Humboldt-Universität zu Berlin

Grußwort für den evangelisch-theologischen Fakultätentag

Berlin, Elisabeth-Kirche, 12. Oktober 2007
Wann ich akademisch erwachsen geworden war, lieber Bischof Wolfgang Huber, lieber Herr Kollege Grethlein, liebe Damen und Herren Dekane, Kolleginnnen und Kollegen, Studierende – wann ich akademisch erwachsen geworden war, kann ich ziemlich genau datieren. Während ich zum Fakultätentag 1992 nach Leipzig noch als Tübinger Assistentensprecher meinen seinerzeitigen Dekan Jüngel begleitete und nur deswegen zeitweilig zwei Stimmen erhielt, weil der Dekan wegen eines kleinen Verkehrsunfalls nicht rechtzeitig zu den Beratungen eintraf und ich glücklicherweise separat angereist war, übergab mir Jüngel im folgenden Jahr beide Stimmen der Tübinger Fakultät und sagte: „Sie werden das schon machen“. Obwohl nicht wenige gestandene Dekane mich teils irritiert, teils amüsiert ansahen, als ich 1993 in Kiel erklärte, die hochwürdige Theologische Fakultät der Eberhard-Karls-Universität zu vertreten, datiere ich doch mein akademisches Erwachsenwerden mit Hilfe von Tagungen des Evangelisch-theologischen Fakultätentages – und Sie werden, verehrte Damen und Herren, dem Kirchenhistoriker dieses eher historisch kostümierte Kompliment und die anekdotisch verbrämte Aussage über die Bedeutsamkeit des Fakultätentages hoffentlich nachsehen.

Wenn man für eine Zeit aus dem Amt des Kirchenhistorikers in die Verantwortung gewechselt ist, eine ganze Universität zu leiten, verdichten sich manche punktuellen Eindrücke zu regelrechten Perspektiven. Jüngst hat eine kluge Journalistin in einer Zeitung, hinter der auch nur die klugen Köpfe sitzen, anläßlich der Gründung des evangelischen Hochschulbeirates der Evangelischen Kirche in Deutschland bemerkt, daß die Theologen, die einst die erste Fakultät an den Universitäten bildeten, nun „mit besonders heftigem Gegenwind zu rechnen“ hätten und dies wird man ja durchaus so sagen können – am nächsten Montag spricht in Berlin ein kluger Oxforder Evolutionsbiologe, der bekanntlich gegen „den Glauben an den Glauben“ zu Felde zieht, insbesondere gegen die Ansicht, Glauben habe irgendeine positive Wirkung auf Moral und Ethik. Aber neben dem besonders heftigen Gegenwind gibt es auch viel Gleichgültigkeit – ganze Generationen herausragender junger Wissenschaftler haben nie im Leben einen Theologen gesehen und teilweise ziemlich groteske Vorstellungen über die Arbeitsweise unserer Fächer. Wenn in irgendeinem Institute for Advanced Study plötzlich ein Naturwissenschaftler zu einem sagt: „Sie sind ja eigentlich doch ein ganz vernünftiger Zeitgenosse“, weiß man immer nicht so recht, ob man über das darin ausgedrückte Kompliment für die Theologie lachen oder weinen soll. Und schließlich wird niemand bestreiten, daß es einen ungeheueren Informationsbedarf über Geschichte und Gegenwart von Religion in Wissenschaft und Gesellschaft gibt – das pfeifen seit den New Yorker Terroranschlägen die Spatzen von den Dächern.

Seit ich für eine ganze Universität Verantwortung trage, ist mir noch deutlicher geworden, daß es eine Art Schicksalsfrage der Universitätstheologie in diesem Lande ist, ob wir uns solchen Herausforderungen selbstbewußt stellen oder eben nicht, gar schüchtern oder wehklagend in der Ecke stehen: „Die theologischen Fakultäten müssen sich aber darauf gefaßt machen, sich in nächster Zeit noch selbstbewußter an den Hochschulen zu behaupten. Das kann nur durch Forschungsstärke und wissenschaftliche Qualität gelingen“, heißt es im erwähnten Artikel anläßlich der Gründung des Hochschulbeirates. Wer aufmerksam die Kataloge der einschlägigen Verlage durchblättert, wird nicht bestreiten, daß an deutschen evangelisch-theologischen Fakultäten exzellente Wissenschaft betrieben wird, aber muß zugleich auch zugeben, daß wir weder unsere Studierenden noch die Kollegen anderer Fakultäten genügend auf diese Leistungen aufmerksam machen. Könnten wir nicht offensiver darauf hinweisen, daß in diesem Lande große wissenschaftliche Textausgaben der Werke des Origenes, Ockhams, Luthers, Melanchthons, Speners, Spaldings, Schleiermachers, von Troeltsch und Harnack und so weiter und so fort entstehen? Schließlich markiert die Parole ad fontes eben jene bibelhumanistische Grundierung der Reformation, der wir die Existenz auch unserer Fakultäten verdanken.

Lange bevor ich den Dekan Jüngel zuerst temporär und dann einen ganzen Fakultätentag vertrat, las ich – unmittelbar nach dem eigenen Examen – im Keller des Tübinger Theologicums die dort magazinierte Ordnung des Kandidatenexamens für die evangelische Kirche der altpreußischen Union, die preußische Examensordnung von 1870. Sie entsprach grosso modo der Examensordnung der evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck auf dem Stand von 1987, also derjenigen Ordnung, auf deren Grundlage ich im nämlichen Jahr examiniert worden bin. Unsere gemeinsamen Bedenken gegen den deutschen Bologna-Prozeß und vor allem gegen die Art, wie er in Deutschland umgesetzt worden ist, dürfen – so scheint mir – uns nicht davon abhalten, das Curriculum eines Theologiestudiums immer wieder einer kritischen Durchsicht zu unterziehen: Was ist unverzichtbar? Was ist für eine professionelle Ausübung kirchlicher Berufsfelder aber auch entbehrlich? Die Tatsache, daß wir im Unterschied zu anderen Fächern spät Elemente des Bologna-Prozesses in unsere Studienstruktur aufnehmen, könnte sich ja als Chance erweisen: Wir könnten die vielen Anfängerfehler, die andere Disziplinen gemacht haben, vermeiden und doch gleichzeitig anstehende Reformen mutig anpacken.

Ein Letztes: Nachdem mir mein seinerzeitiger Tübinger Dekan beide Stimmen der Fakultät anvertraut hatte, habe ich aus diversen Gründen nie mehr die Gelegenheit gehabt, auf einem Fakultätentag das Stimmrecht eines Mitgliedes auszuüben, sondern lediglich auf verschiedenen Empfängen des Fakultätentages mitgetrunken und mitgeredet. Aber ich weiß, daß verschiedene Kolleginnen und Kollegen immer wieder über den Bezug der Ausbildung auf die kirchlichen Ausbildungsfelder und damit über den besonderen Status der Fakultäten debattieren. Als Präsident der Humboldt-Universität kann ich vor solchen Debatten aber nur warnen. Es war der geistige Vater der Gründung unserer Universität in den Jahren 1809/1810, der diesen berufsbildenden Charakter der juristischen, medizinischen und theologischen Fakultät als zentrales Element des Berliner Reformprojektes formuliert und festgehalten hat. Eine Universität, die diesen berufsbildenden Charakter und eine theologische Fakultät, die ihren Kirchenbezug auflöst, wird sich nicht mehr als Reformuniversität in der Tradition Humboldts und als Fakultät im Geiste Schleiermachers verstehen dürfen.

Die Elisabeth-Kirche, in der wir heute abend versammeln, ist eine indirekte Folge der preußischen Reformen so wie die Humboldt-Universität eine direkte Folge dieser Reformen ist: Mit dem Wirksamwerden der preußischen Reformen, insbesondere mit der Freisetzung der ländlichen Bevölkerung nach der Aufhebung der Gutuntertänigkeit, begann eine starke Migration vom Lande in die Stadt, insbesondere nach Berlin (Wolfgang Ribbe). 1828 legte Schinkel erste Entwürfe für neue Vorstadtkirchen vor, die damals auf weitgehend noch unbebautem Land vor den Toren der Stadt errichtet wurden; die Elisabeth-Kirche wurde nach mancherlei Schwierigkeiten am 28. Juni 1835 eingeweiht, erster Pfarrer war Otto von Gerlach, der Berliner Wesley (Tholuck), erweckter Adliger und jüngster Sohn des Kammerpräsidenten und Oberbürgermeisters von Berlin, enger Freund des Kronprinzen und wie dieser vom englischen Modell der „spontanen und aggressiven Seelsorge“ (Franz-Duhme/Röper-Vogt, 159) fasziniert: Gefangenenseelsorge, Hausbesuche, Privatbeichten in der Sakristei, diakonische Fürsorge für Alte, Kranke und arbeitslose Jugendliche. Preußische Reform, aber eben ganz anders als bei Schleiermacher, den Otto von Gerlach anläßlich des Augustana-Jubiläums 1830 als Heuchler und Lügner zu denunzieren versuchte.

Schon das Haus, in dem wir uns versammeln, macht also deutlich: Wie reformiert werden kann und muß, wird umstritten bleiben. Aber gestritten werden muß, damit die notwendigen Reformprozesse in Kirche und Universität eingeleitet, befördert und zu bestimmten Zielen gebracht werden können. Dafür, daß Sie, verehrte Damen und Herren, ihren Teil zu dieser großen Aufgabe in ihren Beratungen zustande bringen können, wünsche ich alles Gute und fruchtbare, ja gesegnete Beratungen. Vielen Dank.

Prof. Dr. Dr. h.c. Christoph Markschies
Präsident der Humboldt-Universität

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