Erinnerung stiften
Am 3. Juli 2010 wurden zwanzig Stolpersteine im Gedenken an ehemalige "nicht-arische" Studierende der Friedrich-Wilhelms-Universität durch den Künstler Gunter Demnig vor dem Hauptgebäude der Humboldt-Universität zu Berlin verlegt. Für fünf dieser ehemaligen Studierenden konnten wir während der Forschung kaum Informationen finden. Sie tauchen für uns hauptsächlich in diversen Listen, wie Deportations- und Transportlisten oder der "Stammrolle für Reichsdeutsche Nichtarier" im Universitätsarchiv auf.1
Das Denkmal "Jüdische Opfer des Faschismus" in der Großen Hamburger Straße.
Die Entscheidung, auch ihrer zu gedenken, hat ihre Wurzeln in folgender Überlegung. In den persönlichen Gesprächen mit Familienangehörigen wurde mehrfach geäußert, dass der Ort der Stolpersteine einen Platz für die Erinnerung an die Ermordeten darstellt. Die während der NS-Zeit umgekommenen Personen hatten in der Regel keine ehrenvolle Bestattung, und dadurch existiert auch kein Ort für die Erinnerung an diese Menschen - wie es auf Friedhöfen durch Grabsteine mit eingravierten Namen der Fall ist. Diesen Mangel an Präsenz sollen die Stolpersteine annäherungsweise füllen, indem sie Namen und Lebensintervall der Person sichtbar werden lassen. Dadurch wird ein Ort der Erinnerung geschaffen.
Bei den ausgewählten fünf Individuen mangelt es aber nicht nur an einem Ort des Erinnerns, sondern auch an Menschen, die sich an sie erinnern könnten. Ihre Existenz ist dadurch nicht nur physisch ausgelöscht, sondern vollständig abwesend. Unsere Projektgruppe wollte ihnen wenigstens so viel Anwesenheit "zurückgeben", wie durch die materielle Präsenz des Messings und Betons ermöglicht wird - und wir sind uns bewusst, wie wenig das ist.
So sollen auch folgende Namen erwähnt werden, für die ebenfalls Stolpersteine verlegt wurden:
Marion Beutler (15.08.1905, Berlin - 5.5. 1942, Kulmhof, Deportation am 29.10.1941 nach Ghetto Litzmannstadt mit dem dritten Transport), Studentin der Chemie.2
Walter Brock (05.06.1896, Berlin - verschollen, Deportation am 14.12.1942 nach Auschwitz), Student der Staatswissenschaften.
Alfred Goldstaub (12.01.1912, Berlin - 29.10.1942, Riga, Deportation am 26.10.1942), Student der Medizin.
Margot Ruth Rosenthal (15.05.1906, Berlin - 10.09.1942, Berlin, Freitod), Studentin der Medizin.3
Cäcilie Bertha Springer (29.11.1909, Schubin - 4.5.1942, Kulmhof, Deportation am 29.10.1941 nach Ghetto Litzmannstadt mit dem dritten Transport), Studentin an der Philosophischen Fakultät.4
Die Auswahl gerade dieser Personen war zum größten Teil zufällig. Ausnahme ist Walter Brock, der durch seinen ehemaligen Wohnort eine besondere Beziehung zu einigen Mitgliedern der Projektgruppe hat. Das Haus 10 des Studentenwohnheimes Siegmunds Hof, der Wohnort von drei Stipendiaten der Projektgruppe, befindet sich heute genau an der Stelle, wo damals das Wohnhaus von Walter Brock stand.
So gehören diese fünf auch zu den zwanzig Personen, denen im Rahmen dieses Projekts ein Ort im Gewebe der Gegenwart der Stadt Berlin geschaffen wurde. Sie alle stehen stellvertretend für die zahlreichen während des Nationalsozialismus verfolgten und ermordeten Studierenden. Wir hoffen, dass dieses Projekt von anderen engagierten Angehörigen der Humboldt-Universität zu Berlin weitergeführt wird und so die Lücken in der Erinnerung allmählich gefüllt werden können.
- Vgl. Humboldt-Universität zu Berlin, Universitätsarchiv, Stammrolle für Reichsdeutsche Nichtarier der Universität Berlin, Kennziffer 12.
- Vgl. Berliner Juden im Getto Litzmannstadt 1941-1944, Bearbeitet von Ingo Loose, Stiftung Topographie des Terrors, Berlin 2009, S. 189.
- Alle hier angegebene Informationen wurden dem Online Gedenkbuch des Bundesarchivs entnommen: www.bundesarchiv.de/gedenkbuch, abgerufen: 15.05.2010.
- Berliner Juden im Getto Litzmannstadt 1941-1944, S. 285.