Elise Unger
Elise Unger wurde am 19. November 1904 als Tochter des Rechtsanwalts Leopold Unger und seiner Frau Paula (geb. Goldschmidt) in Berlin geboren. Im Jahr 1924 legte sie ihr Abitur an der Auguste-Victoria-Schule ab und besuchte im Anschluss das Lehrerinnen-Seminar der Staatlichen Augustaschule in Berlin (heute Sophie-Scholl-Oberschule). Nach ihrem Examen 1925 ging Elise Unger zum Studium nach Freiburg und ab 1928 an die Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin, wo sie Deutsch, Französisch, Philosophie und Pädagogik studierte. Wie viele Studierende ihrer Generation verbrachte sie ein Semester im Ausland (Paris).
Im Jahre 1932 reichte sie im Fach Deutsche Philologie ihre Dissertation über "Die Stellung der Frau bei Stifter" in Berlin ein, ein ungewöhnliches Thema für die historisch-philologisch ausgerichtete Germanistik. Ihr Betreuer Julius Petersen bewertet die Arbeit mit "genügend", da "[...] die Quellen nicht ausgeschöpft und der kulturgeschichtliche und soziologische Hintergrund [...] dünn und fadenscheinig" sind, wie er in seinem Gutachten schreibt. Nachdem Elise Unger ihre mündliche Prüfung am 9. Februar 1933 gut bestanden hatte, verzögerte sich der Erhalt des Doktortitels durch die Drucklegung ihrer Dissertation. Ihre Studie erschien 1934 als Teildruck, so dass die Promotionsurkunde schließlich am 14. Dezember 1934 ausgestellt wurde.1 Es ist möglich, dass Petersen seine jüdische Doktorandin unterstützte, das Promotionsverfahren trotz der antisemitischen (Hochschul-)Politik zum Abschluss zu bringen.
Elise Ungers Studie wird heute noch herangezogen, wenn es um die Analyse der Werke Adalbert Stifters geht. So schreibt Kerstin Cornils in ihrer 2007 veröffentlichten Dissertation:
Elise Unger hat in ihrer 1934 erschienen Dissertation über "Die Stellung der Frau bei Stifter" zu Recht die exzeptionelle Anlage der Angela betont, die vor der Folie des Stifterischen Gesamtwerkes sichtbar werde. Ihrer Meinung nach hat der österreichische Autor "[d]en Vergleich mit einer romantischen Shakespeare-Gestalt [...] nicht wieder gebraucht".2
Elise Unger habe laut Kerstin Cornils ihre Studie "mit feministischer Verve" verfasst.3
Diese Auffassung teilt auch die Literaturwissenschaftlerin Sabine Schmidt:
So stellt Unger beispielsweise kritisch fest, dass die Frau nur ein gleichsam zufälliges Objekt der den Mann veredelnden Liebe ist, auf gleicher Ebene mit dem Kunstgenuss oder der Erfüllung durch die Arbeit, außerdem lege Stifter mehr Wert auf die Darstellung der Konflikte und Entwicklungsphasen der Männer, da "er die Frau von vornherein als einfacheres Wesen ansieht".4
Soweit bekannt, arbeitete Elise Unger nach ihrem Studium als Lehrerin.5 Sie lebte bis mindestens 1940 zusammen mit ihren Eltern in Berlin-Schöneberg in der Geisbergstraße 11. Im Alter von 39 Jahren wurde Elise Unger am 12. März 1943 mit weiteren 940 Personen mit dem 36. Transport vom Güterbahnhof Moabit in der Putlitzstraße aus Berlin nach Auschwitz deportiert und dort getötet.6 Sie war eine von neun Frauen, die zwischen 1900 und 1936 an der Friedrichs-Wilhelms-Universität promoviert hatten und im Holocaust ermordet wurden.7
Geisbergstraße 11 heute, Adresse von Elise Unger im Mai 1939,
Foto: Ewa Miśkiewicz.
- Vgl. Humboldt-Universität zu Berlin, Universitätsarchiv, Phil. Fak. 768: 136-153. Vgl. auch: Levke Harders: Studiert, promoviert: Arriviert? Promovendinnen des Berliner Germanischen Seminars (1919-1945), Frankfurt am Main 2004.
- Kerstin Comils: Neues aus Arkadien: Der Streit um die Moderne bei Adalbert Stifter und Jorge Isaacs, Köln 2007, 266f. und Fußnote 574.
- Ebd.
- Sabine Schmidt: Das domestizierte Subjekt: Subjektkonstitution und Genderdiskurs in ausgewählten Werken Adelbert Stifters, St. Ingbert 2004, S. 29.
- Vgl. Annette Vogt: Ehrendes Gedenken gegen das Vergessen, in: Berlinische Monatsschrift 9 (2000) 1, S. 20-23.
- Vgl. www.berlin.de/ba-charlottenburg-wilmersdorf/bezirk/lexikon/deportationsliste.html, abgerufen am 10.05.2010.
- Annette Vogt, a.a.O.