Humboldt-Universität zu Berlin

Rhoda Erdmann

Mitbegründerin der modernen Zellbiologie – leitete das Institut für experimentelle Zellforschung (Charité)

 

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Rhoda Erdmann

Rhoda Erdmann, Foto: bpk/Kunstbibliothek, SMB,
Photothek Willy Römer/ Ernst Gränert

Rhoda Erdmann war nicht nur eine der ersten weiblichen Professorinnen und Institutsleiterinnen an der Berliner Universität, sondern begründete zudem einen frühen interdisziplinär angelegten Wissenschaftszweig, die Zellforschung

Besonders hervorzuheben ist ihre internationale Vernetzung innerhalb der Zellbiologie. Sie kann als eine der führenden Forscherinnen auf ihrem Gebiet gelten, die sich trotz aller Hindernisse als Frau in einer Naturwissenschaft durchsetzte und diesen Prozess rückblickend in ihrer Autobiographie eindrücklich beschreibt.

 

 

 

Werdegang

Rhoda Erdmann wuchs in einer bildungsbürgerlichen Familie in Hamburg mit vier Geschwistern auf und wurde trotz des frühen Tods der Mutter bei ihren Studienwünschen unterstützt. Sie ergriff zunächst den Beruf der Lehrerin, bis sie schließlich 1903 – immerhin schon 33 Jahre alt – das Studium der Zoologie und Botanik zunächst in Berlin, dann in Zürich, München und Marburg aufnahm und fortsetzte.

Nachdem sie das Abitur nachgeholt hatte, konnte sie 1908 ihre Dissertation über die Zellstruktur von Seeigeleiern in München abschließen. Ein Jahr später erwarb sie zudem den Abschluss als Oberlehrerin für Zoologie, Botanik, Mathematik und Physik. Noch während ihrer Ausbildung begann sie als wissenschaftliche Hilfsarbeiterin am damals schon bekannten Institut für Infektionskrankheiten von Robert Koch zu arbeiten.

Zeit in den USA und Rückkehr nach Deutschland

Im Jahr 1913 wurde ihr ein Stipendium am Osborn Zoological Laboratory der Yale-University in New Haven zugesprochen, das sie für mehrere Jahre – über den Ersten Weltkrieg hinaus – in die USA führen sollte. Sie hatte eigenständig Kontakt zu einem der führenden Mikrobiologen, Lorande Loss Woodruff, aufgenommen und so eine Arbeitsbeziehung nach Amerika aufgebaut, ein durchaus selbstbewusster und in der damaligen Zeit ungewöhnlicher Schritt für eine junge Frau.

In den Staaten lernte sie zunächst als Lecturer in Biology an der Yale University, dann als Associate am Department of Pathology am Rockefeller Institute die modernen experimentellen Methoden der Zellforschung kennen. Sie hatte dort – laut ihren eigenen Aussagen – „vollständig freie Hand“ und die „glänzendsten Arbeitsbedingungen, die man sich denken kann“. Dazu gehörten genügend Personal, ein gutes Gehalt und schließlich auch eigene Doktoranden – mithin Bedingungen, wie sie in Deutschland für sie nicht ohne weiteres möglich waren. Sie forschte zu Immunisierungsvarianten gegen die Hühnerpest und über Trypanosomen, einzellige Lebewesen, die als Parasiten in verschiedenen Wirbeltieren vorkommen.

Allerdings wurde ihre Situation bei Kriegseintritt der USA 1917 extrem schwierig. Hatte sie zunächst noch arbeiten können, spitzte sich die Lage bei wachsender anti-deutscher Stimmung durch Denunziation, Verdächtigungen und schließlich Verhaftung zu. Durch die Hilfe ihrer amerikanischen Kollegen kam sie aber nach mehreren Monaten frei und kehrte schließlich 1919 nach Deutschland zurück. Mit der Unterstützung des Pathologen Johannes Orth an der Charité gelang es ihr, eine Abteilung für experimentelle Zellforschung durchzusetzen und noch im gleichen Jahr gründete sie die internationale Zeitschrift „Archiv für experimentelle Zellforschung“, die „die von mir vertretene Arbeitsdisziplin als einzige Zeitschrift auf der Welt“ vertrat.

Habilitation und Zwangsruhestand

Im Juli 1920 habilitierte sie sich zunächst als zweite Frau an der Philosophischen Fakultät der Berliner Universität, wechselte 1923 an die medizinische Fakultät und war ab 1924 nichtbeamtete, ab 1929 beamtete außerordentliche Professorin. Ihre Abteilung war dem Institut für Krebsforschung angegliedert, das sie schließlich in ein eigenständiges Institut für experimentelle Zellforschung umwandeln konnte und ab 1930 leitete. Auch wenn die Arbeitsbedingungen weit hinter denen zurückblieben, die sie aus den USA kannte, hatte sie einen beispiellosen Weg zurückgelegt, was nicht zuletzt die Vossische Zeitung im November 1931 bemerkte: Dort wurde Rhoda Erdmann in einem Artikel über „Weibliche Hochschullehrer“ mit einem Foto und als „der erste weibliche beamtete außerordentliche Professor der Universität Berlin“ porträtiert (vgl. Jesch 2017, S. 17).

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde Rhoda Erdmann nach einer Denunziation durch die Gestapo verhaftet und im gleichen Jahr zwangsemeritiert. Ihr wurde vorgeworfen, dass sie mit jüdischen Kollegen in Kontakt stehe und versuche, diesen Arbeitsmöglichkeiten im Ausland zu beschaffen. Nach und nach wurde jedoch konstatiert, dass sich „nichts Belastendes ergeben“ habe, wie das Preußische Wissenschaftsministerium noch im gleichen Jahr mitteilte (Jasch 2017, S.26). Ihr Zwangsruhestand wurde 1934 wieder aufgehoben. Rhoda Erdmann starb ein Jahr später im Alter von 65 Jahren, nicht ohne zuvor für ihre vollständige Rehabilitierung zu kämpfen.

Schriften (in Auswahl)

Zahlreiche Aufsätze in Fachzeitschriften seit 1908, dem Jahr, in dem sie ihre Dissertation publizierte. Sie schrieb 1922 ein Standard-Lehrbuch zur Gewebeforschung. Für einen Überblick auch zu älteren Texten vgl. die Datenbank des Instituts für Geschichte der Medizin und Ethik in der Medizin an der Charité Berlin über „Ärztinnen im Kaiserreich“.

Besonders empfehlenswert ist ihr autobiographischer Text „Typ eines Ausbildungsganges weiblicher Forscher“, in: Führende Frauen Europas, hrsg. v. Elga Kern, München 1928, S. 35-54, aus dem auch die obenstehenden Zitate entnommen sind.

Literatur (in Auswahl)

  • Jasch, Hans-Christian: Rhoda Erdmann (1870-1935). Leben und Karriere einer frühen Krebsforscherin zwischen internationaler Anerkennung und nationaler Marginalisierung, Berlin 2017.
  • Mayer, Nicole: Erdmann, Rhoda, in: Werner E. Gerabek u.a. (Hrsg.), Enzyklopädie Medizingeschichte, Berlin 2005, S. 367.
  • Vogt, Annette: Rhoda Erdmann – eine Begründerin der modernen Zellbiologie, in: BIOspektrum 5 (2018), S. 561-562.
  • Für einen Überblick auch zu älteren Texten vgl. die Datenbank des Instituts für Geschichte der Medizin und Ethik in der Medizin über „Ärztinnen im Kaiserreich“

 


Rhoda Erdmann

5th December 1870 (Bad Hersfeld) – 23rd August 1935 (Berlin)

 

Co-founder of modern cell biology – Led the Institute for Experimental Cell Research (Charité)

 

Rhoda Erdmann, Foto: bpk/Kunstbibliothek, SMB, Photothek Willy Römer/ Ernst Gränert
Foto: bpk / Kunstbibliothek, SMB, Photothek Willy Römer / Ernst Gränert.
Rhoda Erdmann not only was one of the first female professors and heads of an institute at the University of Berlin but also founded an early interdisciplinary branch of science: cell research. Particularly worth highlighting is her international network within cell biology. She can be regarded as one of the leading researchers in her field, who, despite all obstacles, prevailed as a woman in a natural science and, looking back, impressively describes this process in her autobiography.

 

 

Career

Rhoda Erdmann grew up in an educated, middle-class family in Hamburg with four siblings and, despite her mother’s early death, was supported in her desires with regard to studying. She initially embarked upon the teaching profession, until finally beginning her studies in zoology and botany in Berlin 1903 – already 33 years old – and subsequently continuing them in Zurich, Munich and Marburg. After belatedly sitting her Abitur, thereby attaining the general entrance qualification for university, she completed her dissertation on the cell structure of sea urchins in Munich in 1908. A year later, she also qualified as a senior teacher of zoology, botany, mathematics and physics. Already during her training, she began working as a research assistant at  Robert Koch’s Institute for Infectious Diseases, which was already well known at the time.

Time in the USA and return to Germany

In 1913, she was awarded a scholarship at the Osborn Zoological Laboratory of Yale University in New Haven, which was to lead her to the United States for several years – through and beyond the First World War. She had independently established contact with one of the leading microbiologists, Lorande Loss Woodruff, thereby forging a working relationship with America, which was a very self-confident and unusual step for a young woman at the time. In the States, she first became acquainted with modern experimental methods of cell research as a lecturer in biology at Yale University, then as an associate at the Department of Pathology at the Rockefeller Institute. She had “complete freedom” there – by her own words – and the “most excellent working conditions that one can imagine”. This included ample staff, a good salary and, ultimately, her own doctoral students as well – hence conditions that were not readily possible for her in Germany. She researched immunisation variants against fowl pest as well as trypanosomes, single-celled organisms that exist as parasites in various vertebrates.

However, her position became extremely delicate when the United States entered the war in 1917. Though she had been able to work at first, as anti-German sentiment grew, her situation worsened due to denunciation, suspicions and, ultimately, arrest. However, thanks to the help of her American colleagues, she got out after several months and finally returned to Germany in 1919. With the support of the pathologist Johannes Orth at the Charité, she succeeded in pushing through a department for experimental cell research and, that same year, she founded the international journal Archiv für experimentelle Zellforschung, which she said “was the only journal in the world that represented the work discipline [she] represented”.

Habilitation and forced retirement

In July 1920, she qualified to be a professor at the Faculty of Philosophy at the University of Berlin – the second woman to do so – then moved to the Faculty of Medicine in 1923; from 1924 onwards, she was an extraordinary (non-chaired) professor without tenure (and thus with limited internal administrative rights and functions). She then became a tenured extraordinary professor in 1929. Her department was affiliated with the Institute of Cancer Research, which she was eventually able to convert into an independent institute for experimental cell research, and then led from 1930 onwards. Even if the working conditions were far below those she was familiar with from the USA, she had travelled an unprecedented path, which the Vossische Zeitung noted in November 1931: Rhoda Erdmann was portrayed in an article there about “Female University Professors” with a photo and the description “the first female tenured extraordinary professor at the University of Berlin” (cf. Jesch 2017, p. 17).

After the National Socialists seized power, Rhoda Erdmann was arrested by the Gestapo after being denounced and was forced to retire that same year. She was accused of being in contact with Jewish colleagues and of trying to procure job opportunities for them abroad. However, bit by bit, it was established that investigations had “not revealed anything incriminating”, as the Prussian Ministry of Science reported that same year (Jasch 2017, p.26). Her compulsory retirement was overturned in 1934. Rhoda Erdmann died a year later at the age of 65, but not without first fighting for her complete vindication.

Written works (selection)

Numerous articles in specialist journals from 1908 onwards, the year in which she published her dissertation. She wrote a standard textbook on tissue research in 1922. For an overview of her older texts, see the database of the Institute of the History of Medicine and Ethics in Medicine at the Berlin Charité under “Ärztinnen im Kaiserreich” (Female doctors in the German Empire) (https://geschichte.charite.de/aeik/biografie.php?ID=AEIK00345).

Her autobiographical text “Typ eines Ausbildungsganges weiblicher Forscher” (Model of a course of training for female researchers), in: Führende Frauen Europas, edited by Elga Kern, Munich 1928, pp. 35–54, from which the above quotations are also taken, is particularly recommended.

References (

selection

)

  • Jasch, Hans-Christian: Rhoda Erdmann (1870-1935). Leben und Karriere einer frühen Krebsforscherin zwischen internationaler Anerkennung und nationaler Marginalisierung, Berlin 2017.
  • Mayer, Nicole: Erdmann, Rhoda, in: Werner E. Gerabek u.a. (Hrsg.), Enzyklopädie Medizingeschichte, Berlin 2005, S. 367.
  • Vogt, Annette: Rhoda Erdmann – eine Begründerin der modernen Zellbiologie, in: BIOspektrum 5 (2018), S. 561-562.
  • Für einen Überblick auch zu älteren Texten vgl. die Datenbank des Instituts für Geschichte der Medizin und Ethik in der Medizin über „Ärztinnen im Kaiserreich“

 

 

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