Politische Gewalt an der Berliner Universität bis 1933
„Gegen Terror hilft nur Gegenterror!“
„Der nationalsozialistische Student Kalter [...] hetzte, bis die Nationalsozialisten doch noch zum Angriff vorgingen. Obwohl viele der unseren durch Stockhiebe, Koppelschläge und Bisse (!!) verletzt wurden, konnten die Nationalozialisten zurückgeworfen werden...“
Aus dem Bericht eines jüdischen Verbindungsstudenten über die nationalsozialistischen Übergriffe vom 30. Juni 1932.
Übergriffe auf linke und jüdische Studierende
Es „hatten sich in der Halle wieder die üblichen Stehkonvente gebildet. Die Linksgruppen versammelten sich auf der einen, die ihnen stark überlegenen Rechtsgruppen auf der anderen Seite der Halle. Die Stimmung war sehr erregt, was u. a. im Gesang von Kampfliedern und in den Rufen der Nationalsozialisten ,Juden raus!’ zum Ausdruck kam. An einzelnen Stellen kam es auch bereits zum Handgemenge zwischen den Gegnern“ So schildert die nationalliberale „Deutsche Allgemeine Zeitung“ Ende Juni 1932 die Atmosphäre in der Eingangshalle der Friedrich-Wilhelms-Universität.
Verschiedene studentische Gruppen sammeln sich in den Pausen regelmäßig vor ihren Schwarzen Brettern in der Halle oder treffen sich im Hof. Korporationen und politische Gruppen halten hier Ansprachen und zeigen Präsenz – doch die Nationalsozialisten nutzen diese Treffen für Provokationen und Übergriffe, vor allem auf linke und jüdische, aber auch auf republikanische Studentinnen und Studenten. Daran beteiligen sich nicht nur die relativ wenigen Mitglieder des NS-Studentenbundes (NSDStB), sondern auch etliche sympathisierende Kommilitonen.

Karikatur aus der sozialdemokratischen Zeitschrift Vorwärts vom 14. November 1930. Am 12. November hatten Anhänger des NS-Studentenbundes eine jüdische Studentin in der Vorhalle der Universität verprügelt.

Ein Student wird von Polizisten vor der Universität abgeführt, vermutlich am 29. oder 30. Juni 1931. Es handelt sich aufgrund seiner Bekleidung mit Reithose und weißem Hemd offenbar um einen Anhänger der Nationalsozialisten, die diese Uniformierung oft wählen. (Quelle: Studenten im Kampf, 1938)
Ständige Nazi-Präsenz
Verbale und gewaltsame Übergriffe auf v. a. jüdische Kommilitonen sind bereits in den frühen 1920er Jahren Alltag. Die Nationalsozialisten systematisieren solche Gewalttaten und erzeugen ein Klima der ständigen Bedrohung. In unmittelbarer Nähe der Universität liegt das Büro des NSDStB in der Georgenstraße 44, die Stammkneipe der Nazistudenten sind die Akademischen Bierhallen in der Dorotheenstraße 80. Die Dauerpräsenz der Nazis im universitären Umfeld – einschließlich der erlaubten Uniformierung in der Universität – wird immer wieder durch SA-Männer verstärkt. Heil-Rufe, antisemitische Parolen, Flugblattverteilung und Pöbeleien gehören zum Standardrepertoire der NS-Studenten in und um die Hochschule.
Kaum Widerstand
Republikaner und Sozialisten halten sich staatstragend zurück und agieren nicht militant. Allein die Kommunisten treten gelegentlich aggressiv auf und suchen die Konfrontation mit den Rechten – sie sind ihnen jedoch zahlenmäßig weit unterlegen. Die republikfreundlichen und die jüdischen Gruppen versuchen zwar Präsenz zu zeigen, sind aber vor allem mit ihrer Selbstbehauptung beschäftigt.
Immer wieder prügeln die rechtsextremen Studenten auf Missliebige ein. Sie gehen mit großer Brutalität vor – oft benutzen sie Waffen wie Gürtel, Totschläger und Stöcke. Zwischen 1929 und 1933 muss die Polizei etliche Male die Hochschule räumen – oftmals bleibt sie dann für einige Tage geschlossen. Der Gewalt setzt die Universitätsleitung wenig entgegen. Sie predigt den „Burgfrieden“ der Wissenschaft und hegt nicht zuletzt prinzipielle Sympathien – wenn nicht für die Methoden, so doch für viele Ziele der Nazis.

Polizeieinsatz gegen eine studentische Versammlung vor dem Universitätsgebäude, vermutlich am 29. oder 30. Juni 1931. (Quelle: Studenten im Kampf, 1938)

Studenten tragen im Juni 1931 auf Befehl der Schutzpolizei beschlagnahmte Spazierstöcke in das Universitätsgebäude. Diese Stöcke werden gerne als Waffen benutzt. Der Student links im Bild trägt die Farben einer Verbindung auf der Brust. (BArch, Bild 102-11947 / Georg Pahl)
Chronologie größerer Krawalle:
22. 02. 1929
Provokationen und Angriffe durch NS-Studenten | ziehen Parolen rufend durchs Gebäude | Polizeieinsatz
12. 11. 1929
NS-Kundgebung vor der Universität | NS-Studenten ziehen unter Rufen „Deutschland erwache“ - „Juda verrecke!“ durch die Hochschule | Schlägereien | Polizeieinsatz
27. bis 29. 06. 1930
Angriff „ortsfremder linker Gruppen“ auf NS-Studenten | Tumulte | Universität für einen Tag geschlossen
11. bis 13. 11. 1930
Republikanische Studierende verteilen unter Polizeischutz Flugblätter: „Studentischer Aufruf zur Vernunft“ | NS-Studenten greifen jüdische, linke und republikanische Studierende an | Aufmärsche | Übergriffe, teils bewaffnet, für drei Tage in Universität und Umgebung | polizeiliche Räumung am 12. Juni | weitere Schlägereien am 13. Juni | Polizeieinsatz
29. bis 30. 06. 1931
Übergriffe kommunistischer Arbeiter auf NS-Studenten am 26. Juni | 29. Juni: Rektor genehmigt NS-Kundgebung | Protestversammlung dagegen von NS-Studenten angegriffen | Zerstörung der Schwarzen Bretter der NS-Gegner | Misshandlungen Studierender | polizeiliche Räumung | Hochschule für zwei Tage geschlossen | weitere Krawalle in der Umgebung | Verbot aller Stehkonvente bis 4. Juli
Bericht des liberalen Berliner Tageblatts vom 29. Juni 1931 über die Vorkommnisse an der Universität.
22. 01. 1932
Bewaffneter Überfall von NS-Studenten auf jüdische Verbindungsstudenten in der Vorhalle | sozialistische und kommunistische Kommilitonen helfen | polizeiliche Räumung | Universität geschlossen
04. 02. 1932
Bekanntgabe: Relegation von zwei NS- und zwei republikanischen Studenten | NS-Studenten greifen Gegner an | Polizeieinsatz | Universität geschlossen
30. 06. 1932
Organisierter NS-Übergriff auf jüdische Studenten | entschlossene Gegenwehr | Rektor beruhigt Lage | Universität bis 2. Juli geschlossen
10. 02. 1933
Letzter Protest: Gedenkfeier republikanischer Studierender für in Breslau von Nazis ermordeten Studenten | Verbot der Feier | Festnahmen