„Wir waren ziemlich frei in dem, was wir gemacht haben“
Ausschnitte aus dem Video-Interview
Das Interview in voller Länge
Die Schriftstellerin Monika Maron wurde am 4. Juni 1941 in Berlin geboren. Sie arbeitete nach dem Abitur ein Jahr lang als Fräserin in einem Industriebetrieb und war Regieassistentin beim Fernsehen. Von 1962 bis 1966 studierte sie Theaterwissenschaften und Kunstgeschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin. Anschließend war sie an der Schauspielschule „Ernst Busch“ tätig sowie Reporterin bei der „Wochenpost“ und der Frauenzeitschrift „Für Dich“. Seit 1976 arbeitete sie als freie Schriftstellerin in Berlin (Ost). Ihr erster Roman „Flugasche“ (1981), der die Umweltverschmutzung in der DDR thematisiert, durfte in der DDR nicht erscheinen. Monika Maron verließ 1988 das Land und siedelte in die BRD über. Sie lebt heute in Berlin-Schöneberg. Einige ihrer wichtigen Arbeiten sind: Die Überläuferin (1986), Pawels Briefe (1999), Endmoränen (2002) und Ach Glück (2007). Fotos: Heike Zappe.
Frau Maron, Sie haben Theaterwissenschaften und Kunstgeschichte an der Humboldt-Universität studiert. Was ist Ihre intensivste Erinnerung aus dieser Zeit?
Monika Maron: Eigentlich unser Institut unterm Dach in der Universitätsstraße 3 b. Außer den Seminarräumen war da unsere Studentenbühne. Das war eigentlich das Schönste.
Außerdem blieb uns ausreichend selbst überlassen, was wir aus diesem Studium machten, weil wir relativ unkontrolliert waren, da unterm Dach. Wir waren nur zwölf Erstfächler in unserem Studienjahr. Da für die Theaterwissenschaft nur alle fünf Jahre immatrikuliert wurde, waren wir insgesamt höchstens 24.
Sie hatten nach dem Abitur als Fräserin gearbeitet und gingen nicht gleich zum Studium, warum?
Ich habe ursprünglich Philosophie studieren wollen, um dann zum Theater zu gehen. Meine Mutter fand, ich sei schulmüde und solle erstmal ein Jahr etwas anderes machen. Ich bin dann von zu Hause richtig abgehauen, trampte nach Dresden und wurde Hilfsarbeiterin im Flugzeugwerk Klotzsche. Nach ein paar Monaten wurde ich krank, weil ich mit Nitrolack arbeitete. Im Krankenhaus lernte ich eine Frau kennen, deren Mann war Regisseur beim Fernsehen. Ich wollte dann nicht mehr Philosophie studieren, sondern wurde für zwei Jahre Regieassistentin beim Fernsehen.
Wie kamen Sie mit dem Theater in Berührung?
Die Mutter einer Freundin war beim Theater. Ich bin permanent ins Theater gerannt und fand es ganz wunderbar.
Welche Stücke hatten Sie gefesselt?
Bevor ich anfing zu studieren, war es Brecht und nur Brecht und immer wieder Brecht. „Galileo“ und der „Gute Mensch von Sezuan“, das waren damals die alten Inszenierungen am Berliner Ensemble. Ich bin vier- oder fünfmal die Woche ins Theater gegangen, es gab Karten für 50 Pfennig im zweiten Rang, Stehplätze. Unser Studium war ganz unorthodox: Sartre, Kirkegaard, Ionescou, das ganze absurde, spätbürgerliche Drama, also weniger Sozialistisches. Es gab natürlich auch Seminare zu Neuinszenierungen, aber das war nicht das, was unser Lernen bestimmt hat.
Wurde das Theater Ost und das Theater West unterschiedlich wahrgenommen, im Sinne von fortschrittlich hier, konservativ dort?
Nein, sicher nicht. Es war damals die Zeit von Peter Brook, der uns alle sehr faszinierte. Als wir anfingen zu studieren, war das Theater in der DDR wirklich arg im Niedergang. Da wurden die Stücke von Wogatzki gespielt, diese ganzen Produktionsstücke, die auf die Bühne kamen. Erst während wir studierten, fing die große Zeit von Besson an. Da kam dann der „Drache“, „Die schöne Helena“– diese wirklich wunderbare Zeit am Theater, die aber auch begrenzt war. Besson ging irgendwann wieder, und alle bekamen Ärger, und Stücke wurden abgesetzt. Auf die Idee, das Theater im Westen für das schlechtere zu halten, wären wir wohl nicht gekommen.
Gab es Künstler, Persönlichkeiten in der DDR, denen Sie nacheifern wollten?
Heiner Müller zum Beispiel. Das hatte auch damit zu tun, dass seine Frau bei uns studierte und wir ihn dadurch besser kannten, als wir ihn normalerweise vielleicht kennengelernt hätten.
Während des Studiums war ein Dozent für mich sehr wichtig, Ernst-Günter Kautz. Ich glaube, es war besonders seine Art zu fragen, die ein genaues und interessantes Denken provozierte. Das half auch, empörende Situationen zu ertragen, ohne gleich kopflos zu werden; also die Dinge einzuordnen und darin seinen Standpunkt zu finden. Kautz war der, dem ich während meiner Studienzeit vielleicht am meisten zu verdanken hatte, der mich wohl auch gut verstanden hat und sich nicht nur an meiner Renitenz stieß, sondern mir half, sie brauchbar zu machen.
Ein Jahr vor Ihrem Studienbeginn wurde um Westberlin die Mauer gebaut. Wurde in der Seminargruppe über die politische und über familiäre Situationen viel diskutiert?
Am Anfang war ich nicht unbedingt ein Gegner der Mauer, weil ich immer dachte, jetzt kann man den richtigen Sozialismus machen, jetzt laufen die Arbeitskräfte nicht mehr weg, jetzt wird alles gut.
Wie lange hat es gedauert, bis Sie erkannt haben, dass die Mauer doch eine andere Funktion hatte?
Ich glaube, das ging relativ schnell, weil ich ja merkte, dass sich das, was ich erhofft hatte – nämlich einen gerechten und richtigen Sozialismus –, dass eben das gerade nicht passierte. In dem Maße, in dem ich andere Erfahrungen machte, zerstob auch diese Illusion. Wir hatten damals auch gute Kontakte zur Erlanger Studentenbühne. Die kamen nach Berlin, und wir haben ein Brecht-Seminar gemacht. Zu diesem Seminar habe ich Biermann-Bänder aufgelegt, öffentlich, was für Aufruhr sorgte. Nicht, weil jemand was dagegen gehabt hätte, sondern weil alle Angst hatten, es könnte jemand dabei sein, der es weitererzählt. Ich glaube, dass auch durch diese Kontakte unser Blick auf die Dinge offener wurde.
Konfrontierten Sie Ihren Stiefvater Karl Maron, der unter Walter Ulbricht Innenminister war, damit?
Sicher, er hat die Mauer ja gebaut. Aber wir haben nicht darüber diskutiert, denn wir haben über solche Sachen überhaupt nicht diskutieren können.
Begegneten Ihnen Menschen wegen Ihres Elternhauses mit einer gewissen Distanz, war man vorsichtig? Wurden Sie als Sprachrohr gesehen?
Dass es keine Rolle gespielt hat, kann ich mir schwer denken. Ich habe damals nicht darüber nachgedacht. Ich stand selber so in Opposition zu meinem Stiefvater und allem Möglichen und bin davon ausgegangen, dass die anderen Leute mich wahrnehmen als mich und nicht als Tochter von jemandem. Viel später habe ich erst überlegt: Was haben die eigentlich alle gedacht, und wie sind sie mit mir umgegangen? Das war aber nicht während des Studiums. Da kennt man sich ja gut. Ich denke, das betraf eher Leute, die mich nur flüchtig kannten. Aber dass es eine viel größere Rolle gespielt hat, als ich wahrnehmen wollte, das denke ich schon.
Trotz Ihrer Opposition zum Elternhaus sind Sie noch während des Studiums Mitglied der SED geworden.
Bei uns im Studienjahr gab es drei Genossen, die entschieden, was in der Studentenbühne gespielt wurde. Und darüber haben mein Ehemann und ich uns dermaßen aufgeregt, dass wir beschlossen, wir treten ein und bestimmen mit. Das stellte sich als falsch heraus. Man begeht viele Irrtümer in seinem Leben. Und während sie meinen Mann aufgenommen haben, haben sie mich zuerst nicht genommen, mit der Begründung, ich diskutierte im Seminar immer nur gezielt gegen die Genossen. Daraus schließe ich, dass sie mich nicht mit meinem Stiefvater identifiziert haben.
Sie traten also in die SED ein, um aus der Partei heraus Veränderung zu schaffen?
Ich bin aufgewachsen zwischen Leuten, die Kommunisten waren, manche kamen aus dem KZ. Und einer davon, dessen Schicksal mich immer sehr gerührt hat, ist mit 19 ins KZ gekommen und mit 31 wieder raus. Der hat zu mir gesagt: Monika, du machst doch den Leuten, über die du dich beschwerst, den Platz frei. Ich war sehr jung und durch solche Bemerkungen zu beeindrucken. Es dauerte nicht lange, bis ich bemerkte, dass es ein Irrtum war, weil man innerhalb der Partei eher weniger machen konnte, weil man zusätzlich durch die Parteidisziplin gefesselt war.
Wie gestalteten sich die Studienbedingungen, gab es an der Institutsbibliothek „Giftschränke“, war der Zugang zu bestimmten Büchern eingeschränkt?
Unsere Bibliothek, allerdings nur die Institutsbibliothek, war frei zugänglich, auch die Giftschränke. Alles, was wir hatten, konnten wir ausleihen und lesen. Es gab aber immer nur ein Exemplar und man musste sehen, wie man es bekam. Wir wurden eigentlich immer aufgefordert, alles zu lesen, was zu haben war.
War es Ihr Wunsch, nach dem Studium ans Theater zu gehen?
Während des Studiums haben wir Praktika am Theater gemacht und dabei habe ich gemerkt, dass ich überhaupt kein Kollektivarbeiter bin, dass ich gar nicht denken kann, wenn zwanzig Leute um mich herum sitzen. Das ist etwas, das man vorher von sich nicht weiß. Wenn man mich fragte: „Fräulein Maron, was denken sie darüber?“, dann wurde ich rot und stammelte irgendwas. Ich hätte sagen müssen: „Ich geh mal nach Hause, denke nach und komme wieder.“
Wann haben Sie ernsthaft mit dem Schreiben begonnen?
Als ich ganz jung war, dachte ich, ich muss Schriftstellerin werden. Später habe ich mich nicht mehr getraut. Es gibt ja eine Zeit – für mich waren das die Jahre nach dem Studium – in der man plötzlich denkt, wie dumm man eigentlich ist oder wie klug alle anderen sind. Ich habe dann das Schreibbedürfnis reduziert auf den Journalismus. Ich hatte auch nicht das Gefühl, dass ich etwas wusste, das ich in einem Buch hätte mitteilen müssen. Aber dass ich ein Buch schreiben will, muss ich wohl im Hinterkopf behalten haben, denn als ich die erste wirkliche Chance hatte, habe ich sie ergriffen.
Wann reifte in Ihnen der Gedanke, ein Buch zu schreiben?
Das war, nachdem Karl Maron gestorben war und ich eine Geldsumme erbte, die mir erlaubte, eineinhalb oder ein Jahr ohne zu arbeiten ein Buch zu schreiben. Ich hatte ein Kind, lebte allein und war Journalistin. Nebenbei hätte ich es nicht geschafft, aber da habe ich gedacht: „So, jetzt oder nie!“
Sie haben Ihr Buch „Flugasche“ im Westen veröffentlichen lassen, obwohl Sie wissen mussten, dass es in der DDR sicher harte Konsequenzen geben würde, Arbeitsverbot et cetera. Was hat Sie dazu veranlasst?
Wenn man ein Buch geschrieben hat, dann will man es auch gedruckt sehen. Während ich es schrieb, habe ich gedacht, dass ich es nie in den Westen geben würde. Dann war das Buch fertig, und ich habe zwei Jahre um die Veröffentlichung gekämpft. Ohne Erfolg. Ich war ziemlich wütend und am Ende meiner ökonomischen Kräfte. Ich hatte 10.000 Mark Schulden, das war im Osten ein Jahreseinkommen. Das Buch war geschrieben, und dann habe ich gedacht: na gut. Ich hätte es auch nicht ertragen, dieses Buch, auf das ich ja sehr stolz war, nicht veröffentlicht zu sehen.
Gab es Repressalien?
Ich war ja nirgends angestellt. Aber schon während ich noch auf die Veröffentlichung wartete, habe ich versucht, als Dramaturgin an einem kleinen Berliner Theater, dem „Ei“, unterzukommen. Es sah zuerst auch so aus, als würden sie mich nehmen, und dann haben sie gesagt, ich sei überqualifiziert. Also, es war schon klar, ich würde nichts finden. Ich hatte auch wirklich Angst vor dem Bruch. Es war dann aber viel leichter, als ich befürchtet hatte. Nachdem ich es hinter mir hatte, war es ganz in Ordnung.
Das Gespräch führten Peter Göbel und Heike Zappe.
Das Interview ist am 13. April 2008 in der Tagesspiegel-Beilage der Humboldt-Universität zu Berlin erschienen.
Kontakt: heike.zappe@uv.hu-berlin.de