Humboldt-Universität zu Berlin

Jahresversammlung der Hochschulrektorenkonferenz

Grußwort am 10.05.2010

Begrüßungen haben, wie wir alle wissen, verehrter Herr Bundespräsident, verehrte Frau Wintermantel, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, verehrte Damen und Herren, ihre topischen Elemente. Das mag so angehen, das sind wir gewöhnt. Und gelegentlich auch ganz dankbar dafür. In diesem großen Jubiläumsjahr der Humboldtschen Universität, zugleich dem Jubiläumsjahr dieser Humboldt-Universität, der Berliner Universität Unter den Linden - ja, in diesem Jubiläumsjahr stellen wir leider auch fest, daß die Grußworte und Reden zum Jubiläumsjahr ihre topischen Elemente haben. Ich erlaube mir, entsprechende Beobachtungen ein klein wenig zuzuspitzen:

Da sind zum einen die Festtagsredner, die mit großem Tremolo in der Stimme die großen Formeln der Humboldtschen Universität durch die Gegend tragen, beispielsweise die berühmte Formel der "Einheit von Forschung und Lehre", aber nie viel Humboldt gelesen haben und nicht ahnen, daß die meisten dieser Formeln erst zum hundertjährigen Jubiläum oder, noch kurioser, erst in den großen Bildungsdebatten der jungen Bundesrepublik geprägt worden sind. Ich habe bei vielem Schelsky im Verdacht, aber, meine Damen und Herren, dies ist eine Begrüßung und kein philologisches Kolloquium zur jüngeren Bildungsterminologie, für das ich als Kirchenhistoriker auch kaum berufen wäre und also hübsch bei meinen topischen Leisten bleiben sollte. Warum kümmern wir uns so selten um die wunderbaren Ergebnisse, die uns Wissenschaftsgeschichtler und Hochschulforscher seit Jahren zum Thema frei Haus liefern und lassen die beständige Wiederholung der alten Formeln so widerstandslos zu?

Dann gibt es bei den Jubiläumsbeiträgen zur Humboldtschen Universität in diesem Jahr die Propheten, die ebenfalls mit viel Tremolo den Untergang des Humboldtschen Abendlandes ankündigen, am Anfang Bologna und am Ende auch, wir kennen das und dürften das auch in diesem Semester wieder erleben. Auch die haben die Gründungstexte der Berliner Universität meist nur oberflächlich gelesen; mindestens Schleiermacher hält die Berufsbildung in einigen Studiengängen wie Jura, Medizin und Theologie für einen integralen Bestandteil der reformierten Universitas litterarum; die Polemik gegen die französischen Écoles fällt nicht bei allen Reformern so zeitbedingt und radikal aus, wie man gern glaubt. Warum muß es immer so radikal zugehen, wenn das Thema Universitätsreform in Deutschland traktiert wird? Warum rufen die einen den Untergang des Abendlandes aus und die anderen reden sich die Lage schön? Es gibt insbesondere beim Thema Berufsbezogenheit viel zu tun an deutschen Universitäten, wie sollte das auch anders sein bei einer sich so rasch und tiefgründig wandelnden Berufslandschaft? Und es gibt auch im Blick auf Bologna-Studiengänge allerlei zu tun, aber es wird doch auch viel getan und davon darf man doch ruhig auch einmal reden.

Und dann gibt es im Jubiläumsjahr noch eine dritte Gruppe. Das sind die klugen Historiker, denen aufgefallen ist, daß Humboldt nur einer der Väter der Humboldtschen Universität war (übrigens war das das zentrale historische Ergebnis des großen Jubiläums von 1910), im neunzehnten Jahrhundert praktisch nie von ihm die Rede war (schließlich machte sich das auch nicht gut, anläßlich von Kaisers Geburtstag auf ein Mitglied einer Familie zu verweisen, die gar nicht zur alten preußischen Nobilität gehörte) und die Humboldt-Universität nur in sehr eingeschränktem Sinne Humboldts und der anderen Gründerväter Visionen entsprach: Die Friedrich-Wilhelms-Universität war eben keine staatsferne Stiftungshochschule, sondern die preußische und reichsdeutsche Staatshochschule mit allen auch schrecklichen Konsequenzen; die Bücherverbrennung draußen auf dem Opernplatz, an die wir auf dem heutigen Bebelplatz heute erinnern, steht in direktem Zusammenhang mit der Antrittsvorlesung eines Professors für politische Pädagogik, der übrigens im einstigen Dienstzimmer von Carl Heinrich Becker unterkam - Becker und Bäumler, erst beides zusammen macht die Tradition, derer heute zu gedenken ist und die nur partiell zu feiern ist.

Staatstragendes Tremolo, Weltuntergangsprophetie oder schlichter Dekonstruktivismus der großen Jubiläumsmythen - das sind zwar verbreitete, aber dann doch einer Universität, einer Versammlung so vieler Universitäten und Hochschulen etwas unangemessene Formen des Gedenkens an einen großen Aufbruch vor zweihundert Jahren. An einen Aufbruch aus einer schweren politischen und finanziellen Krise, um das Wort Desaster einmal nicht zu bemühen. Wir alle, Herr Bundespräsident, meine Damen und Herren, wissen, daß es im deutschen Hochschulsystem eine ganze Reihe von schwerwiegenden Problemen gibt, nicht nur, aber auch erhebliche finanzielle Probleme. Wie man Probleme lösen könnte, wissen eigentlich die meisten und es macht wenig Spaß, das immer wieder und wieder zu sagen, weil ein paar politische Voraussetzungen fehlen - ich will dieses alte, garstige Lied heute zur festlichen Versammlung nicht singen. Denn wir wissen doch auch, daß wirkliche Reform und Behebung dieser Probleme auf unserer Seite einen entschlossenen, fröhlichen Reformgeist und Leidenschaft für die Sache der Wissenschaft, Leidenschaft für die Lehre wie für die Forschung voraussetzt, jenseits der üblichen wohlfeilen Parolen und Formeln. Die gilt es zu wecken, wie jeder weiß, der einmal eine große amerikanische oder eine chinesische Universität von Ferne gesehen hat. Ich möchte Ihnen allen jenseits aller Topik eines Jubiläums meine Erfahrung aus dem Jubiläumsjahr weitergeben, daß die zweihundert Jahre alten Texte unserer Berliner Gründerväter unglaublich frisch wirken, provozierend frisch, weil sie diesen Geist der Leidenschaft enthalten, nicht den bürokratischen Geist der deutschen Gremienuniversität, auch nicht den arg technischen spirit der unternehmerischen Hochschule, nein, eine ganz elementare, fröhliche Leidenschaft für Studierende und für die Wissenschaft. Und eine Menge praktischer Ideen dazu. Natürlich auch ein paar Ideen, die man nicht in die Gegenwart übersetzen, nicht ins einundzwanzigste Jahrhundert transformieren kann. Aber wer das erwarten würde, hätte im Geist des Neuhumanismus aus einer Bildungsreform vergangener Tage eine Religion gemacht, davor - sie ahnen das - kann der Theologe nur warnen. Wenn man sich wirklich auf die Berliner Gründung von 1809/1810 einläßt und nicht nur auf die diversen Abziehbilder, bekommt man selbst ein Stück der damaligen Leidenschaft und leidenschaftlichen Krisenresistenz vermittelt, sozusagen einfach beim Feiern.

Berlin bietet im Jubiläumsjahr viele Gelegenheiten, diesen frischen Geist der Gründung aufzunehmen, zu spüren, zu analysieren - in Ausstellungen, Konferenzen, Aktionen mitten in der Stadt und so weiter und so fort. Ich hoffe, daß Sie, verehrter Herr Bundespräsident, liebe Frau Wintermantel, meine Damen und Herren, davon etwas spüren heute und morgen und bei anderen Besuchen hier in Berlin in den nächsten Wochen und Monaten; zunächst einmal aber hoffe ich, daß Sie sich an diesen Tagen hier in Berlin und an der Humboldt-Universität wohl fühlen, grüße Sie alle miteinander ganz herzlich und danke Ihnen auch von Herzen, daß Sie uns die Ehre des Besuches erweisen, seien Sie uns ganz besonders willkommen!


Prof. Dr. Dr. h.c. Christoph Markschies
Präsident der Humboldt-Universität

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