Humboldt-Universität zu Berlin

Eröffnung der Ausstellung zum „Generalplan Ost“

Grußwort am 16.01.2008

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

wir schmücken uns an der Berliner Humboldt-Universität, die in wenigen Jahren ihr zweihundertjähriges Jubiläum feiert, gern mit unserer Tradition. Und zitieren bisweilen gern eine Formulierung des Philosophen Hegel, mit der er seinerzeit diese Universität beschreiben wollte und wohl auch teilweise beschrieben hat: „Universität des Mittelpunktes“. Für einzelne Phasen der Geschichte der Alma Mater Berolinensis hat dieser Begriff freilich einen ganz und gar schrecklichen Unterton und heute abend erinnern wir an eine Zeit, für die das ganz gewiß gilt: Unsere Universität als Mittelpunkt, aber eben als Mittelpunkt einer Wissenschaft, die man nur noch als verbrecherisch bezeichnen kann, die einen als Angehöriger der Einrichtung, an der sie einst betrieben wurde, nur mit tiefer Scham erfüllen kann und der energischen Verpflichtung, sich mit dieser entsetzlichen Vergangenheit dieses Hauses zu beschäftigen, sich um überlebende Opfer zu kümmern und die notwendigen Konsequenzen für die Gegenwart zu ziehen.

Vor etwa anderthalb Jahren, als die Ausstellung erstmals in Bonn eröffnete, war ich um eine größere Rede zum Anlaß gebeten und habe damals die Frage gestellt, warum eigentlich Wissenschaftler der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität an solchen Planungen mitwirkten – eine Frage, die in der inzwischen doch schon relativ umfangreichen Literatur kaum gestellt und, falls sie doch implizit auftaucht, eher nachlässig beantwortet wird. Wer die auf den ersten Blick so naive Überlegung, was sich aus den Katastrophen der deutschen Wissenschaft für die Gegenwart lernen läßt, noch nicht völlig sistiert hat und versucht, sich mit dieser Überlegung seiner geschichtlichen Verantwortung zu stellen, muß doch nach dem Besuch einer solchen Ausstellung, wie wir sie heute hier eröffnen, eben dies für die Leitfrage seiner eigenen Beschäftigung mit diesem düsteren Kapitel der Geschichte deutscher Agrarwissenschaft und Osteuropaforschung halten: Wieso beteiligten sich Wissenschaftler an derartig verbrecherischen Planungen wie Planungen und warum glitten diese Forscher mit ihren Forschungen in die eindeutige Amoralität ab? Ich habe vor anderthalb Jahren in Bonn nach einer ausführlichen Analyse des Generalplan und insbesondere des Berliner Agrarwissenschaftlers Konrad Meyer vorläufig drei Antworten vorgeschlagen, die ich gern wiederholen möchte, weil sie für die Gegenwart Bedeutung haben und damit für das, was wir aus den damaligen Geschehnissen für die Zukunft lernen können.

Erstens zeigt eine Analyse der beteiligten Person, insbesondere von Konrad Meyer, aber auch von anderen nationalsozialistischen Wissenschaftlern dieser Universität, daß insbesondere die begabten Wissenschaftler in einem Wissenschaftssystem leicht verführt werden können. Wer plötzlich über eine Fülle von Macht oder von Geld verfügt und plötzlich alles tun kann, was er immer schon tun wollte, wirft unter Umständen alle Bedenken über Bord, die ihn vor schlechter Wissenschaft und vor dem Abgleiten in amoralische Forschungen und Planungen bewahren könnten. Ich bin fest davon überzeugt, daß es bei den meisten Menschen Bedenken aufgrund einer natürlichen ethischen Intuition gibt, die vor dem Abgleiten in amoralische Forschungen und Planungen bewahren kann – schon Aristoteles hat in der Nikomachischen Ethik im Rahmen der dianoetischen Tugenden die Φρόνησιφ beschrieben als die Fähigkeit, das Menschendienliche zu erkennen, unter anderem im Unterschied zur τεχνη als der Fähigkeit, das Herstellbare zu erkennen. Die ethische Intuition sagt uns: So etwas darf man doch nicht mit Menschen machen. Und der, der so formuliert, sagt das aufgrund eines eigentümlichen Orientierungswissens, das wir in lebensweltlicher Umsicht gewinnen und zur Verfügung haben, insofern es nicht verschüttet oder zugedeckt wird, beispielsweise durch Verführung oder eine bewußte Entscheidung für ein Verhalten, dessen Amoralität wir ahnen könnten – Herr Kollege vom Bruch spricht von „Selbstmobilisierungg, einer Selbstmobilisierung für Ziele einer Diktatur. Mir scheint daher eine wichtige erste Konsequenz aus der historischen Analyse der deutschen Universität im Nationalsozialismus, daß wir diese lebensweltliche ethische Intuition pflegen und so wenigstens resistenter machen, wenn es schon keinen endgültigen Schutz vor Verführung und krassem Fehlverhalten gibt. Das Gegenteil einer Pflege von lebensweltlicher ethischer Intuition ist es aber, dieses basale Orientierungswissen klein zu reden, in scheinbarer Tradition von Descartes her zugunsten einer wissenschaftlichen, angeblich objektiven Ethik abzuwerten oder gar einer konstruktivistischen Attitüde folgend gänzlich zu opfern, als handle es sich bei dieser Intuition um ein beliebiges Produkt einer letztlich beliebigen Kultur oder Gesellschaft – dazu sollte man sich angesichts der Erfahrungen des letzten Jahrhunderts gerade nicht verleiten lassen.

Zweitens scheint es angesichts der spezifischen Bedeutung, die für Konrad Meyers Entscheidung für amoralische Forschung wie Planung dessen sehr konservative Form einer Theorie des Bauernstandes hat, sinnvoll, die spezifische Anfälligkeit einzelner Disziplinen zu diskutieren. Umgekehrt formuliert: Eine transdisziplinäre Typenlehre ist bei einer Ethik der Wissenschaften so verfehlt, wie das ganze Konzept der Transdisziplinarität in der von Jürgen Mittelstraß definierten Form problematisch ist. Man darf dem Wissenschaftsrat tief dankbar dafür sein, daß er in seiner jüngsten Stellungnahme zu den Geisteswissenschaften die Bedeutung der Disziplinarität und disziplinärer Standards noch einmal wieder eingeschärft hat; nun sollte der Weg frei sein, um mit den disziplinären Standards auch die spezifischen Abgründe und Gefahren einer Disziplin zu thematisieren. Wollte man allgemeinere Konsequenzen aus der Flucht des Agrarwissenschaftlers Meyer vor den Konsequenzen der modernen Industriegesellschaft für die Landwirtschaft ziehen, dann müßte man vermutlich nach dem spezifischen Verhältnis bestimmter Disziplinen zur Neuzeit, ihren Kosten und Leistungen, fragen – in meinem eigenen Fachgebiet, der evangelischen Theologie, gibt es beispielsweise noch heute beides: eine tief emotionale Verweigerung gegenüber der ganzen Neuzeit wie auch einen emphatischen und völlig unkritischen Bezug auf die Neuzeit. Die Regensburger Rede des Papstes zeigt, daß solche Verhältnisbestimmungen einer einzelnen Disziplin zur Neuzeit keineswegs nur die Disziplin selbst, also im Beispiel die Theologie, betreffen, aber damit ist ein sehr weites Feld angesprochen. Ich komme lieber auf den dritten und letzten Punkt.

Der dritte und mir wichtigste Zusammenhang ist die mangelnde Ideologieresistenz der deutschen Universitätswissenschaften im zwanzigsten Jahrhundert. Meyer oder Seeberg sind nur Beispiele dafür, wie bestimmte anfängliche wissenschaftliche Affinitäten zu einzelnen Elementen der nationalsozialistischen Ideologie dazu führten, daß das gesamte ideologische System übernommen wurde. Wachsam gegenüber solchen Ideologisierungen zu sein, scheint mir – da viele Menschen, die amoralische Forschung wie Planung nationalsozialistischer oder nationalsozialistisch kontaminierter Wissenschaft geschädigt oder beschädigt überlebt haben, längst gestorben sind, auch die eigentliche Verpflichtung der deutschen Universität, die eigentliche Lehre aus dieser bitteren Vergangenheit zu sein. Um Entschuldigung zu bitten, macht im Grunde nur Sinn, solange es noch Opfer gibt. In der erwähnten Rede auf dem Berliner Symposium 2001 hat Hubert Markl sich nicht nur zur historischen Verantwortung der Max-Planck-Gesellschaft für amoralische Forschungen der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft bekannt, sondern eine bewegende Bitte um Entschuldigung anstelle der Täter und im Angesicht der Opfer formuliert. Diese Bitte ist bemerkenswert, weil sie auch einen Weg für die Nachgeborenen weist, der dann gangbar ist, wenn die meisten Opfer bereits gestorben sind. Markl schließt seine Rede: „Die ehrlichste Art der Entschuldigung ist daher die Offenlegung der Schuld; für einen Wissenschaftler sollte dies vielleicht die angemessenste Art der Entschuldigung sein. Um Verzeihung bitten kann eigentlich nur der Täter. Dennoch bitte ich Sie, die überlebenden Opfer, von Herzen um Verzeihung für die, die dies … selbst auszusprechen versäumt haben“. Mir scheint, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß die beste Art, heute gegenüber der Ideologisierung von Wissenschaft wachsam zu sein, die möglichst präzise Analyse historischer Vorgänge und das ehrliche Bekenntnis eigener Schuld ist. Insbesondere die Humboldt-Universität zu Berlin hat beides, Analyse und Schuldbekenntnis, längst noch nicht im nötigen Umfang unternommen, wie Rüdiger vom Bruch in seinem Beitrag zu einem einschlägigen Sammelwerk zeigt. Vor 1989 glaubte meine Universität, durch eine „antifaschistisch-demokratische Erneuerung“ der Universität einen Schlußstrich unter die Vergangenheit gezogen zu haben. Mir scheint aber geradezu im Gegenteil, daß wir durch eine präzise Analyse dieser bitteren Vergangenheit unserer Alma Mater Berolinensis immer deutlicher erkennen, daß es einen solchen Schlußstrich nicht geben kann und auch gar nicht geben darf: Denn durch solche Analyse erkennen wir, daß die Gefahr, daß ein Wissenschaftler, eine Wissenschaftlerin in amoralische Forschung abgleitet, ja nicht nur in einem totalitären System besteht. Von der Macht und vom Geld können wir alle verführt werden, einzelne Disziplinen sind bis auf den heutigen Tag besonders anfällig und mit der Ideologieresistenz der deutschen Universitätswissenschaft war es auch nach 1945 nicht immer zum Besten bestellt: In der Eingangshalle meiner Universität ist mit goldenen Lettern auf rotem Marmor der Spruch eines früheren Studenten angebracht, der – wie Richard Schröder einmal gesagt hat – auffordert, die Welt zu verändern, bevor man sie verstanden hat. Dieser Parole sind im zwanzigsten Jahrhundert in verschiedensten Systemen, in Ost wie West, leider allzu viele gefolgt. Im Grunde Wissenschaftler wie Konrad Meyer, der glaubte, die spätneuzeitliche Strukturkrise der Landwirtschaft durch eine exzessive Reaktivierung der alten deutschen Ostkolonisation lösen zu können. Ein wichtiger Beitrag der deutschen Universität könnte darin liegen, solche Zusammenhänge als unsere Schuld zu thematisieren und darauf zu achten, daß die törichten Parolen korrigiert werden: „Es kömmt aber darauf an, zu verstehen“. Die Ausstellung mahnt nur, uns unserer Verantwortung noch energischer und entschlossener zu stellen, der Verantwortung für die Verbrechen der Vergangenheit, aber auch unserer Verantwortung in der Gegenwart. Diese kann in einer globalisierten Welt nur dann dieser globalisierten Welt angemessen sein, wenn wir die globalen Wirkungen unseres Tuns bedenken, abschätzen, uns bewußt machen und Konsequenzen ziehen. Daher danke ich namens der ganzen Universität denen, die die Ausstellung vorbereitet, kuratiert und aufgebaut haben, natürlich auch den Referenten des heutigen Nachmittags. Wir werden – soviel ist sicher – mit dem Thema heute abend nicht fertig und werden es wohl nie, werden es hoffentlich nie.

Prof. Dr. Dr. h.c. Christoph Markschies
Präsident der Humboldt-Universität

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