Friedrich-Wilhelms-Universität und Humboldt-Universität: Zur Neubenennung der Berliner Universität vor 60 Jahren
Die zweihundertjährige Geschichte dieser Universität, verehrter, lieber Herr Schütz und verehrte, liebe Studierende der Jahre 1948/1949, verehrte Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren, liebe Studierende - die Geschichte dieser Universität ist reich an Schönem, auf das billigerweise stolz sein kann, aber leider auch reich an Schrecklichem, das einem die Schamröte ins Gesicht treiben muß. Ich habe die besondere Ambivalenz der Geschichte dieses Hauses sehr schnell nach meiner Amtsübernahme Anfang Januar 2006 begreifen müssen - am 4. Februar diesen Jahres feierten wir hier im Senatssaal den hundertsten Geburtstag von Dietrich Bonhoeffer. Bonhoeffer studierte aber nicht nur seit 1924 an der Friedrich-Wilhelms-Universität, wurde durch ihre großen Kirchenhistoriker Adolf von Harnack und Karl Holl geprägt, innerhalb kürzester Zeit promoviert und habilitiert, nein, er wurde auch aus der Mitte der Theologischen Fakultät und damit dieser Universität 1936 um seine Privatdozentur gebracht. Einer der Chefarchitekten der nationalsozialistischen Politik gegenüber den Theologischen Fakultäten, der Kirchenhistoriker Erich Seeberg, war nach allem, was wir wissen, auch der Hauptverantwortliche für die Aberkennung der Privatdozentur Bonhoeffers. An jenem Tage, an dem die Theologische Fakultät im Februar 2006 gemeinsam mit vielen Gästen aus dem In- und Ausland ihren Absolventen Dietrich Bonhoeffer feierte, war also zugleich der Schande dieser Universität zu gedenken - an ihre Verwicklung in zwei deutsche Diktaturen ebenso zu erinnern wie an das Leid, das durch diese Universität im zwanzigsten Jahrhundert über Menschen gebracht worden ist. Dabei möchte ich nicht mißverstanden werden: Wir wissen alle, daß der Vergleich der beiden politischen Systeme, in deren Kontext diese Universität nach 1933 lebte, ein diffiziles Geschäft der historischen wie politischen Wissenschaften ist und neben Parallelen auch von Unterschieden zu reden ist; aber heute erinnern wir anläßlich der Vergabe des neuen Namens für diese Universität im Februar 1949 auch an die Vertreibung von Studierenden dieser Universität, die für die Freiheit des Wortes und demokratische Rechte eintraten und diese Vertreibung der Demokraten gehört jedenfalls ungeachtet aller Unterschiede zu den Parallelen der Systeme vor und nach 1945.
Als ich kurz nach meinem Amtsantritt im Februar 2006 so unmittelbar mit der tief ambivalenten Geschichte dieser Universität im zwanzigsten Jahrhundert konfrontiert wurde, tiefer, als dies ein Historiker des antiken Christentums gewöhnlich wird, beschloß ich, bei feierlichen Anlässen im Unterschied zu meinen Vorgängern die alte Rektoratskette der Friedrich-Wilhelms-Universität zu tragen, die ich auch heute trage - 1817 hat sie jener König, der die Universität stiftete und dessen Namen sie von 1828 bis 1946 trug, dem Rektor Philipp Konrad Marheineke gestiftet, Friedrich Wilhelm III., der Ehemann der Königin Luise und Stifter der preußischen Kirchenunion zwischen Lutheranern und Reformierten. Dieser Schritt fand öffentliche Aufmerksamkeit, nicht nur deswegen, weil auch an der Dahlemer Nachbaruniversität dieses Zeichen akademischer Souveränität (bekanntlich tragen sonst nur Stadtoberhäupter und Akademiepräsidenten solche Amtsketten) aus dem Archiv geholt worden war, in das es deren Vizepräsident Uwe Wesel in den Jahren nach 1969 getragen hatte. Nein, in der gelegentlich das Komödiantische streifenden Berliner Diskussion über die Frage, wer wohl der rechte Traditionsnachfolger der alten Friedrich-Wilhelms-Universität sei und beispielsweise deren Nobelpreisträger beanspruchen dürfe, schien das Tragen der alten Amtskette der Rektoren dieser Universität auch wieder nur einen mehr oder weniger überzeugenden Schachzug im politischen Spiel um unübersehbare Ansprüche auf Kontinuität zu markieren.
Inzwischen sind drei Jahren vergangen und es ist hoffentlich deutlich geworden, daß mindestens diese Universität nicht einfach nur die hellen Lichtseiten ihrer Geschichte beansprucht, die Fama, die die beiden Brüder Humboldt und ihre jeweils spezifischen Impulse für eine Bildungs- und Universitätsreform umgibt, die unvergleichlich große Zahl von Nobelpreisträgern und anderen prominenten Lehrenden wie Studierenden - nein, wer die Kette der alten Friedrich-Wilhelms-Universität trägt, trägt auch mit an der Bürde, an den dunklen Schattenseiten dieser Institution, an der Vertreibung und Ermordung ihrer Dozenten wie Studenten, an der in diesem Haus geplanten und vorbereiteten Bücherverbrennung des Jahres 1933 und an dem, was hier im Rahmen des nationalsozialistischen Terrorstaats geforscht und gelehrt wurde, ich nenne nur den Generalplan Ost.
Nach 1945 hofften viele, es werde nun, nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft, eine neue Epoche des Glanzes der Berliner Universität Unter den Linden anbrechen und das kurze Rektorat des Pädagogen Eduard Spranger, der unter den Nationalsozialisten zeitweilig im Gefängnis gesessen hatte, schien nach 1945 diese Möglichkeit auch zu bieten. Wir alle und vor allem einige Gäste unter uns wissen, wie schnell diese Möglichkeit wieder zerronnen war und wie schnell diese Universität zum bloßen Teil eines Gesamtplans der Übernahme des Staates und seiner Bildungsinstitutionen wurde, den in Moskau eine Gruppe entworfen hatte und nun unerbittlich umsetzte. Wieder möchte ich nicht mißverstanden werden: Die seit Februar 1949 Humboldt-Universität genannte Berliner Universität war nicht nur die Kaderschmiede der Diktatur einer Partei, sie hatte wie jede Einrichtung in einem undemokratischen System ihre Nischen der Freiheit, ihre Inseln der Renitenz, gelegentlich sogar vor den Türen der Kreisparteileitung, die es in diesem Hause wie in der Akademie der Wissenschaften gab. Aber die hier und heute anwesenden Studierenden des Jahres 1948/1949 können bezeugen, daß ein freies Studium hier zunehmend unmöglich gemacht wurde und haben daher zu nicht geringem Teil diese Universität verlassen; deswegen sind wir tief dankbar dafür, daß sie heute wieder unsere Gäste sind und mit uns gemeinsam an diese Zeit erinnern wollen: Als Erbe der alten Friedrich-Wilhelms-Universität darf sich nur stilisieren, wer auch die schrecklichen Züge ihrer Geschichte zu übernehmen bereit ist und sich dieser geschichtlichen Verantwortung stellt.
In meinem Besitz befindet sich das signierte Exemplar Nummer 250 der Gründungsfeier der Freien Universität Berlin vom 4. Dezember 1948. Wenn ausweislich dieser Dokumentation der, wie es im Text heißt, "erwählte Oberbürgermeister von Berlin", Ernst Reuter erklärt, er wolle gemeinsam mit dem Rektor Friedrich Meinecke und Senat wie Kuratorium der neuen Universität "alles tun, um diese neue Alma mater zu dem zu machen, was uns vorschwebt, zu einer wirklichen Universitas, zu einer wirklichen Stätte der Wissenschaft, der Lehre und der Ausbildung junger Menschen" (S. 11), dann sind solche Formulierungen natürlich von der Sorge getragen, daß all' dies an der Universität Unter den Linden nun bald nicht mehr möglich sein wird. Aber Reuters und übrigens auch Friedrich Meineckes während der Feier aufgrund seines Gesundheitszustandes nur verlesene Worte sind von aller Rhetorik des Kalten Krieges frei - eine Festschrift zum Jubiläum der Friedrich-Wilhelms-Universität gibt die Freie Universität auf Bitten der Westdeutschen Rektorenkonferenz erst viele Jahre später heraus. 1948 bezeichnet sie sich noch sehr bescheiden als Neugründung und Reuter dankt den Studenten, die "diese Universität eigentlich geschaffen" haben (S. 12). Er mahnt sie allerdings auch, nicht den Weg zu gehen, "den so viele unserer führenden Männer der Wissenschaft in den vergangenen Jahren gegangen sind" (S. 17) - wer in Ankara im Exil lebte, wußte nur zu gut von der Verstrickung der deutschen Universität in den nationalsozialistischen Unrechtsstaat; wenn er davon sprach, daß die Völker der Welt sich erhoben hätten, "um die Freiheit der Welt zu sichern" (S. 15), war das kein hohles Pathos mit durchsichtiger politischer Abzweckung. Ernst Reuter bekannte sich zu den Überzeugungen, "die wir übernommen haben aus dem Erbe der christlichen Ideen, und die in dem einen Wort ‚echte und wirklich Humanitas' sich zusammenfassen lassen" (S. 17), ebenso übrigens Edwin Redslob, der als geschäftsführender Rektor nach Meinecke das Wort ergriff (S. 23). Der aus Baden stammende Kommunist Paul Wandel, damals Präsident des deutschen Zentralverbandes für Volksbildung, und ab 1949 für etwa ein Jahr erster Minister für Volksbildung und Jugend der DDR verlieh kurz nach der feierlichen Eröffnung der Freien Universität der Universität Unter den Linden "entsprechend dem Antrage des Rektors und des Senats … den Namen Humboldt-Universität" und sah in diesen Namen auch ein Bekenntnis zur "gemeinsamen Gesinnung der Humanität und der Völkervereinigung".
Wenn man auf die Geschichte der beiden Berliner Universitäten, der Freien und der Humboldt-Universität blickt, dann wird deutlich: Freiheit läßt sich schnell proklamieren und ist ein schnell gesagtes Wort. Die Geschichte der deutschen Universität im zwanzigsten Jahrhundert, im Osten wie im Westen, macht deutlich, daß schon allein die so basale Freiheit des Wortes sehr schnell verloren gehen kann und verloren gegangen ist, in Dahlem wie in Berlin-Mitte. Friedrich Meinecke hat, während der Eröffnung der Freien Universität durch den RIAS zugeschaltet, vom Krankenlager aus darauf hingewiesen, daß Freiheit zur Selbstbeschränkung, zur Selbstzucht, "nicht etwa zur Selbstsucht" führe - übrigens ganz ähnlich wie Dietrich Bonhoeffer, der einstige Privatdozent dieser Universität, in seinem Gefängnisgedicht "Stationen auf dem Weg zur Freiheit" diese Stationen mit der "Zucht" beginnt. Es wäre wunderbar, wenn der Wettstreit zwischen, wie Meinecke sagt, der "alten und der neuen Universität in Berlin" die Komödien-Bühne eines Streites um die Nobelpreisträger und der Debatten über das Alter von Einrichtungen verläßt, eine Debatte, in der alle Beteiligten auch immer nur wie Komödianten agieren können, freiwillig oder unfreiwillig, und sich statt dessen lieber dem gemeinsamen Gedenken an eine Geschichte widmet, die Aufbrüche zu neuer Freiheit ebenso kennt wie Abstürze in den puren Totalitarismus, hüben wie drüben.
Eine der Studentinnen, die 1948 unehrenhaft aus dieser Universität entlassen wurde, die frühere Berliner Bürgermeisterin Hanna-Renate Laurien, wäre gern unter uns gewesen, muß aber selbst eine Gedenkrede in Dresden halten. Zum Abschluß meiner einleitenden Bemerkungen möchte ich verlesen, was Sie mir in einem Brief geschrieben hat - eine wunderbare Geschichte, die deutlich macht, wie die 1948 im Berliner Südwesten und 1949 in Berlin-Mitte so gern bemühten Formeln von der Humanitas und der Freiheit ganz konkret interpretiert werden können und, meine Damen und Herren, wir sind uns ja vermutlich einig, daß nur eine solche konkrete Interpretation der hehren Formeln sicherstellt, daß in allen Universitäten der Humboldtschen Tradition und so auch in der originalen Humboldtschen Universität, der einstigen Friedrich-Wilhelms-Universität und heutigen Humboldt-Universität, diese Ideale bewahrt bleiben. Nun also Hanna-Renate Laurien: "Also aus der Humboldt-Universität war ich ‚in Unehren' entlassen worden, da ich an einer Demo pro FU teilgenommen hatte. Nun kam 1948 die Gründung der FU zustande, und der Bundespräsident Heuß kam zur ersten Immatrikulationsfeier, bei der er 12 Studenten und Studentinnen (ich war eine davon) die Hand geben wollte. Ich besaß nur klumpige RAD-Schuhe, pumpte mir ein Paar elegante Schuhe, stapfte auf den Präsidenten zu, knickte mit dem Fuß um und lag vor ihm auf dem Boden. Oh, dieser Schreck. Doch er beugte sich über mich und sagte lächelnd: ‚Mein Fräulein, so viel Ehrfurcht ist nicht nötig'. … Das ist der Unterschied zwischen Demokratie und Diktatur. In der Diktatur wird solche Unterwürfigkeit gefordert, in der Demokratie gilt das Präsidentenwort: so viel Ehrfurcht ist nicht nötig, da ist der Staatsbürger mit aufrechtem Gang gefragt". Soweit Hanna-Renate Laurien. Sie schließt ihren Brief mit den Worten: "So grüße ich Sie dankbar", ja, ich grüße sie alle dankbar, die Studierenden von 1948/1949, die uns heute die Ehre geben, die, die den heutigen Abend geplant haben und mit ihren Beiträgen zieren, vor allem aber unseren Referenten, Herrn Kollegen Hansen, und natürlich Sie, verehrter Klaus Schütz. Seien sie uns alle sehr, sehr herzlich willkommen.
Prof. Dr. Dr. h.c. Christoph Markschies
Präsident der Humboldt-Universität