Humboldt-Universität zu Berlin

Besuchs des Einsteinzentrums der Hebrew University of Jerusalem

Grußworte am 5. November 2008

Verehrte Frau Bundesministerin, liebe Frau Schavan - und, wie ich nach Ihrer Ernennung zur Honorarprofessorin für katholische Theologie an der Dahlemer Schwesteruniversität als evangelischer Theologe herzlich gratulierend sagen darf: verehrte, liebe Frau Kollegin, verehrter, lieber Hillel Berkovier, verehrter, lieber Hannoch Gutfreund, lieber Jürgen Renn, verehrte und liebe Gäste aus Jerusalem, meine Damen und Herren und insbesondere verehrter, lieber Hans Keilson,

vor dem Senatssaal hängen die Bilder von neunundzwanzig Nobelpreisträgern der alten Berliner Universität, die bis 1945 den Namen des preußischen Monarchen trug, der sie einst gestiftet hatte. Einer meiner Vorgänger im Amt hat sie in der großen Treppenhalle des Hauptgebäudes aufhängen lassen, um dem streng neoklassizistischen Raum seinen realsozialistischen Charme zu nehmen. Wenn ich ehrlich bin, habe ich die schwarz-weißen Portraits auf grauem Grund, als ich im Jahre 2004 Professor dieser Universität wurde, übersehen; man hat als normaler Professor ja auch nicht unbedingt ständig etwas im Senatssaal oder Präsididalbüro zu tun. Aufgefallen sind mir diese erstmals, als ich im Oktober 2005 zum Präsidenten dieser Universität gewählt - freilich nicht in Berlin, sondern in Jerusalem. Denn unmittelbar nach meiner Wahl bin ich noch einmal für zwei Monate an das Institute for Advanced Study der Hebräischen Universität Jerusalem gegangen, als kleine Flucht vor dem großen Amt auf den herrlichen Campus Givat Ram, dort, wo in einem Nachbargebäude der Nachlaß von Albert Einstein gehütet wird. Als ich in Jerusalem anlangte, gaben die Kollegen einen kleinen Empfang für mich und der Präsident der Universität, der Mathematiker Menachem Magidor, empfing mich in seinem Büro auf dem Skopusberg. Magidor überreichte mir zum Abschluß einen Artikel aus der Zeitschrift "The Economist", nachdem er mir zu Beginn des Gespräches dessen Inhalt erzählt hatte. Der Artikel beschäftigte sich mit der deutschen Universität und begann etwa mit folgenden Worten: Wenn man in den alterwürdige Berliner Humboldt-Universität tritt, findet man in der Eingangshalle eine Galerie von neunundzwanzig Nobelpreisträgern. Leider hört diese Galerie in den frühen fünfziger Jahren auf, genauer mit Werner Forßmann, der 1956 den Nobelpreis für seine Entdeckung des Herzkatheders erhielt; übrigens einer der schwer nationalsozialistisch belasteten deutschen Wissenschaftler. "The Economist" sah in diesem jähen Ende der Nobelpreisträgergalerie ein Symptom für den Zustand der deutschen Universität - einst, vor zweihundert Jahren, das gefeierte Original der Reformuniversität, Modell für viele europäische Universitäten und eben auch für die Neugründung des 24. Juli 1918 auf dem Jerusalemer Skopusberg - the last Prussian University in the Near East, während es sich bei dem Berliner Modell heute eine im internationalen Vergleich jedenfalls nicht unter den ersten zehn rubrizierte Universität handelt. Während die Hebräische Universität im letzten Ranking des Times Higher Education Supplement einen starken Sprung nach vorn machte und unter die ersten hundert Universitäten zählt, sind wir sogar sehr geringfügig zurückgefallen: HU Berlin hat also inzwischen allen Grund, dem Vorbild HU Jerusalem nachzufolgen.

Nun ist die Lage in Wahrheit noch bitterer, bitter auch, als "The Economist" im Oktober 2005 berichtete: Zwei Portraits aus unserer Nobelpreisträgergalerie sind vor einiger Zeit gestohlen worden, manche meinen, wegen der an Lächerlichkeit kaum zu überbietenden Berliner Auseinandersetzungen um die Zurechnung der Nobelpreisträger im Shanghai-Ranking mit Mitbewerbern um die Zurechnung. Wie auch immer. Mir scheint, daß man auch diesen Diebstahl ebenso so symbolisch deuten kann, wie The Economist das jähe Ende der Galerie in den fünfziger Jahren deutete: Albert Einstein ist aus dieser Universität verschwunden, um es einmal ganz zurückhaltend zu formulieren - die Sprache des Jahres 1933 war deutlicher: "Die preußische Akademie der Wissenschaften hat keinen Anlaß, den Austritt Albert Einsteins zu bedauern", schrieb der geschäftsführende Sekretar der Akademie und ähnlich dachten vermutlich auch die Verantwortlichen dieser Universität über die erzwungene Emigration des Akademieprofessors Albert Einstein, der seine großen Vorlesungen einst hier unter dem Auditorium Maximum hielt.

Da diese Universität nicht nur Albert Einstein vertrieben hat, schweigend die Vertreibung so vieler jüdischer Wissenschaftler hingenommen oder unterstützend mit betrieben hat, fehlen ihr nicht nur manche ihrer Nobelpreisträger - die Tatsache, daß in den letzten Jahren, wenn man einmal vom Nobelpreis für Gerhard Ertl im Jahre 2007 absieht, deutlich weniger Nobelpreise an Wissenschaftler gingen, die an dieser Universität oder jedenfalls auch an ihr lehren, hängt ganz gewiß mit der Vertreibung des Geistes durch den Ungeist auch an dieser Universität zusammen. Um so mehr freuen wir uns, daß das Einstein-Center der Hebräischen Universität Einstein zurückbringt - mindestens, wenn ich den englischen Titel "Einstein revisits Humboldt" ernst nehme, mit Einstein einmal vorbeikommt, um zu schauen, wie es sich so entwickelt hat mit der Humboldt-Universität in den letzten Jahren. Zum Zeichen dieses Besuches hängt inzwischen sein Bild auch wieder an der Wand vor dem Senatssaal, ebenso wie das zweite gestohlene Bild.

Aber das Einstein-Center bringt nicht nur Einstein zurück: Zwischen Berliner Wissenschaftlern und Kolleginnen wie Kollegen der Universität, die Albert Einstein so am Herzen lag, haben sich herzliche Freundschaften entwickelt - ich selbst bin mehrfach Gast in Givat Ram oder auf dem Har Hazofim gewesen und hätte mein letztes Buch ohne die Monate in Jerusalem nicht fertigstellen können; Hillel Berkovier, dem Vizepräsident für Forschung der Hebräischen Universität, möchte ich auch ganz persönlich danken. Daß nun ein ganzes Zentrum dieser Hebräischen Universität seine Arbeit hier präsentiert und vorführt, was in fünf Jahren geforscht wurde, erfüllt uns mit Freude und Stolz und soll uns Ansporn sein, die Beziehungen zwischen beiden Universitäten noch stärker zu intensivieren. Daß die Sie, liebe Frau Schavan, im Jahr des Jubiläums der deutsch-israelischen Wissenschaftsbeziehungen, ein weiteres Mal ein deutliches Zeichen Ihres Engagements für diese Wissenschaftsbeziehungen setzen, freut Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus beiden Ländern. Und, lieber Herr Renn, daß der Vater der großen Berliner Einstein-Ausstellung im Jahre 2005, nicht fehlen darf, wenn Einstein uns besuchen kommt, versteht sich von selbst. Das Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte hat in den vergangenen drei Jahren sensibel und beharrlich ein Forschungsnetz für Wissenschafts- und Wissensgeschichte über die nicht immer einigen Universitäten dieser Stadt geworfen und uns auf diese Weise uns Universitäten jedenfalls in diesem Bereich überhaupt erst zu möglichen interessanten Kooperationspartnern der Hebräischen Universität gemacht. Wenn ich so zusammenfassen darf: Liebe Gäste, wir freuen auf Sie, wir haben gestern und heute schon Einiges von Ihnen gelernt, seien Sie uns nun auch zu diesem festlichen Anlaß ganz herzlich willkommen. Und besonders begrüße ich auch noch einmal Hans Keilson, der heute mit der Universitätsmedaille ausgezeichnet wird: Auch Sie mußten diese Stadt verlassen, haben Heimat im zunächst fremden Land gefunden und in zunächst fremder Sprache gedichtet, gelehrt und praktiziert: "Ich bin ein Dichter in einer Sprache ohne Land", schrieben Sie 1939 und diese Landlosigkeit verbindet Sie mit Albert Einstein und den vielen aus dieser Universität entlassenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Wir sind bewegt, daß Sie nun schon zum wiederholten Male zurückkommen, uns Nachgeborenen von dem erzählen, was sich nicht wiederholen darf und uns dazu ermuntern, diese Universität nicht nur so zu gestalten, daß sie aufgrund ihrer Leistungen wieder in die internationale Spitze einrückt, sondern die Lehren aus der Vergangenheit dabei nie vergißt. "Geh nicht nach Haus,/ es erwarten dich Trümmer". So hat Hans Keilson gedichtet und Albert Einstein offenkundig gedacht, als er diverse Einladungen nach Berlin und Potsdam ablehnte. Um so dankbarer sind wir dafür, daß es nun, nach so vielen Jahren, zu solchen Wiederbegegnungen kommen kann - "die fußspur durchzieht noch den sand der Mark": diese Zeile von Hans Keilson kann man, Gott sei dank, inzwischen auf zweifache Weise interpretieren. Wenn ich das so schlicht sagen darf: Wir freuen uns, sind dankbar und heißen sie alle herzlich willkommen!


Prof. Dr. Dr. h.c. Christoph Markschies
Präsident der Humboldt-Universität



Kontakt

Abteilung Kommunikation, Marketing und Veranstaltungsmanagement (VIII)

Online-Redaktion

E-Mail: hu-online@hu-berlin.de