Humboldt-Universität zu Berlin

Ehrenpromotion von Gerhard Ertl

Grußwort am 16. Januar 2009

Es war, meine sehr verehrten Damen und Herren, vor allem aber: lieber, verehrter Herr Kollege Ertl, es war mitten bei der Abfassung von irgendeinem der großen Förderanträge, die unsere Humboldt-Universität in den letzten Jahren bei den vielen Wettbewerben auf nationaler und internationaler Ebene gestellt hat. Da tadelte mich ein von mir als Wissenschaftler wie Mensch sehr geschätzter Kollege – und er tadelte mich zu Recht. Denn er wies mich darauf hin, daß ich im Text eben dieses Antrags die Katalyse vergessen hatte. Sein Tadel fiel vergleichsweise milde aus, weil er das Ausmaß präsidialen Nichtwissens freundlich unterschätzt hatte. Hier und heute kann ich das zugeben: Ich hatte nicht nur hingenommen, daß die Forschungen zur Katalyse in der Beschreibung der Berliner Forschungslandschaft, die sich im Antrag fand, nicht ausreichend berücksichtigt waren – nein, dem Geisteswissenschaftler im Präsidentenamt war die Bedeutung der Berliner Forschungen zur Katalyse damals allenfalls in Ansätzen bekannt – schandbarerweise, wie ich im Rückblick gern ehrlich zugeben möchte. Ein halbwegs naturwissenschaftlich interessierter Historiker und Theologe verfolgt selbstverständlich, was in der physikalischen Kosmologie geschieht, natürlich interessiert ihn brennend, was die Evolutionsbiologie und die Gentechnik über den Aufbau und die Entwicklung des Lebens zu sagen haben – aber, ich muß das so ehrlich sagen, ich jedenfalls wußte zu Beginn meiner Amtszeit nicht, welche ungeheuere Bedeutung für mein Leben, ja für unser aller Leben Katalysatoren haben und welche ungeheuere Bedeutung dann insbesondere Ihre Grundlagenforschungen zur Oberflächenchemie, lieber Herr Kollege Ertl, haben. Mir scheint aber, wenn ich das so ehrlich sagen darf, daß ich mit meiner beklagenswerten ignorantia nicht allein stehe – gerade in Zeiten, in denen immer wieder die Inter- oder gar Transdisziplinarität beschworen werden, sind die faktischen Kenntnisse von Geisteswissenschaftlern über Naturwissenschaften leider häufig auf die wenigen besonders paßförmigen, besonders öffentlichkeitswirksamen, den eigenen Fächern besonders nahen Formen von Naturwissenschaften beschränkt: Wenn ein kluger Neurologe öffentlichkeitswirksam den Freien Willen abzuschaffen versucht, dann interessiert das Viele, weil alle wissen, daß sie das unmittelbar betrifft, allzumal, wenn der betreffende Kollege seine Forschungen für Geisteswissenschaftler munter zuspitzt und vor ihnen so redet, wie er vor Seinesgleichen niemals sprechen würde. Ein nicht zu unterschätzender Vorteil der großen Ehrung der Schwedischen Akademie, die Sie, lieber Herr Kollege Ertl, bekommen haben, ist, daß die Bedeutung der Katalyseforschung nun einer deutlich breiteren wissenschaftlichen und sogar nichtwissenschaftlichen Öffentlichkeit einsichtig geworden ist und unter dieser findet sich eben auch der Präsident derjenigen Berliner Universität, deren eine Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät Ihnen heute einen Ehrendoktor verleiht. Praktisch kein Artikel zu dem Stockholmer Festakt enthält nicht einen mehr oder weniger langen Abschnitt zur Katalyseforschung.

Für einen Universitätspräsidenten sind Ihre Forschungen aber nicht nur deswegen bedeutend, weil er deswegen besser versteht – wie es in einem Zeitungsartikel so schön hieß –, warum das Eisen rostet und die Ozonschicht zerstört wird. Sie sind auch deswegen so wichtig, weil wir von Ihnen etwas für die Art lernen können, wie Wissenschaft in Berlin betrieben werden sollte. Wenn ich recht sehe, liegt es nicht zuletzt auch an Ihnen, daß die Berliner Katalyseforschung nicht auf konkurrierende Institutionen verteilt und dadurch geschwächt ist. Nach meinem Eindruck fehlen auf Ihrem Gebiet die üblichen und unerträglichen Berliner institutionellen Eifersüchteleien – als wir die gemeinsame Ausstellung der Berliner Wissenschaft zum dreihundertfünfzigjährigen Jubiläum der Staatsbibliothek, zum dreihundertjährigen Jubiläum der Charité und der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und zum zweihundertjährigen Jubiläum der Humboldt-Universität und zum hundertjährigen Jubiläum der Max-Planck-Gesellschaft vorzubereiten begannen, forderte einer meiner Kollegen gleich mal „hundert Quadratmeter“ für seine Institution vorab. In einem Interview haben Sie an Berlin einmal die liberale Atmosphäre gelobt und kritische Worte über Dummheit und Bürokratie verloren – die Liberalität, mit der Sie allen Berliner Universitäten Ergebnisse Ihrer Forschung zur Verfügung gestellt haben und die institutionentranszendierende Liebenswürdigkeit Ihrer Person sollte uns allen ein Vorbild sein, denn die einzelnen Institutionen gewinnen doch dadurch nur und verlieren nichts.

Ein berühmter Theologe des vergangenen Jahrhunderts hat immer wieder darauf hingewiesen, daß er sich zwar sicher sei, daß im Himmel Bach musiziert werde, aber eigentlich doch viel mehr darauf hoffe, daß dort auch Mozart gespielt werde. Sie haben einmal gesagt, daß Sie auf eine einsame Insel Mozarts gesammelte Partituren mitnehmen wollten. Eine solche Antwort verrät schon mehr als Liebhaberei, denn eine Partitur muß fachmännisch gelesen werden, sonst entsteht kein Eindruck von Musik. Jetzt könnte ich lange darüber grübeln, lieber Herr Kollege Ertl, wie Musik und Naturwissenschaft zusammenhängen und berühmte Vorbilder bemühen – nicht zuletzt aus der Schar der Berliner Kaiser-Wilhelm-Gesellschafts- und Max-Planck-Gesellschafts Direktoren und Präsidenten. Ich könnte wohl auch darüber grübeln, ob es nicht – wie der erwähnte Theologe gern sagte – schnurgerade Zusammenhänge zwischen Ihrer Liberalitas und der Musik Mozarts gibt. Aber auch dafür bin ich kein Fachmann, sondern nur schon etwas länger begeistert als für die Katalyse, für die Sie und andere Berliner Forscher mich interessiert und neugierig gemacht haben. Für heute will ich Ihnen nur danken für eben diese Liberalitas gegenüber den Wissenschaftlern so verschiedener Organisationen, insbesondere aber für all’ das, was Sie für unsere zweihundertjährige Humboldt-Universität getan haben und dafür, daß Sie ein lebendiges Beispiel dafür geben, daß ohne feinsinnigen Humor die Energie, die per aspera ad astra trägt, nicht aufgebracht oder bewahrt werden kann. Und ich freue mich auf neue Einsichten zu einem Feld, das nie mehr in einem Antrag fehlen wird, den ich zeichne. Vielen Dank für Ihre Geduld!



Prof. Dr. Dr. h.c. Christoph Markschies
Präsident der Humboldt-Universität

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