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Tagung „Streit um Darwin“ an der Humboldt-Universität zu Berlin

Grußwort vom 14. November 2009

Von einem meiner Jerusalemer akademischen Lehrer, meine Damen und Herren, stammt das schöne Bonmot, daß nicht alle Menschen, die zur selben Zeit leben, Zeitgenossen sind. Ich kann mir nicht helfen: Dieser Satz, den jener auch in Deutschland bekannte wie beliebte Gelehrte erstmals von seiner Großmutter gehört hatte, fällt mir immer ein, wenn ich vom Kreationismus höre und von Kreationisten. Und wieso fällt er mir ein? Die Autoren der beiden biblischen Schöpfungsberichte waren einmal Zeitgenossen. Sie orientierten sich an den Ergebnissen babylonischer Wissenschaft - ich nenne im Unterschied zu einer andersgerichteten Konvention auch vormoderne, auf der Basis von Experimenten und Beobachtungen angelegte, Maßstäben der Rationalität verpflichtete Weltdeutung Wissenschaft - nochmals: Die Autoren der beiden biblischen Schöpfungsberichte waren einstens Zeitgenossen, sie verfaßten ihre religiöse Rede wie die darauf bezogenen biblischen Texte auf der Basis von Ergebnissen babylonischer Wissenschaft, orientiert an einem zeitgenössischen, nach damaligen Maßstäben wissenschaftlichen Weltbild. Natürlich muß man zwischen der religiösen Rede und dem zugrundeliegenden, nach damaligen Maßstäben wissenschaftlichen Weltbild als dem Horizont der religiösen Rede noch einmal sorgfältig differenzieren, aber die enge Verbindung, ja Verquickung beider ist wohl jedem Leser und jeder Leserin biblischer Texte unabweisbar deutlich.

Wenn man nun diese Zeitgenossenschaft der Autoren biblischer Texte ignoriert und das Amalgam aus religiöser Rede und zeitgenössischem, nach damaligen Maßstäben wissenschaftlichen Weltbild ohne viel Federlesens als untrennbare Einheit nimmt, dann entsteht eben jener leicht kuriose Eindruck mangelnder Zeitgenossenschaft, den auf mich als Kirchenhistoriker Kreationisten machen, die versuchen, die beständige Entwicklung wissenschaftlicher Weltbilder sozusagen auf einer sehr frühen Stufe im Interesse der Religion still zu stellen. Natürlich ist mir bewußt, daß der hier eingeleitete Versuch der Pazifizierung des Verhältnisses von Gottesglaube und Evolutionstheorie explikationsbedürftig und diskussionswürdig ist und es geht mir auch nicht darum, den Gottesglauben als eine nichtwissenschaftliche religiöse Rede gleichsam aus dem Diskurs mit anderen zeitgenössischen wissenschaftlichen Weltdeutungen zu ziehen. Dieser Versuchung verfallen Theologen immer wieder einmal, in dem sie die kosmologischen Implikationen der Rede von Gott, dem Schöpfer Himmels und der Erde, auf eine kategorial so differente Ebene heben, daß der Dialog im Haus der Wissenschaften ganz unmöglich wird. Nein, meine Damen und Herren, wenn Theologen im Haus der Wissenschaften Gott als den Grund der Möglichkeit dafür behaupten, daß überhaupt etwas ist und nicht vielmehr nichts, dann wird und muß man über das Verhältnis des Grundes der Möglichkeit zu den vielen anderen Gründen von konkretem Sein sprechen. Ich tue das nicht, denn ich bin Präsident einer Universität und als solcher ohnehin für solche schwierigen Probleme nicht zuständig, und dann auch Kirchenhistoriker und könnte ihnen also auch nur die Geistesgeschichte dieses Problems entwickeln, nicht seine zeitgenössische Lösung, dafür gibt es die systematischen Theologen und ein sehr kluger Vertreter dieser Spezies spricht auf dieser Tagung.

Charles Darwin hat, wie man beispielsweise Matthias Glaubrechts schöner Biographie entnehmen kann, Theologie studiert. In Cambridge, im Christ's College. Den Kirchenhistoriker im Präsidenten jückt es in diesem Darwin-Jahr immer, die Debatte über Darwin und die Theologie bereits an dieser Stelle anzusetzen. Meint: Zu fragen, ob es nicht - im Unterschied zu der Tendenz in vielen Biographien - gar nicht so verwunderlich ist, daß ein Cambridger Theologiestudent der Jahre 1828 bis 1831 so viel Naturbeobachtung treibt, Glaubrecht hat das sehr schön herausgearbeitet. Und mich jückt es weiter zu fragen, ob nicht in eben dieser Verbindung von Naturbeobachtung und Theologie, vor allem der zeitgenössischen Art, die beobachtete bunte Vielfalt ohne viel Federlesens als kosmologischen Gottesbeweis zu nehmen, ein gutes Stück des Pudels Kern der vielen, vielen Mißverständnisse zwischen Theologen und Evolutionstheoretikern im neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert liegt. Kants Kritik dieses und anderer Gottesbeweise, die in Deutschland so selbstverständlich von der Theologie rezipiert wurden, ja durch die Universitätstheologie erst recht mit popularisiert wurden, spielten in der klassischen englischen Universitätstheologie des neunzehnten Jahrhunderts, wenn ich recht sehe, keine große Rolle. Und heutigentags wird der Streit um Darwins Theorie, den die Kreationisten führten, durch sie ganz gewiß auf der Basis der Kantischen Kritik am kosmologischen Gottesbeweis geführt. So perpetuieren sich Sackgassen im Streit um Darwin. Und dafür sind übrigens ja nicht nur Theologen verantwortlich.

Glücklich wäre ich, wenn ich an ihrer Tagung teilnehmen könnte, um zu sehen, wie sie solche Sackgassen vermeiden; glücklich wäre ich, wenn ich selbst die Andeutungen meines Grußwortes zu einem regelrechten Beitrag hätte ausbauen können. Sie ahnen, daß der evangelische Theologe am Tage der Bischofseinführung hier in Berlin allerlei zu tun hat und sich nicht ganz der Wissenschaft widmen kann, so gern er das täte. Es wird sie auch mäßig trösten, daß ich gemeinsam mit meinem Erfurter Kollegen Hans Joas in rund einem Monat, am 18. und 19. Dezember in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften selbst eine Tagung zum Thema "Evolution der Religionen?" organisiere und dabei die Frage stelle, wieweit die Religionsgeschichte nach dem Paradigma der Evolutionstheorie entworfen werden kann. Das möchte manchen unter ihnen nun vollends nach Pazifizierung aussehen, danach, daß sich die Theologen die Evolutionstheorie gleichsam unter den Nagel reißen - ja, gewiß: Aber dieser Vorgang der Aneignung, der natürlich nur überzeugend ist, wenn Evolution nicht einfach nur als Synonym für "Entwicklung" steht, ist ja ein Zeichen dafür, daß Theologen bei der Diskussion über Darwins Theorie im Unterschied zu den Kreationisten durchaus Zeitgenossen sein können.

Ich hoffe, daß bald ein Tagungsband vorgelegt wird, der mir wenigstens das nachträgliche Studium ihrer Beiträge ermöglicht und wünsche ihrer spannenden Tagung einen guten Verlauf. Vielen Dank für Ihre Geduld.


Prof. Dr. Dr. h.c. Christoph Markschies
Präsident der Humboldt-Universität

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