Absolventenfeier der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät
In der gegenwärtigen Finanzkrise, verehrter Herr Senator, Spectabilis, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren und liebe Studierende, vor allem aber: liebe Absolventinnen und Absolventen, - in der gegenwärtigen Finanzkrise greifen viele, die sich für Experten halten - und leider auch solche, die Experten sein sollten, zu altväterlichen Theorien, die man längst für überwunden hielt. Der Präsident einer Universität, in deren Eingangshalle auf rotem schlesischen Marmor ein Zitat von Karl Marx befestigt ist, ist für solche Entwicklungen vielleicht sensibler als manche seiner Kollegen, ein Finanzsenator, der eine erfolgreiche, aber eben nicht maßlose Privatisierung bestimmter bislang öffentlich erledigter Aufgaben befördert hat, ist gewiß sensibler als manche seiner Kollegen und Sie, liebe Angehörige dieser Fakultät nun ganz gewiß - Finanzkrisen zu analysieren und präzise, nicht simplifizierende Vorschläge zu ihrer Prävention wie zu ihrer Lösung zu machen, ist ihres Amtes. Nicht meines. Ich sollte nur vermeiden, daß die Humboldt-Universität zu Berlin in eine Finanzkrise rutscht und Forderungen nach Mittelzuweisung sind selbstverständlich - wer wollte Ihnen da widersprechen, verehrter Herr Senator - nur ein Teil bei der Lösung der altbekannten Probleme.
Und doch möchte ich anläßlich Ihrer Absolventenfeier ein Wort zur gegenwärtigen Krise sagen. Wenn plötzlich "Vertrauen" zu einem Schlüsselbegriff wird, wäre es merkwürdig, wenn ein Theologe sich gar nicht angesprochen fühlte und das am Gedenktag der Reformation. Zunächst einmal besteht ja kein Zweifel, daß der selbst bei amerikanischen Präsidenten verbreitete Rückgang auf Strategien und Parolen bestimmter Altmeister auch einen Satz wieder zu Ehren zu bringen scheint, den Lenin gesagt haben soll: "Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser!". Da bricht Vertrauen in die Banken und insbesondere in das entsprechende Management zusammen, viele üben sich in Generalschelte und erschüttern das Vertrauen zusätzlich. Und eine Regierung hat alle Hände voll zu tun, um Vertrauen wieder herzustellen. "Kein Vertrauen, nirgends", titelte die Wirtschaftswoche vor zwei Wochen,
"Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser": Vermutlich wissen einige von Ihnen, daß - wie so oft, übrigens auch bei Luthers Wendung vom Apfelbäumchen - die Redewendung im erhaltenen Œuvre, das vor zwanzig Jahren noch massenhaft in braunen Umschlägen gebunden in den Buchhandlungen auslag, gar nicht nachgewiesen werden kann. Vergleichbare Formulierungen finden sich freilich - so in einem 1914 verfassten Aufsatz "Über Abenteurertum". Dort heißt es: "Nicht aufs Wort glauben, aufs strengste prüfen - das ist die Losung der marxistischen Arbeiter". Außerdem konnte man in der Rubrik "Stimmt's?" der Wochenzeitung "Die Zeit" nachlesen, daß Lenin auch das das russische Sprichwort "Vertraue, aber prüfe nach" (Dowerjai, no prowerjai) gern und häufig gebraucht hat. Das russische Wort "prowerjai" kann man auch mit "kontrollieren" statt "prüfen" übersetzen, so daß man für die Schöpfung des uns so vertrauten "Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser" vermutlich wieder einmal die Presse verantwortlich machen kann.
In einem der vielen Zeitungsbeiträge über die gegenwärtige Vertrauenskrise aus der Feder eines klugen Wirtschaftswissenschaftlers las ich die lakonische Feststellung, daß man Vertrauen nicht kaufen könne: "Vertrauen hat wohl in manchen Zusammenhängen auch einen finanziellen Wert. Und dieser Wert kann, wie wir sehen, sehr hoch sein. Aber Vertrauen hat keinen Preis. Sie können Vertrauen nicht kaufen, ebenso wenig, wie Sie Liebe oder Zuneigung kaufen können. Da müssen Sie schon liebenswürdig sein". Kontrolle kann man kaufen. Eine Universität kann sich beispielsweise Maßnahmen der Qualitätskontrolle einkaufen, wenn sie denn selbst zu solcher Kontrolle nicht in der Lage ist - sollte dann sogar fremde Hilfe einkaufen. Vertrauen kann dagegen zunächst einmal mit Kompetenz und Kommunikation aufgebaut werden - indem man gegen die alt-neuen apokalyptischen Propheten des Weltunterganges auftritt, gegen die neue Weltreligion der Angst, wie das ein Berliner Kollege jüngst in einer Zeitung genannt hat. Sie, die Absolventinnen und Absolventen dieser Fakultät, verfügen über das notwendige Wissen, um sachgerecht zu informieren und wieder für Vertrauen zu werben. Sie haben in diesem Haus, das von Jahr zu Jahr ein wenig schöner wird, bei akademischen Lehrern studieren können, die über Risiko und Risikomanagement forschen, die über das ethische Ideal des "ehrbaren Kaufmanns" nachdenken, um einem Vertrauensverlust der Akteure des marktwirtschaftlichen Systems entgegenzuwirken. Und sie wissen, daß auch heute noch gilt, was der Getreidehändler Johann Buddenbrook seinen Nachfolgern in der Firmenleitung als Motto überliefert: "Mein Sohn, sey mit Lust bey den Geschäften am Tage, aber mache nur solche, daß wir bey Nacht ruhig schlafen können".
Vertrauen, meine Damen und Herren, muß gewagt werden. Und wird, wenn Sie dem Theologen den Ausflug in die Reformationsfestpredigt gestatten, gelegentlich von höchster Stelle gratis gewagt. Zu Wagnis kann man ermuntern, wenn es kalkulierbar ist - Sie, liebe Absolventinnen und Absolventen, haben dieser Fakultät und dieser Universität Vertrauen entgegengebracht, als Sie hier ein Studium aufnahmen. Wir haben Ihnen in den Examina vertraut, daß das Niveau Ihrer Leistungen und Kenntnisse überall so hoch ist, wie in den Ausschnitten, die Gegenstand der Prüfung waren. Und heute, an diesem festlichen Tage, wünsche ich Ihnen natürlich nicht nur, daß Sie das Vertrauen anderer stabilisieren. Sondern ich wünsche ich Ihnen die Portion Vertrauen in Ihre eigene Zukunft, mit der sich Leben meistern läßt. Übrigens auch, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, innerhalb einer Universität und natürlich, lieber Herr Senator, in einer Stadt. Und so besehen, gilt dann auch die Umkehr des berühmten Satzes: Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser.
Prof. Dr. Dr. h.c. Christoph Markschies
Präsident der Humboldt-Universität