Humboldt-Universität zu Berlin

Liselotte Richter

Philosophin und Theologin – erste Philosophieprofessorin Deutschlands

 

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Luise Charlotte Richter,

Luise Charlotte Richter, UB der
Humboldt-Universität zu Berlin,
Porträtsammlung

Liselotte Richter war eine Philosophin und Theologin, die als erste Philosophieprofessorin Deutschlands an der Humboldt Universität zu Berlin lehrte und die Universität nach dem Zweiten Weltkrieg wieder mit aufbaute.

Der Lebenslauf Liselotte Richters steht wie viele Biographien der um die Jahrhundertwende geborenen Frauen für einen erleichterten Zugang zu akademischer Bildung, zeigt jedoch die immer noch währenden Schwierigkeiten trotz des hohen Engagements auch eine akademische Karriere zu verwirklichen.

 

 

 

 

 

 

 

 

Werdegang 

Luise Charlotte Richter wuchs gemeinsam mit ihrem Zwillingsbruder Fritz in einer bürgerlichen Familie zunächst in Berlin-Tegel und dann in Charlottenburg auf. Sie ist am 7. Juni 1906 in Berlin geboren und am 16. Januar 1968 dort gestorben. Ihre Reifeprüfung legte sie 1926 in Berlin ab und begann im gleichen Jahr mit dem Studium der Philosophie an der Friedrich-Wilhelm-Universität in Berlin.

Sie wechselte nach Marburg, um dort Martin Heidegger zu hören, folgte ihm 1928 nach Freiburg, um schließlich nach Marburg zurückzukehren und dort mit einer Arbeit über „Subjektivität bei Kierkegaard. Ein Beitrag zur christlichen Existenzdarstellung“ bei dem Philosophen Erich Frank mit Auszeichnung zu promovieren. Richter knüpfte damit an Interessen an, die weniger einer Philosophie des Erkennens und objektivierbaren Wissens galten, als vielmehr existenzphilosophischen Neuansätzen. „Wenn die Seele redet, hört die Alleinherrschaft des kaltschnäuzigen Intellekts auf!“ (Wenzel 1999, 42), ist eine Notiz aus ihrem ersten Studienjahr, die ihre Beschäftigung mit existentiellen Fragen und ihre Suche nach einer Verbindung von Subjektivität und dem „Wagnis des Glaubens“ auf den Punkt bringt.

Wie viele Frauen ihrer Zeit absolvierte auch Richter 1932 die Prüfung für das Lehramt an höheren Schulen. Noch in Marburg engagierte sie sich in der KPD, was ihr 1933 kurz nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten die Verhaftung einbrachte. Im Sommer des gleichen Jahres zog sie zurück nach Berlin. Nach fast dreijähriger Arbeitslosigkeit erhielt sie eine Hilfskraftstelle in der Preußischen Akademie der Wissenschaften und arbeitete an der Leibniz-Ausgabe (Briefwechsel) mit.

Die erste Philosophieprofessorin Deutschlands 

Parallel zu ihrer Arbeit an der Akademie versuchte Richter eigene wissenschaftliche Arbeiten und Veröffentlichungen zu verfolgen. In diese Zeit fallen Publikationen zu René Descartes und Jakob Böhme, später auch zu Leibniz und Moses Mendelsohn. 1943 nahm sie – nicht zuletzt wegen der besseren Bezahlung – eine Stelle bei der Deutschen Studentenschaft an. Unmittelbar nach dem Krieg übernahm Richter den Aufbau und die Leitung der Charlottenburger Volkshochschule, zudem wurde sie zur Bezirksstadträtin für Volksbildung ernannt. Noch im gleichen Jahr meldete sich Richter zur Habilitation an der Philosophischen Fakultät der Berliner Universität an und im Oktober 1947 wurde sie zur Professorin mit vollem Lehrauftrag ernannt. Damit war sie die erste Philosophieprofessorin Deutschlands. Ihre eigenen Interessen, nämlich die Grenzgebiete zwischen Philosophie und Theologie sowie Glaubensfragen zu verfolgen, stießen auf großes Interesse bei ihren Nachkriegshörer:innen.

Wechsel an die Theologische Fakultät

Bereits 1946 war sie zunächst der KPD beigetreten und deshalb Mitglied der SED geworden, die schnell versuchte, Einfluss auf die Universitätspolitik zu nehmen. Richter sah die Idee der Universität durch die Einflussnahme der SED in Gefahr und nahm dazu öffentlich Stellung. Ihr wurde abgesprochen, die marxistische Linie der Partei vertreten zu können, und sie geriet zunehmend in Widerspruch zu der Universitätsführung wie den Kollegen und dem von ihnen vertretenen Marxismus-Leninismus. Bereits 1948 trat Richter aus der SED aus. Um überhaupt weiterhin lehren zu können, strebte sie einen Wechsel in die Theologische Fakultät an, der ihr – nach einer weiteren, jetzt theologischen Promotion – 1951 gelang: Sie erhielt den Lehrstuhl für Religionsphilosophie (später: Religionswissenschaft). Trotz ihrer immer wieder geäußerten Verzweiflung über ihre Berufs- und Lebenssituation publizierte Richter ungemindert. Neben Glaubensfragen und den Zukunftsmöglichkeiten einer christlichen Religion widmete sie sich weiterhin der Existenzphilosophie, jetzt vor allem der des Philosophen Jean-Paul Sartre. Nach dem Mauerbau blieb sie in Ruhleben wohnen und pendelte bis zu ihrer Emeritierung 1965 an die HU. Lieselotte Richter starb nach mehreren schweren Schlaganfällen 1968.

Nachlass

  • Humboldt-Universität zu Berlin, Archiv

 

Schriften (in Auswahl)

  • René Descartes. Dialoge mit deutschen Denkern, Hamburg 1942.
  • Jakob Böhme. Mystische Schau, Hamburg 1943.
  • Leibniz und sein Russlandbild, Berlin 1946.
  • Philosophie der Dichtkunst. Moses Mendelsohns Ästhetik zwischen Aufklärung und Sturm und Drang, Berlin 1948.
  • Jean-Paul Sartre oder die Philosophie des Zwiespalts, Berlin 1949.
  • Immanenz und Transzendenz im nachreformatorischen Gottesbild, Berlin 1954.
  • Schöpferischer Glaube im Zeitalter der Angst, Wiesbaden 1954.
  • Mahatma Gandhi, Berlin 1962.
  • Herausgabe der Kierkegaard-Werke in fünf Bänden, Hamburg 1960-1964

Literatur (in Auswahl)

  • Wenzel, Catherina: Von der Leidenschaft des Religiösen. Leben und Werk der Liselotte Richter (1906-1968), Köln/Weimar/Wien 1999.
  • Schröder, Richard u.a. (Hg.): „Nach jedem Sonnenuntergange bin ich verwundet und verwaist“. Liselotte Richter zum 100. Geburtstag, Berlin 2006.
  • Siehe auch den kurzen biographischen Abriss ihres ehemaligen Assistenten, Karl-Wolfgang Tröger, mit dem Titel „Liselotte Richter als Forscher- und Lehrerpersönlichkeit. Erträge ihres Wirkens. Zum 80. Geburtstag am 7. Juni 1986“ (in: die zeichen der zeit 40 (1986), S. 283-287), der einen konzisen thematischen Überblick über ihr Werk bietet.

 


Liselotte Richter

7th June 1906 (Berlin) – 16th January 1968 (Berlin)

 

Philosopher and theologian – First female professor of philosophy in Germany

 

Luise Charlotte Richter, UB der Humboldt-Universität zu Berlin, Porträtsammlung
Liselotte Richter, Foto: HU Berlin
Liselotte Richter was a philosopher and theologian who taught at the Humboldt Universität zu Berlin as Germany’s first female professor of philosophy and helped rebuild the university after the Second World War.

Like the biographies of many women born at the turn of the century, Liselotte Richter’s path through life is a symbol of easier access to academic education, but also shows the difficulties that still persisted in realising an academic career despite a high level of commitment.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Career 

Luise Charlotte Richter grew up with her twin brother Fritz in a middle-class family, first in Berlin-Tegel and then in Charlottenburg. She sat her Abitur (final school exams, granting eligibility to study at university), in Berlin in 1926 and began studying philosophy at the Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin that same year. She moved to Marburg to hear lectures there by Martin Heidegger, followed him to Freiburg in 1928, and then, ultimately, returned to Marburg, where she attained her doctorate, with distinction, under the philosopher Erich Frank with a thesis on “Subjectivity in Kierkegaard. A Paper on the Christian Account of Existence” (“Subjektivität bei Kierkegaard. Ein Beitrag zur christlichen Existenzdarstellung”). Richter thus took up interests that were less concerned with a philosophy of cognition and objectifiable knowledge than with new approaches to existential philosophy. A note from her first year of study, “When the soul speaks, the sole reign of the callous intellect ceases!” (Wenzel 1999, 42), encapsulates her occupation with existential questions and her search for a connection between subjectivity and the “venture of faith”. Like many women of her day, Richter also passed the examination to qualify as a teacher at höhere Töchterschulen (secondary schools for girls that did not prepare them for university study, but for management of a household) in 1932. While still in Marburg, she got involved in the KPD (Communist Party of Germany), which led to her arrest in 1933 shortly after the Nazis seized power. In the summer of that same year, she moved back to Berlin. After almost three years of unemployment, she was given an assistant position at the Prussian Academy of Sciences and worked on its Leibniz edition (correspondence).

The first female philosophy professor in Germany 

During this period, she published on René Descartes and Jakob Böhme, and later also on Leibniz and Moses Mendelsohn. In 1943, she took up a position at the Deutsche Studentenschaft (German Student Union), not least because of the better pay. Immediately after the war, Richter took over the build-up and management of the Charlottenburg Volkshochschule and was also appointed district councillor for adult education. That same year, Richter enrolled to habilitate (qualify to hold professorial positions) at the Faculty of Philosophy of the University of Berlin and, in October 1947, she was appointed professor with full teaching remit. She was the first female professor of philosophy in Germany. Her own interests, namely pursuing the borderlands between philosophy and theology as well as questions of faith, met with great interest among her post-war listeners.

Change to the Faculty of Theology

She had originally joined the KPD already in 1946, and, therefore, became a member of the SED (Socialist Unity Party of Germany), which quickly tried to influence university politics. Richter considered the idea of the university to be in danger due to the influence of the SED and spoke up about this publicly. Her ability to represent the Marxist line of the party was disputed, and she increasingly found herself clashing with the university leadership and her colleagues and the Marxism–Leninism they represented. Richter left the SED in just 1948. In order to be able to continue teaching at all, she sought to move to the Faculty of Theology, which she succeeded at in 1951 – after a further doctorate, this time in theology. She was appointed to the chair of the philosophy of religion (later: divinity). Despite her despair over her professional situation and life circumstances, Richter kept publishing unabated. In addition to questions of faith and the possibilities for the future of a Christian religion, she continued to devote herself to existential philosophy, now, most notably, that of the philosopher Jean-Paul Sartre. After the construction of the Wall, she stayed in Ruhleben and commuted to the HU until her retirement in 1965. Liselotte Richter died in 1968 following several severe strokes.

Estate

  • Humboldt-Universität zu Berlin, Archiv

Written works (selection)

  • René Descartes. Dialoge mit deutschen Denkern, Hamburg 1942.
  • Jakob Böhme. Mystische Schau, Hamburg 1943.
  • Leibniz und sein Russlandbild, Berlin 1946.
  • Philosophie der Dichtkunst. Moses Mendelsohns Ästhetik zwischen Aufklärung und Sturm und Drang, Berlin 1948.
  • Jean-Paul Sartre oder die Philosophie des Zwiespalts, Berlin 1949.
  • Immanenz und Transzendenz im nachreformatorischen Gottesbild, Berlin 1954.
  • Schöpferischer Glaube im Zeitalter der Angst, Wiesbaden 1954.
  • Mahatma Gandhi, Berlin 1962.
  • Herausgabe der Kierkegaard-Werke in fünf Bänden, Hamburg 1960-1964

References (selection)

  • Wenzel, Catherina: Von der Leidenschaft des Religiösen. Leben und Werk der Liselotte Richter (1906-1968), Köln/Weimar/Wien 1999.
  • Schröder, Richard u.a. (Hg.): „Nach jedem Sonnenuntergange bin ich verwundet und verwaist“. Liselotte Richter zum 100. Geburtstag, Berlin 2006.
  • Siehe auch den kurzen biographischen Abriss ihres ehemaligen Assistenten, Karl-Wolfgang Tröger, mit dem Titel „Liselotte Richter als Forscher- und Lehrerpersönlichkeit. Erträge ihres Wirkens. Zum 80. Geburtstag am 7. Juni 1986“ (in: die zeichen der zeit 40 (1986), S. 283-287), der einen konzisen thematischen Überblick über ihr Werk bietet.

 

 

 

 

 

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