In September 1933, Hintze was dismissed as a lecturer by the Nazi regime; she had already been forced out of the editorial team of the important Historische Zeitschrift in May of that year by Meinecke and Albert Brackmann (“You are simply considered to be a particularly loaded figure politically”). Hintze tried to continue her research abroad, including by means of archival trips to Paris. In 1940, Otto Hintze died lonely in Berlin. His wife was unable to take up a professorship that had been offered in the United States (New School of Social Research, New York) that autumn as she was lacking a travel document. She was refused entry into Switzerland. Largely destitute and supported by friends, she moved to the Netherlands, where the first deportations of Jews were beginning. Hedwig Hintze died on 19th April 1942 in hospital in Utrecht, likely by suicide.

In memory of Hedwig Hintze, the Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands (Association of German Historians) awards the “Hedwig Hintze-Preis” for outstanding dissertations in history.

Estate

no surviving estate.

References (selection)

  • Staatseinheit und Föderalismus im alten Frankreich und in der Revolution, ND mit neuem Nachwort von Wolfgang Reichhardt, Frankfurt/M. 1989.
  • Otto Hintze/Hedwig Hintze: „Verzage nicht und laß nicht ab zu kämpfen...“. Die Korrespondenz 1925-1940, hg. von Robert Jütte/Gerhard Hirschfeld, bearb. von Bettina Oestreich, Essen 2004.

Written works (selection)

  • Walther, Peter Th.: Die Zerstörung eines Projekts: Hedwig Hintze, Otto Hintze und Friedrich Meinecke, in: Gisela Bock/ Daniel Schönpflug (Hg.), Friedrich Meinecke in seiner Zeit. Studien zu Leben und Werk, München  2006, S. 119-144.
  • Ritter, Gerhard A. (Hg.): Friedrich Meinecke. Akademischer Lehrer und emigrierte Schüler. Briefe und Aufzeichnungen 1910-1975, München 2006, S. 81-92, 413-432. 
  • Dickmann, Elisabeth: Hedwig Hintze (1884-1942). Bibliografie, 2. überarb. Aufl. Berlin 2017.
  • Bruns, Hinnerk: Hedwig Hintze (1884-1942). Une historienne en avance sur son temps, un destin tragique, une reconnaissance tardive, in: André Burguière/Bernard Vincent (Hg.), Un siècle d’historiennes, Paris 2014, S. 97-115.
  • Neugebauer, Wolfgang: Otto Hintze, Denkwelten und Sozialräume eines Historikers in der Globalisierung 1861-1940,  Berlin 2015.

 

 

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