Frau Dr. Büttner-Janz, was bringen Sie mit der Humboldt-Universität
in Verbindung?
Historisch betrachtet meine Studienzeit und dass ich heute noch immer
mit der Humboldt-Uni durch die Ausbildung von Studenten recht eng verbunden
bin.
An welches Detail erinnern Sie sich sofort?
Na, die zwei Humboldts vor der Uni.
Wissen Sie, wer links bzw. rechts sitzt?
Diese Frage wurde mir kürzlich schon einmal gestellt, und ich habe
sie falsch beantwortet.
Schätzen Sie mal!
Nein, das ist ja Raten. Ich weiß nicht mehr. Rechts Wilhelm, links
Alexander.
Umgekehrt.
Wusste ich. (lacht)
Derjenige, der dem Alexanderplatz näher ist, ist Alexander.
Richtig. Ja.
Beim Erwähnen Ihrer Studienzeit leuchteten Ihre Augen ein wenig.
Erinnern Sie sich positiv daran?
Ja. Unbedingt.
Sie waren eine aktive und äußerst erfolgreiche Hochleistungssportlerin
und gleichzeitig nahmen Sie ein Medizinstudium auf, was ja doch, selbst
wenn man nicht Leistungssport treibt, sehr anstrengend ist. War das nicht
eine Doppelbelastung für Sie?
Es waren nur anderthalb Jahre, in denen sich Leistungssport und Studium
überschnitten. Insofern war die Belastung nicht so, wie Sie das jetzt
vermuten. Parallel zu den Olympia-Vorbereitungen 1972 habe ich zwei Fächer
absolviert. Das ist natürlich nichts gegenüber dem normalen
Studium. Nach den Olympischen Spielen wurde ich versetzt in ein anderes
Studienjahr, damit ich noch einmal beginnen konnte.
Konnten Sie sich dann kontinuierlich dem Studium widmen?
Es gab nach Olympia, wo wir mit fünf Medaillen - einzeln und mit
der Mannschaft -sehr erfolgreich waren, eine Auszeichnungsreise für
die Medaillengewinner. Dann war ich noch zwei Wochen in Japan und zu einem
Schauturnen in der damaligen UdSSR. Ja, und dann fing ich eigentlich erst
an mit dem zweiten Semester des ersten Studienjahres, in das ich versetzt
wurde und musste im Grunde genommen das erste Semester nachholen. Als
die anderen Studenten in ihren Semesterferien waren, habe ich das meiste
absolviert. Gleichzeitig fanden aber im Sommer 1973 die Weltfestspiele
der Jugend und Studenten in Berlin statt, und ich war auserkoren, bei
einer Massenübung auf einer Pyramide ganz oben zu sein. So zehn,
elf Meter hoch war das; ich schwebte da in der Luft in einer bestimmten
Pose. Und dafür war also Training erforderlich. Ich kann mich erinnern,
dass ich damals mit meinen Chemie-Unterlagen im Training war und in der
Pause gelernt habe. Am Tag nach den Weltfestspielen war die Chemie-Prüfung.
Hatten Sie einen speziellen Studienplan?
Ja. Es gab auch Dozenten, die die Zeit aufbrachten, mich im Einzelgang
auszubilden, so dass ich meine Prüfungen absolvieren konnte, um dann
regulär mit dem Studium weiter machen zu können. Im vollständigen
Alleingang geht es nicht. Unsere Anatomie-Dozentin, borgte mir sogar ein
Mikroskop und Präparate, damit ich mich am Wochenende, wenn die Labore
geschlossen waren, bilden konnte. Immerhin, die Präparate waren heilig.
Die kann man beim Mikroskopieren, mal schnell zerstanzen; und die Arbeit,
diese anzufertigen, ist ja ziemlich aufwändig. Damit wurde mir auch
die Möglichkeit geboten, einfach nachzuholen. Und ich war sehr dankbar
dafür.
Da waren Sie 21 Jahre. Ihre Sportlerkarriere begann ja wesentlich
früher. Ihr Vater entdeckte Sie ...
Ja richtig. Mit einem halben Jahr so ungefähr. Er war an der Erweiterten
Oberschule Lehrer für Physik und Sport, hat selbst sehr gern und
gut geturnt und hat sicher gedacht: Prima Hobby für den Vater, mit
dem Kind mal so etwas zu versuchen.
Er hatte schon den richtigen Blick?
Sicherlich. Er war auch recht erfolgreich im deutschen Maßstab.
Und ihm hat es Spaß gemacht. Mir auch, sonst hätte ich es nicht
verfolgt. Kinder sind ja da gnadenlos. Die machen eben das, was Spaß
macht und das eben nicht oder widerwillig, was nicht Spaß macht.
Und er hat mir schon eine ganze Menge beigebracht, bevor ich dann auf
eine Kinder- und Jugend-Sportschule kam.
Die Kinder- und Jugend-Sportschule war im damaligen DDR-Bezirk Cottbus
in Forst. Wie lief das Leben dort ab?
Getrennt von den Eltern. Und das war nicht gut in diesem Alter. Am Wochenende
war man bei den Eltern, also sonnabends nach der Schule nach Hause fahren,
sonntags wieder zurück. Oft hatte man sogar Wettkampf. Dann wieder
von Montag bis Sonnabend Schule und Training im Wechsel. Das fing an,
als ich zehn war. Ganz schön zeitig, nicht? Andererseits, wenn man
im Turnen sehr gut werden möchte, dann muss man das früher beginnen,
vielleicht mit vier, fünf, sechs Jahren. Und man sollte auf die Eltern
schauen, ob sie körperliche Voraussetzungen bieten, die vererbt werden.
Mit Beginn des neunten Schuljahres sind Sie nach Berlin ins Trainingszentrum
gekommen. 1966, als Sie dort anfingen, wurden zum ersten Mal die Spartakiade-Wettkämpfe
ins Leben gerufen, also so kleine Olympische Spiele für Kinder und
Jugendliche in der DDR. Da war möglicherweise auch der Leistungsdruck
von der staatlichen Seite da, möglichst gute Talente zu rekrutieren?
Im Berliner Trainingszentrum fand ich sehr gute und mit führende
Turnerinnen der ehemaligen DDR vor. Da nahm man sicher nicht jeden. Mir
wurde die Möglichkeit geboten, dort mit dem Training zu beginnen.
Für mich war hier auch eine Perspektive erkennbar, sich weiter entwickeln
zu können, und der Sport machte auch Spaß.
Machten
Sie sich damals schon Gedanken, was sich an eine sportliche Karriere anschließen
könnte?
Ja. Rechtzeitig, schon mit acht, neun Jahren wollte ich Medizin studieren.
Erst Zahnmedizin. Ich merkte dann aber, als ich selbst hin und wieder
Patientin war, dass ich "zu kurz geraten" war, um das absolvieren
zu können.
Die Alternative war?
Ich dachte dann an's Dolmetschen. Leider bin ich nicht besonders sprachtalentiert.
Sie hatten immerhin in Russisch und in Englisch eine Eins.
Ja, klar. Aber ich weiß, dass es Menschen gibt, die sich sehr leicht
im Ausland einleben. Vielleicht bin ich auch nicht kontaktfreudig genug.
Heute kann ich das im ausreichenden Maße, wenn ich zu Kongressen
bin, Vorträge halte und in der Diskussion bestehen darf. Aber ein
Sprachtalent bin ich nicht.
Turnen hat mit Tanz zu tun. Tendierten Sie in eine künstlerische
Richtung?
Nein. Aber der Gedanke Medizin zu studieren, ist dann zunehmend gewachsen.
Ich hatte während des Sports zum Glück nie richtig große
Verletzungen. Mal umgeknickt, mal verstaucht und gezerrt oder ein vorrübergehendes
Überlastungsproblem, das hatte ich schon. Da wurde ich dann von einem
Facharzt für Orthopädie oder Chirurgie behandelt. Auf Grund
dieser Erfahrungen konnte ich mich schon grob damit identifizieren, das
für die Zukunft als Option zu sehen. 
Leistungssportler genossen in der DDR einen besonderen Stellenwert.
War es eher förderlich prominent zu sein, als Sie an der Charité
mit dem Studium begannen?
Es war sehr schwierig. Bereits als ich dem Seminar vorgestellt wurde,
ist Bezug genommen worden auf meine sportliche - in dem Falle dann schon
fast - Vergangenheit. Man ist Outsider. Ich hatte ja schon die letzten
Schuljahre fast im Alleingang verbracht, hatte Einzelunterricht, damit
ich Training und Schule miteinander koppeln konnte. Nun wurde ich wieder
als Einzelgänger präsentiert, aber es gelang mir dann doch glücklicherweise
recht schnell, mich in diese Gruppe einzubringen.
Bei den Prüfungen hat man sehr kritisch geschaut, ob man auf seinem
erfolgreichen sportlichen Polster aufbauen will. Also, ich wurde ziemlich
hart ran genommen. Im Laufe der Zeit spielte der Bekanntheitsgrad aber
keine Rolle mehr. Ich hatte auch keine Probleme, das Studium zu absolvieren.
Als Leistungssportlerin mussten Sie auch abtrainieren, oder?
Das ist ganz bestimmt zu kurz gekommen. Ich kann froh sein, dass Turnen
keine Ausdauersportart ist und ich ohnehin kein Ausdauermensch war. Ich
habe sehr viel mit Technik kompensiert. Also technisch möglichst
perfekt zu turnen und damit Kräfte sparend und gleichzeitig schön,
ästhetisch.
Ich bin dann früh mit dem Fahrrad gefahren durch Berlin zur Uni.
Zehn Kilometer jeden Tag, wenn zumindest das Wetter es zuließ.
Und dann nach dem Seminar in die Turnhalle?
So gut wie nicht mehr. Mal so aus Jux, also mal einfach probiert, was
noch geht.
Die Olympischen Spiele in München 1972 gaben Ihnen nicht den
Kick, um sich zu motivieren und zu sagen, jetzt zieh' ich noch einmal
vier Jahre durch?
Nein. Gleich nach dem Wettkampf habe ich verkündet, ich hör'
auf - zum Entsetzen der Trainer. Ich wollte ja Medizin studieren. Ein
Medizinstudium und die Facharztweiterbildung - das ist ein sehr weiter
Weg. Irgendwann möchte man mal fertig sein. Also, da hatte ich ganz
klare Zielstellungen. Außerdem hatte ich das Gefühl, an meinem
Zenit angekommen zu sein. Ich war froh, relativ jung und erfolgreich mit
dem Sport aufhören zu können und dann in das eigentliche Leben,
das mit Beruf gekoppelt ist, einsteigen zu können.
Sie waren nach dem Studium und der Ausbildung zur Fachärztin
für Orthopädie auch in der Forschung erfolgreich.
Ich bin eine der beiden Entwickler einer künstlichen Bandscheibe,
die im allgemeinen Sprachgebrauch als Charité-Disk bezeichnet wird.
Die Entwicklung begann etwa 1982 in der Orthopädischen Universitätsklinik.
Ich habe zu der Thematik auch habilitiert. Meine Habilitation wurde zu
Beginn der 90er Jahre in den USA als Buch heraus gebracht. Das zeigt schon
das damalige Interesse Es gab aber auch eine schwierige Phase der Entwicklung
Anfang der 90er Jahre. Ich war vermutlich in Deutschland die Einzige,
die diese Prothese, dann schon in der dritten Entwicklungsstufe und durch
eine Hamburger Firma hergestellt und vertrieben, implantierte. Und ich
hatte auch keinen leichten Stand damals, weil unter meinen Kollegen möglicherweise
mehr Widerstreiter als Befürworter waren.
Aber es wurde doch ein sehr erfolgreiches Patent?
Mitte der 90er Jahre ging dann eine unheimliche Entwicklung los: Die Prothese
wurde inzwischen über 6000 Mal implantiert, auf allen Kontinenten,
in über 30 Ländern. Inzwischen wurden zwei Prothesen verkauft,
auch die Charité-Disk, mit so viel Geld, dass man davon ein großes
Krankenhaus hätte bauen können, wenn man dieses Geld so anlegen
wollte.
In Ihrer Diplomarbeit hatten Sie sich noch einer statistischen Untersuchung
zur Notfallmedizin in der DDR gewidmet.
Aus heutiger Sicht hätte ich wirklich ein anderes Thema wählen
sollen. Mein Ziel war damals eine Diplomarbeit möglichst kurz und
unkompliziert zu schreiben, um den erforderlichen Beitrag zum Studienabschluss
zu bringen.
Sie wollten nicht im Bereich Sportmedizin arbeiten?
Ich sollte eigentlich bei meinem Sportclub einsteigen, das heißt
Leistungssportler betreuen in Trainingslagern und dergleichen.
Wurden Sie auch mit dem Thema Doping konfrontiert?
Glücklicherweise nicht. Ich denke, man kann vieles durch Trainingsmethodik,
mit Organisation und auch mit richtiger Ernährung erreichen. Mit
dem, was der Gesundheit zuträglich ist und was mit der Vermeidung
von Überlastungsschäden oder Verletzungen einher geht. Aber
künstliche Mittel, von denen man nicht mal weiß, ob die nicht
für den Körper direkt oder perspektivisch schädlich sind,
lehne ich ab.
Wie
fanden Sie den Weg zur Bandscheibe?
Die Promotion war fertig gestellt und ich wollte habilitieren. Ich hatte
den Anspruch, kreativ zu arbeiten, innovativ zu sein, ich wollte gern
etwas machen, was einen Neuheitswert hat. Man wusste damals, dass das,
was vereinzelt in der Welt veröffentlicht wurde zum künstlichen
Bandscheibenersatz, nichts taugt. Es gab ein leeres Feld ist in der Wirbelsäulen-Chirurgie
und -Orthopädie. Der damalige Klinikdirektor in der Charité,
Prof. Hartmut Zippel, wies darauf hin und dann wurde das Thema aufgegriffen
von Dr. Kurt Schellnack, der später Professor wurde, und von mir.
Wir beide waren die Entwickler der künstlichen Bandscheibe, der "Charité-Disk".
Die ersten Implantationen des Modells 1 wurden 1984 durchgeführt.
Dann wurde Modell 2 entwickelt mit einer größeren Abstützfläche
im Bandscheibenraum. Erste Implantation 1985.
Ging die Entwicklung reibungslos vonstatten?
Leider gab es Materialprobleme. In der DDR war die Herstellung der benötigten
Metallplatten nicht so möglich, wie man sich das optimal gewünscht
hätte. Wir hatten uns dann damals an eine Hamburger Firma wenden
können. 1987 wurde in Hamburg eine Prothese hergestellt, die den
erforderlichen Belangen nachkam, gerade unter Beachtung der Bedingungen
der Lendenwirbelsäule aus medizinischer, biomechanischer Sicht. Und
dann begann eigentlich die Entwicklung. Wir haben Patienten in der Charité
operiert und die Methode wurde zunehmend verbreitet. Bis sich das richtige
Interesse an der Prothese durchsetzte, vergingen trotzdem noch fast zehn
Jahre. Dann ging es so richtig los.
War das üblich an der Charité, mit westdeutschen Forschungseinrichtungen
zusammenzuarbeiten?
Ich glaube nicht. Sicher hatte es einer Genehmigung bedurft. Auch die
Genehmigung zum Veröffentlichen von Beiträgen in Zeitschriften
aus dem westlichen Ausland musste man sich über die entsprechenden
Instanzen in der Charité einholen. In der führenden deutschen
Orthopädiezeitschrift habe ich 1987 den Leitartikel bringen können
zu dieser künstlichen Bandscheibe.
Wie sah denn Ihr Arbeitsalltag aus?
Mit dieser Forschungsarbeit war ich maximal zugedeckt. Ich war seit 1987
viele Jahre Oberärztin für Endoprothetik mit entsprechend langen
Arbeitstagen. Ich hatte publiziert und Vorträge gehalten und dann
die Habilitation Schritt für Schritt erarbeitet. Diese Entwicklung
der künstlichen Bandscheibe war ja weltweit einmalig. Auch wenn wenig
Freizeit war, die eigentliche Klinikarbeit hat mir großen Spaß
gemacht, mit den Patienten eine Partnerschaft einzugehen, die eine erfolgreiche
Behandlung ermöglicht.
Sie wurden als "Vorzeigesportlerin" auch zu Veranstaltungen
eingeladen. Endete das mit Ihrer sportlichen Kariere?
Nicht ganz. Auch später noch führte ich Foren durch, wo man
Lichtbilder zeigte und erzählte, was man bei den Auslandsaufenthalten
erlebt hat. Das war auch deshalb interessant, weil die bekannten Reisebeschränkungen
bestanden und die Sportler durch die Wettkämpfe mehr Möglichkeiten
hatten. Aber das würde ich nicht in die Kiste Ideologie packen. Das
war halt eine Reisedarstellung.
Es gab diesen Terminus "Diplomat im Trainingsanzug". Fühlten
Sie sich so?
Da ist schon etwas dran gewesen. Es war auch eine interessante Zeit im
Sport. Wir trugen 1968 in Mexiko City zu den Olympischen Spielen dieses
gemeinsame deutsche Emblem. Es gab eine gemeinsame deutsche Mannschaft
mit gemeinsamer Hymne, mit gemeinsamem Emblem, gemeinsamer Fahne.
Und dann trat die DDR 1972 zu den Olympischen Spielen - und Olympische
Spiele sind ja nach wie vor das Weltereignis im Sport - erstmalig selbstständig
auf und das ausgerecht in München, in der Bundesrepublik Deutschland.
Die Reaktionen gingen nicht an einem vorbei. Wir hatten unsere Zielstellung
für die Wettkämpfe und man wusste ungefähr, wo man an welchem
Gerät vielleicht welche Medaille erkämpfen könnte. Und
die besonderen politischen Bedingungen waren nicht gerade entlastend und
beruhigend.
Sie haben für die Spiele eine Figur kreiert ...
Ja, den "Janz-Salto" am Stufenbarren. Zusammen mit dem Trainer
wird so etwas erarbeitet. Mindestens ein Jahr wird dann diese Übung
trainiert, ohne noch einmal kreativ zu sein. Es ist ein sehr großer
Aufwand, so ein Element wirklich routinemäßig, relativ sicher
beherrschen zu können mit der auch nervlichen Belastung zu großen
Wettkämpfen. Kreativität spielt in der Trainingsphase keine
Rolle mehr, nur die technische Perfektion.
Wären Sie in Westdeutschland aufgewachsen, wären Sie dann
auch das geworden, was Sie heute sind?
Es ist eigentlich nicht richtig möglich, das zu vergleichen, weil
zu viele Einflussfaktoren da sind, die man nicht vergleichen kann, weil
man sie nicht kennt. Ich könnte mir vorstellen, dass ich vielleicht
ähnlich gut hätte werden können und zwar deshalb, weil
ein Großteil der Vorarbeit mein Vater geleistet hat. Dann wäre
es darauf angekommen, einen richtigen Trainer und ein Team zu finden.
Ein Einzeltrainer im Turnen ist nicht möglich durch die verschiedenen
Geräte; Gymnastik ist nicht gleich Barrentraining. Und wenn das Training
mit Geld verknüpft gewesen wäre, hätten meine Eltern sich
das allerdings nicht leisten können. Ich bin in normalen, eher ärmlichen
als reichen Verhältnissen groß geworden. Es ist eine Frage
des Talents, der Förderung und der Trainingsbedingungen. Und wie
man es mit Schule verbinden kann.
Kennen Sie Sportlerinnen aus Ihrer damaligen Zeit aus dem westlichen
Ausland, die eine ähnliche Kariere aufweisen können wie Sie?
Das nicht. Das Niveau im Turnsport im weiblichen Bereich war in der damaligen
Bundesrepublik nicht gut. Vielleicht hätte ich es besser gemacht.
Wer weiß.
Sie sind heute Privatdozentin, leiten eine Klinik, operieren, sind
im medizinischen Leben eine gestandene Frau. Haben Sie sich Ihren Lebensweg
so vorgestellt?
In der Studienzeit habe ich nicht so weit voraus gedacht. Da habe ich
bis zur nächsten Prüfung gelebt, dann bis zum Studienabschluss,
zum Abschluss des Praktikumsjahres, der Facharztweiterbildung. Ich fing
erst an über den Gartenzaun in die Ferne zu gucken, als ich Chefärztin
hier wurde, 1990 im März war das.
Voraus schauen gehört auch zu meinem Beruf in zweierlei Hinsicht.
Mein Fachgebiet verlangt es: Wie lange ist das Implantat im Körper,
ist der Patient damit zufrieden, welche Probleme sind zu erwarten, wie
kann man den Patienten darauf vorbereiten, ihn rechtzeitig aufklären,
welche Alternativen gibt es?
Zum anderen, wenn man eine Klinik leitet, und ich mache das auch sehr
gern, möchte man rechtzeitig erfassen, wo die Entwicklung hin geht?
Wie kann man sein Team motivieren und nach vorn orientieren und die erforderlichen
Schritte dafür unternehmen?
Fühlen Sie sich noch der Charité verbunden?
Meine Verknüpfung mit der Charité als Medizinischer Fakultät
der Humboldt-Universität zu Berlin reicht vom Jahr 1971, wo ich immatrikuliert
wurde, da bis zum heutigen Tag. Man wusste, dass man in einer besonderen
Einrichtung studiert. Sie ist auch heute noch etwas Besonderes. Der Name
Charité setzt sich durch, trotz verschiedener Entwicklungen, die
sich inzwischen vollzogen haben.
Nach der Studienzeit und der Arbeit in der Orthopädischen Klinik
der Charité bin ich ins Klinikum Hellersdorf gekommen, habe 1992
die entsprechende Befugnis erhalten, in der Lehre tätig zu sein.
Seitdem führe ich Seminare, Vorlesungen und Studentenbetreuung durch.
Spielt der Sport noch eine Rolle in Ihrem Leben?
Hin und wieder. Ich hatte in diesem Jahr die große Ehre, in die
International Gymnastics Hall of Fame in Oklahoma City aufgenommen zu
werden, mitten in der Tornadozeit. Aber das Sporttreiben kommt zu kurz.
Ich fahre sehr gern Ski-Alpin, versuche aber nicht zu gefährlich
zu fahren, weil ich nicht meine eigene Patientin werden möchte. Es
gibt auch immer wieder ehemalige Sportler in meiner Sprechstunde. Die
sehe ich natürlich gern. Manchmal ist auch die Erinnerung ein bisschen
dabei. Es passiert sehr oft zu den Klinikvisiten, dass ich auf meine Sportzeit
angesprochen werde. Mir ist das dann manchmal auch in gewisser Hinsicht
peinlich, weil es um die Klinikarbeit geht und nicht um mich als Person.
Aber die Patienten, die Erinnerungen an die frühere Sportzeit ansprechen,
die haben noch heute einen hohen Identifikationsgrad damit. Und das verbindet.
An der Humboldt-Universität nehmen in diesen Tagen mehr als 6000
junge Menschen ein Studium auf. Welchen Rat möchten Sie ihnen mitgeben?
Universitäten sind sehr wichtig, ich sehe sie als Motor der Zukunft
an. Die Studenten sind im Normalfall hoch interessiert, etwas zu bewegen.
Für sich, für ihr Fach, das sie wählen. Sie sollten möglichst
schon während der Schulzeit herausfinden, wo ihre spezifischen Interessen
liegen. Damit sie sich von Anbeginn auf das konzentrieren können,
was mal später als Berufswunsch ansteht. Und ich glaube, das fällt
vielen jungen Leuten recht schwer. Man wird nur richtig gut im Fach, wenn
man sich voll einbringt. Die in der Universität Lehrenden sollten
sehr offen sein, den Studenten maximal Unterstützung zu leisten -
in einer verbalen Vermittlung und auch in der direkten Arbeit. Aber es
soll natürlich nicht das Leben zu kurz kommen. Das soll man trotzdem
genießen.
Das GesprÃÂÃÂÃÂÃÂÃÂÃÂÃÂäch fÃÂÃÂÃÂÃÂÃÂÃÂÃÂührten Heike Zappe und JÃÂÃÂÃÂÃÂÃÂÃÂÃÂörg Wagner.
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