Humboldt-Universität zu Berlin

Jurek Becker

Relegierter Student – Schriftsteller – Oppositioneller in der DDR

 

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Jurek Becker

Jurek Becker, Foto: bpk, Bundesstiftung Aufarbeitung /
Klaus Mehner

Jurek Becker, der den Holocaust als Kind überlebte, an der Humboldt-Universität Philosophie studierte, bis er 1960 wegen seines Eigensinns relegiert wurde, war mit Romanen wie „Jakob der Lügner“ und seinen Drehbüchern wie „Liebling Kreuzberg“ einer der bekanntesten deutschen Schriftsteller, zunächst in der DDR, dann in der Bundesrepublik.

Jurek Becker, damals Jerzy Bekker, wuchs im jüdischen Ghetto von Łódż auf. Sein genaues Geburtsdatum ist nicht bekannt, da sein Vater ihn älter machte, damit er eine Überlebenschance besaß, denn die Deutschen selektierten die angeblich „Arbeitsunfähigen“, also Alte, Kranke und Kinder, zuerst zur Ermordung aus. 

Während sein Vater in Łódż bleiben musste, wurde er mit seiner Mutter 1944 zunächst in das KZ Ravensbrück, dann nach Sachsenhausen und schließlich in das KZ-Außenlager Königs-Wusterhausen verschleppt, wo sie Ende April 1945 durch die Rote Armee befreit wurden. Die Mutter starb an den Folgen der KZ-Haft; der Vater fand mit Hilfe von alliierten Suchorganisationen seinen Sohn wieder. Von ihrer Familie hatten nur sie beide und eine Tante, die noch in die USA emigrieren konnte, den Holocaust überlebt.

Werdegang

Max und Georg, die deutsche Form von Jerzy, zogen nach Ost-Berlin, wo der Vater erhoffte, in einem konsequent antifaschistischen Land leben zu können. Jurek, wie er von seinen Freunden genannt wurde, machte 1955 Abitur, war anschließend Soldat in der Kasernierten Volkspolizei und begann 1957 an der Humboldt-Universität ein Studium der Philosophie. Becker wurde Mitglied der SED und schrieb kleine Texte für das Kabarett „Die Distel“. In dieser Zeit begann seine enge Freundschaft mit Manfred Krug. 1959 zogen beide zusammen in eine Wohnung. Immer wieder geriet Becker in Konflikt mit der SED. Deren studentische Grundorganisation an der Humboldt-Universität verlangte schließlich, dass Becker relegiert würde. Die Leitung des Instituts für Philosophie beugte sich dem Druck und verwies Becker im August 1960 von der Universität. 

Privat gründete er eine Familie und heiratete im August 1961 Erika Hüttig, genannt Rieke, die zur Hochzeit hochschwanger war. Eine Woche später wurde Nikolaus geboren, 1964 Leonhard. Mit Manfred Krug blieb Jurek Becker zeitlebens verbunden; ihre Postkarten, die sich gegenseitig schickten, waren legendär.

„Jakob der Lügner“

Becker fand ein neues Tätigkeitsfeld in Babelsberg beim Film, wurde festangestellter Drehbuchschreiber der DEFA. Sein Drehbuchmanuskript „Jakob der Lügner“, die Geschichte eines Juden im Ghetto, der vorgibt, ein Radio zu besitzen, und mit den erfundenen Nachrichten für Hoffnung sorgt, wurde zwar abgelehnt, aber Becker schrieb es zu einem Roman um, der 1969 in der DDR erschien – und dann doch sehr erfolgreich 1974 von der DEFA verfilmt, sogar für den Oscar als bester ausländischer Film nominiert wurde.

Protestbrief und Umzug nach Westberlin

Obwohl in der DDR mit dem Heinrich-Mann-Preis der Akademie der Künste und dem Nationalpreis der DDR für Literatur ausgezeichnet, ließ sich Jurek Becker nicht politisch mundtot machen. 1976 unterzeichnete er mit anderen Schriftstellerinnen und Schriftstellern der DDR einen Protestbrief gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann. Viele zogen auf Druck der DDR-Führung ihre Unterschrift wieder zurück: Manfred Krug und Jurek Becker blieben dabei. Krug verließ ein Jahr später die DDR; Becker wurde im Dezember 1976 aus der SED sowie dem Vorstand des Schriftstellerverbandes ausgeschlossen und trat 1977 aus dem Schriftstellerverband aus. Ausgestattet mit einem Reisevisum zog er Ende 1977 nach Westberlin.

Ganz verlieren mochte die DDR-Führung den international renommierten Schriftsteller und Holocaust-Überlebenden offenkundig nicht, denn entgegen sonstiger Praxis erteilte sie Jurek Becker ein zehnjähriges Visum, mit dem er in die DDR ein- und wieder ausreisen durfte. Der Wechsel in den Westen war auch privat ein Neuanfang. Im April 1977 war die Ehe mit Rieke geschieden worden, die mit den beiden Söhnen in Ostberlin blieb. 1983 lernte Jurek Becker seine zweite Frau Christine kennen und hatte mir ihr seinen dritten Sohn Jonathan.

Erfolgreicher Drehbuchautor

Becker schrieb zahlreiche Drehbücher und Hörspiele. Seine Romane wie „Jakob der Lügner“ (1969), „Irreführung der Behörden“ (1973), „Der Boxer“ (1976), „Schlaflose Tage“ (1978), „Bronsteins Kinder“ (1986), „Amanda herzlos“ (1992) wurden in etliche Sprachen übersetzt. Mit den Drehbüchern zur Fernsehserie „Liebling Kreuzberg“ (ARD 1986-1998) mit Manfred Krug in der Hauptrolle wurde er auch einem breiteren Publikum bekannt. Becker erhielt Gastprofessuren in den USA, an den Universitäten Essen, Augsburg und hielt 1989 die Poetikvorlesungen an der Universität Frankfurt am Main.

Für seine filmischen Arbeiten, seine Romane und Erzählungen wurde er mit Preisen ausgezeichnet, war Mitglied der Akademie der Künste in Berlin und wurde 1992 mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt. Er starb 1997 an Krebs. Sein Nachlass befindet sich in der Berliner Akademie der Künste.

Werke (in Auswahl)

  • Jakob der Lügner. Roman, Berlin 1969.
  • Irreführung der Behörden. Roman, Frankfurt am Main 1973.
  • Der Boxer. Roman, Frankfurt am Main 1976.
  • Schlaflose Tage. Roman, Frankfurt am Main 1978.
  • Bronsteins Kinder. Roman, Frankfurt am Main 1986.
  • Amanda herzlos. Roman, Frankfurt am Main 1992.
  • Liebling Kreuzberg (TV-Serie), Drehbücher 1.–3. und 5. Staffel, 1985–1997.
  • Jurek Beckers Neuigkeiten an Manfred Krug & Otti. Postkarten an das Ehepaar Krug, hrsg. von Manfred Krug, Düsseldorf 1997

Literatur (in Auswahl)

  • Arnold, Heinz-Ludwig (Hg.): Jurek Becker, München 1992.
  • Gilman, Sander L.: Jurek Becker, Die Biographie, Berlin/München 2002.
  • Heidelberger-Leonard, Irene (Hg.): Jurek Becker, 2. Aufl. Frankfurt am Main 1997.
  • Kiwus, Karin (Hg.): „Wenn ich auf mein bisheriges zurückblicke, dann muß ich leider sagen.“ Jurek Becker 1937-1997. Dokumente zu Leben und Werk aus dem Jurek-Becker-Archiv, Berlin 2002.
  • Kutzmutz, Olaf: Jurek Becker, Frankfurt am Main 2008.
  • Müller, Beate: Stasi – Zensur – Machtdiskurse. Publikationsgeschichten und Materialien zu Jurek Beckers Werk, Tübingen 2006. 

 


 

Jurek Becker

30th September 1937 (Łódż) – 14th March 1997 (Sieseby)

 

Expelled student – Writer – Oppositionist in the GDR

 

Jurek Becker, Foto: bpk, Bundesstiftung Aufarbeitung / Klaus MehnerJurek Becker, who survived the Holocaust as a child, and who studied philosophy at the Humboldt-Universität until being expelled in 1960 due to his headstrongness, was one of Germany’s best-known writers – first in the GDR, then in the Federal Republic – with novels such as Jakob der Lügner (Jacob the Liar) and screenplays like Liebling Kreuzberg.

 

Jurek Becker, in those days Jerzy Bekker, grew up in the Jewish ghetto of Łódż. His exact date of birth is not known, since his father made him older to give him a chance of survival, for the Germans first picked out those who were allegedly “unfit to work” – that is, the elderly, the sick and children – to be murdered. While Becker’s father had to stay in Łódż, he was taken with his mother first to Ravensbrück concentration camp, in 1944, then to Sachsenhausen, and, finally, to the Königs-Wusterhausen sub-camp, where they were liberated by the Red Army at the end of April 1945. His mother died of the consequences of detention in the concentration camps; his father found him again with the help of Allied search organisations. Of their family, only the two of them, plus an aunt who was able to still emigrate to the USA, had survived the Holocaust.

 

 Carrer

Max and Georg, the German form of Jerzy, moved to East Berlin, where the father hoped to be able to live in a resolutely anti-fascist country. Jurek, as he was called by his friends, completed secondary school in 1955, was subsequently a soldier in the Kasernierte Volkspolizei (Barracked People’s Police) and began studying philosophy at the Humboldt-Universität in 1957. Becker was a member of the SED (Socialist Unity Party of Germany) and wrote small texts for the cabaret Die Distel. It was during this time that his close friendship with Manfred Krug began. In 1959, the two of them moved into an apartment together. Becker repeatedly came into conflict with the SED. Their student Grundorganisation (basic organisation of the SED) at the Humboldt-Universität eventually demanded that Becker be sent down. The head of the Philosophy Department bowed to pressure and expelled Becker from the university in August 1960.

Privately, Becker started a family, and, in August 1961, he married Erika Hüttig, known as Rieke, who was heavily pregnant at the time of the wedding. A week later, Nikolaus was born, then, in 1964, Leonhard. Jurek Becker stayed in touch with Manfred Krug his entire life; the postcards they sent each other were legendary.

„Jakob der Lügner“

Becker found a new sphere of activity in Babelsberg in film and became a permanently employed screenwriter at DEFA (the state-owned film studio of the GDR). His screenplay Jakob der Lügner, the story of a Jew in the ghetto who pretends to own a radio and creates hope with made-up news, was rejected, but Becker adapted it into a novel, which was published in the GDR in 1969 – and which DEFA then made into a film after all in 1974, to great success, with it even being nominated for the Oscar for Best Foreign Language Film.

Protest letter and move to West Berlin   

Although in the GDR he was awarded the Heinrich Mann Prize from the Akademie der Künste and the National Prize of the GDR for Literature, Jurek Becker would not be silenced politically. In 1976, he signed a letter of protest together with other writers of the GDR against the denaturalisation of Wolf Biermann. Many withdrew their signatures under pressure from the GDR leadership: those of Manfred Krug and Jurek Becker remained. Krug left the GDR a year later; in December 1976, Becker was expelled from the SED as well as the board of the Writers’ Union, and he left the Writers’ Union in 1977. Furnished with a visa, he moved to West Berlin at the end of that year. The GDR leadership obviously did not want to lose the internationally renowned writer and Holocaust survivor altogether, because contrary to customary practice, it granted Jurek Becker a ten-year visa, which allowed him to enter the GDR and then leave again. The move to the West also marked a new beginning in his private life. In April 1977, he got divorced from Rieke, who remained in East Berlin with their two sons. In 1983, Jurek Becker met his second wife, Christine, and had a third son with her, Jonathan.

Successful screenwriter

Becker schrieb zahlreiche Drehbücher und Hörspiele. Seine Romane wie „Jakob der Lügner“ (1969), „Irreführung der Behörden“ (1973), „Der Boxer“ (1976), „Schlaflose Tage“ (1978), „Bronsteins Kinder“ (1986), „Amanda herzlos“ (1992) wurden in etliche Sprachen übersetzt. Mit den Drehbüchern zur Fernsehserie „Liebling Kreuzberg“ (ARD 1986-1998) mit Manfred Krug in der Hauptrolle wurde er auch einem breiteren Publikum bekannt. Becker erhielt Gastprofessuren in den USA, an den Universitäten Essen, Augsburg und hielt 1989 die Poetikvorlesungen an der Universität Frankfurt am Main.

Für seine filmischen Arbeiten, seine Romane und Erzählungen wurde er mit Preisen ausgezeichnet, war Mitglied der Akademie der Künste in Berlin und wurde 1992 mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt. Er starb 1997 an Krebs. Sein Nachlass befindet sich in der Berliner Akademie der Künste.

Works (selection)

  • Jakob der Lügner. Roman, Berlin 1969.
  • Irreführung der Behörden. Roman, Frankfurt am Main 1973.
  • Der Boxer. Roman, Frankfurt am Main 1976.
  • Schlaflose Tage. Roman, Frankfurt am Main 1978.
  • Bronsteins Kinder. Roman, Frankfurt am Main 1986.
  • Amanda herzlos. Roman, Frankfurt am Main 1992.
  • Liebling Kreuzberg (TV-Serie), Drehbücher 1.–3. und 5. Staffel, 1985–1997.
  • Jurek Beckers Neuigkeiten an Manfred Krug & Otti. Postkarten an das Ehepaar Krug, hrsg. von Manfred Krug, Düsseldorf 1997

References (selection)

  • Arnold, Heinz-Ludwig (Hg.): Jurek Becker, München 1992.
  • Gilman, Sander L.: Jurek Becker, Die Biographie, Berlin/München 2002.
  • Heidelberger-Leonard, Irene (Hg.): Jurek Becker, 2. Aufl. Frankfurt am Main 1997.
  • Kiwus, Karin (Hg.): „Wenn ich auf mein bisheriges zurückblicke, dann muß ich leider sagen.“ Jurek Becker 1937-1997. Dokumente zu Leben und Werk aus dem Jurek-Becker-Archiv, Berlin 2002.
  • Kutzmutz, Olaf: Jurek Becker, Frankfurt am Main 2008.
  • Müller, Beate: Stasi – Zensur – Machtdiskurse. Publikationsgeschichten und Materialien zu Jurek Beckers Werk, Tübingen 2006. 

 


 

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