Humboldt-Universität zu Berlin

Ansprache anläßlich der Emeritierung von Wulff Plinke

13. Februar 2008

Lieber Vizepräsident Eveslage, Spectabilis Günter, lieber Herr Ehrhardt, lieber Herr Röller, lieber Herr Reuter, lieber Herr Thies, und so viele, die ich gern auch namentlich nennen würde, und nun summarisch nenne: liebe, verehrte Kolleginnen und Kollegen, liebe Studierende, meine sehr verehrten Damen und Herren, und zuerst und zuletzt: liebe Frau Plinke, lieber Herr Plinke, et vice versa: lieber Herr Plinke, liebe Frau Plinke,

der vorletzte österreichische Kaiser Franz Josef, zuletzt und mitten im ersten Weltkrieg ein Denkmal einer untergegangenen Epoche, soll am Ende einer jeden Dienstpflicht mit den ebenso liebenswürdigen wie unverbindlichen Worten geschlossen haben: „Es war sehr schön, es hat mich sehr gefreut“. Am Ende einer höchst erfolgreichen Lehrtätigkeit in Bochum, Hannover und Berlin, lieber Herr Plinke, könnte so ein liebenswürdiges Schlußwort ja auch naheliegen, von Ihrer Seite wie von der meinen als dem derzeitigen Präsidenten der Humboldt-Universität zu Berlin: „Es war sehr schön, es hat mich sehr gefreut“. Natürlich hat es die Universität sehr gefreut, daß Sie als Dekan der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät in deren Gründer- und Aufbaujahren Maßstäbe für eine moderne, wettbewerbsorientierte Besetzung der Lehrstühle und der Prüfungsordnungen gesetzt haben, das war sehr schön, das hat uns sehr gefreut – und Sie vielleicht trotz aller Mühen, Auseinandersetzungen und Angriffe vielleicht auch; nicht umsonst ist Ihr Name immer wieder genannt worden, wenn man nach Kandidaten für das Amt suchte, das ich nun seit zwei Jahren bekleide – Sie haben sich, wenn ich das so vergleichsweise pathetisch sagen darf, um die Fakultät und damit um die Universität verdient gemacht. „Es war sehr schön, es hat mich sehr gefreut“.

Aber, lieber Herr Plinke, mit solchen ebenso kasuellen wie traditionellen Unverbindlichkeiten dürfen wir heute natürlich nicht auseinandergehen – ich, der Präsident der Humboldt-Universität zu Berlin, und Sie, der erste Dean der European School of Mangement and Technology – in Ihrer Humboldt-Personalakte übrigens stets in einer herrlichen deutsch-englischen Mischform geschrieben, die schon viel verrät über die Zusammenhänge, über ich die ich jetzt in jedem Fall sprechen muß, aber auch sprechen möchte: „European School of Managment and Technologie“ (ESMT). Auf den 30. März 2004 datiert Ihre Beurlaubung durch meinen Vorgänger im Amt und Sie haben mit großer Energie eben diese Einrichtung auf dem Schloßplatz aufgebaut, für eine „sehr gute erste Mannschaft“ gesorgt, auf die alles ankommt, wie Sie einmal in einem Zeitungsinterview gesagt haben und für alles Weitere, was eine solche Einrichtung in der Gründungsphase brauchte. Nun könnte man sich natürlich fragen, was anläßlich der letzten Vorlesung von Wulff Plinke als Ordinarius für allgemeine Betriebswirtschaftslehre der Hinweis auf Tätigkeiten eben desselben als beurlaubter Professor dieser Universität austragen kann und soll – und vielleicht fragen sich dies ja auch einige unter uns eben jetzt. Die Antwort, verehrte Damen und Herren, ist vergleichsweise einfach, auch wenn sie nicht jedem und jeder gefallen wird: Ich meine, lieber Herr Plinke, daß Sie als beurlaubter Professor der Humboldt-Universität am Kerngeschäft der Humboldtschen Universität gearbeitet haben und bin der festen Ansicht, daß wir auch lange nach Ihrer Emeritierung werden darüber nachdenken müssen, warum zwischen dem Kerngeschäft der Humboldtschen Universität und der Humboldt-Universität ein solcher Hiat aufgetreten ist, daß Sie dazu beurlaubt werden mußten. Denn es ist doch Kerngeschäft der Humboldtschen Universität, berufsferne Bildung und berufsbezogene Bildung zu kombinieren – die 1810 gegründete Alma Mater Berolinensis hat eben nicht nur fern jeder Berufsperspektive in Einsamkeit und Freiheit ausgebildet, den berühmten byzantinistischen Privatdozenten beispielsweise, der seinen Lebensunterhalt mit den Erträgen einer bayerischen Senf- und Sauerkrautfabrik bestritt, sondern auch ganz konkret für bestimmte Berufe, dazu sogar eigene Fakultäten konstituiert: die medizinische für die Ausbildung von Ärzten, die juristische für die von einschlägigen Richtern, Rechts- und Staatsanwälten, die theologische Fakultät für die Ausbildung von Pfarrern, in gewissem Sinne auch die Teile der philosophischen Fakultät für die Lehrerausbildung. Mir scheint nun aber, daß in den rund zweihundert Jahren diese berufspraktische Dimension der Humboldtschen Universität kaum, ja vielleicht gar nicht nachjustiert worden ist – wir bilden immer noch Ärzte, Richter, Rechts- und Staatsanwälte, Pfarrer sowie Lehrer aus und ringen seit vielen Jahren um die Reform dieser Ausbildung. Daß die Humboldtsche Universität direkte, praktische Berufsausbildung durchführen wollte, sollte und bis auf den heutigen Tag durchführt, wissen viele ihrer Angehörigen nicht und wollen es auch nicht wahrhaben (von den hier versammelten Kolleginnen und Kollegen natürlich einmal abgesehen). Anders wäre nicht zu erklären, daß wir den Anschluß an die Berufsentwicklung – und damit die Entscheidung, auf welche Berufe bezogen wir ausbilden wollen und auf welche dezidiert nicht – nie gesucht haben und teilweise durchaus aggressiv verweigert haben. In einem Haus, das ursprünglich einmal für eine Handelshochschule außerhalb der Universität und nicht für deren wirtschaftswissenschaftliche Fakultät gebaut wurde, muß man da nicht viele Worte machen; die hundertjährige Harvard Business School wurde übrigens selbstverständlich an der nämlichen Universität errichtet – schon damals begann sich jene Verspätung der deutschen Universität abzuzeichnen, an der wir heute so stark leiden und jener Vorsprung amerikanischer Universitäten bei der Umsetzung der Humboldtschen Ideale, die hierzulande zwei Jahre nach der amerikanischen Gründung noch einmal recht vollmundig beschworen wurden, während doch gleichzeitig mit der Gründung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft die Axt an die Wurzel der Einheit von Forschung und Lehre gelegt wurde.

Nun ist, so hoffe ich, allen verständlich, warum ich formuliert habe: Wulff Plinke hat als beurlaubter Professor der Humboldt-Universität am Kerngeschäft der Humboldtschen Universität gearbeitet – und ich denke, ich könnte Ähnliches an vielen Details der ESMT zeigen. Sie wird staatsunabhängig finanziert, wie dies die Gründer unserer Universität wollten, aber nicht zu realisieren vermochten; sie fördert die besten Köpfe unter Studierenden und stellt nur die besten Professoren ein, wie wir politisch nicht durchzusetzen vermögen und nicht zu bezahlen in der Lage sind; sie ist radikal dem Gedanken der Exzellenz verpflichtet, für den in den Gremien unserer Universität immer wieder mühsam geworben werden muß, der in der deutschen Universität insgesamt lange verpönt war. Führungskräfte und den Nachwuchs von Führungskräften wollte die preußische Spitzenhochschule Unter den Linden über lange Jahrzehnte schulen, im Interesse eines Staates, der angesichts einer politischen wie finanziellen, existenzbedrohlichen Krise solche Führungskräfte dringend brauchte – wir kennen alle diese Geschichte und wissen um die Differenzen zur Gegenwart deutscher Hochschulen und auch zur Gegenwart der Humboldt-Universität, trotz Ihrer, trotz unser aller engagierter Arbeit hier.

Ich will mich, lieber Herr Plinke, nicht mit dem Gedanken zufrieden geben, daß die Ideale der Humboldtschen Universität seit hundert Jahren stets und immer in Institutionen vor den Toren der Humboldt-Universität gesucht werden – seit 1910 in den Instituten der Kaiser-Wilhelm- und Max-Planck-Gesellschaft und so weiter und so fort. Ich denke, daß die große Herausforderung meiner Universität, Ihrer Universität, unserer Universität eben darin liegt, die Humboldtschen Ideale entschlossen zu realisieren – also wieder stärker nach der berufsbildenden Qualität unserer Studiengänge zu fragen, also wieder entschlossener auf Elitestudiengänge für den Führungskräftenachwuchs zu setzen, die Entwicklung hin zu einer Stiftungshochschule entschlossen voranzutreiben, und das alles, auch und gerade wenn der Weg dorthin noch weit ist und Widerstände hüben und drüben warten und Geschrei allerorten zu hören ist: Frösche pflegen zu quacken, wenn der Sumpf trocken gelegt wird.

Ich möchte eine traditionelle Bitte angesichts einer Emeritierung heute mit besonderen Nachdruck an den künftigen Emeritus richten: Bleiben Sie uns verbunden, lieber Herr Plinke. Helfen Sie der Humboldt-Universität, wieder mehr Humboldtsche Universität im klassischen Sinne zu werden, in dem Sie Ihre Erfahrungen an der ESMT und ihren Vorgängerinstitutionen bei der anstehenden Reform der Humboldt-Universität einbringen, dafür werben, daß auch hier Selbstverständliches endlich selbstverständlich wird und wenigstens in kleinen Schritten auf die großen Ziele zugeschritten wird, jedenfalls nicht der Stillstand triumphiert. Es kommt, so haben Sie gesagt, darauf an, exzellente Professorinnen und Professoren zu gewinnen, ja gewiß. Aber es kommt auch darauf an, sie über die Emeritierung, ein typisch deutsche bürokratische Erfindung, hinaus zu halten und – sei es als Seniorprofessoren, als Ratgeber oder wie auch immer – mit ihren Erfahrungen für die ununterbrochenen Prozeß der Reform zu halten. In einem Zeitungsartikel zur ESMT las ich den schönen Satz: „Wenn man sich die Geschichte der weltweit führenden Business Schools anschaut, dann dauert das Jahrzehnte“. Natürlich darf man einen solchen Satz  nicht so larmoyant sprechen wie der österreichische Kaiser, dessen gediegenes österreichisches Idiom mir zudem nicht zur Verfügung steht: „Es war sehr schön, es hat mich sehr gefreut“. Man darf sich nicht beruhigen mit dem Gedanken, daß ohnehin alles Jahrzehnte dauern wird. Aber man kann sich trösten damit, daß in einem, zwei oder drei Jahren noch längst nicht alles getan ist, weil nicht alles getan sein kann. Es dauert. Und eben deswegen, lieber Herr Plinke, danken wir Ihnen nicht nur namens der Humboldt-Universität für das, was Sie hier seit 1992 getan haben, sondern bitten ebenso herzlich wie dringend, daß Sie Ihre Arbeit für diese Universität in der einen oder der anderen Form fortsetzen.


Prof. Dr. Dr. h.c. Christoph Markschies
Präsident der Humboldt-Universität

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