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Grußwort zum dritten Humboldt-Streitgespräch "Wer darf studieren? Die Zukunft des Studiums"

Grußwort am 8. Juli 2010

Wenn Menschen, meine sehr verehrten Damen und Herren, an das Ende einer Amtszeit kommen, werden sie bisweilen resigniert oder zynisch, bisweilen aber auch einfach frech und ein wenig selbstkritisch. Soweit ich das drei Monate vor dem Ende meiner Amtszeit beurteilen kann, werde ich frech (oder vielleicht besser: bleibe ich frech) und selbstkritisch dazu. Ich beginne mit einigen Frechheiten: „Wer darf studieren?“ – die deutsche Wissenschafts- und Hochschulpolitik hat sich entideologisiert in den letzten Jahren, dramatisch entideologisiert, Gott sei Dank. Zwei Beispiele: Vor einigen Tagen unterhielt ich mich mit dem hochschulpolitischen Experten der Bundestagsfraktion der Grünen – und der forderte mehr Wettbewerb zwischen Hochschulen und mehr wettbewerbliche Elemente innerhalb einer Hochschule. Daß seine Partei eigentlich einmal angetreten war, unter dem Stichwort „Kritik der Ökonomisierung des Bildungswesens“ die schrankenlose Einführung des Wettbewerbs, die überhastete Etablierung einer angeblich leistungsgerechten Mittelvergabe beispielsweise durch absurde bibliometrische Verfahren in den Geisteswissenschaften (getreu der Parole der antiken Volksmedizin: Viel hilft viel) zu bekämpfen: Schwamm drüber. Ein weiteres Beispiel: Nicht alle von Sozialdemokraten erarbeiteten und verabschiedeten Hochschulgesetze dieses Landes mag man für klassisch sozialdemokratisch geprägt halten, weil auch sie die Idee einer Modellierung einer Hochschule nach dem Vorbild eines Wirtschaftsunternehmens ein gutes Stück rezipiert haben – aber die baden-württembergische Idee, den Rektor der Universität Heidelberg mit dem Titel „Vorstandsvorsitzender der Universität Heidelberg“ auszurüsten (das Hochschulgesetz bot jedenfalls, als ich in Heidelberg Professor war, diese Möglichkeit), möchte man eigentlich auch nicht klassisch konservativ nennen. Die zwei Beispiele reichen: Entideologisierung der Parteien allerorten und eben auch in der Bildungs- und Hochschulpolitik, dem schönen alten Kampffeld der Ideologen, es reicht ja, den Namen des Bundeslandes Hessen auszusprechen. Doch halt, ein kleines gallisches Dorf leistet Widerstand – und unser Thema ist ein schönes Beispiel. Denn mir scheint (und erst jetzt werde ich wirklich frech), daß das Thema „Wer darf studieren?“ einer der letzten großen ideologischen Reservatbereiche ist. Nicht in allen Dimensionen. Daß hierzulande zu wenig Kinder aus Migrantenfamilien studieren, zu wenig Kinder aus sozialen Brennpunkten, zu wenig Kinder aus Unterschichten, geht selbst dem strengsten Konservativen inzwischen mühelos und ohne spürbares Zögern über die Lippen. Eine breite Koalition von rechts bis links will, daß mehr studieren und denkt dabei nicht nur an Bürgertumskinder. Die böse Frage, ob man diese zusätzlichen Studienplätze endlich auch einmal mit den Betreuungsrelationen finanzieren möchte, die in vielen anderen europäischen Ländern üblich sind oder ob man die hierzulande übliche unterkritische Finanzierung der meisten Studienplätze wieder einmal als gigantischen politischen Erfolg feiert, deute ich einmal nur zart an. Soweit geht auch bei unserem Thema der neue, entideologisierte Konsens dieser Bildungsrepublik.

Aber wehe, meine Damen und Herren, wehe, Sie stellen einmal die schüchterne Frage nach Eingangsprüfungen ins Studium. Oder wagen zaghaft darauf hinzuweisen, daß mit einer Übergangsquote von hundert Prozent vom Bachelor in den Master die Bologna-Reform komplett ruiniert ist. Dann ist der alte ideologische Diskurs dieses Landes plötzlich wieder da, Parolen werden skandiert und Argumente sind rar – ein wenig ist es wie beim Thema Studiengebühren: Alle Argumente sind längst ausgetauscht und wir könnten sie uns in Form laminierten DIN A 5-Zettel zustellen und statt dessen Kaffee trinken gehen. Wieder nur diese zwei Beispiele: Als ich gerade einmal ein halbes Jahr im Amt war, entwickelten Studierende und Lehrende der Chemie einen Studieneingangstest, weil die Menge derer, die ungeeignet für dieses Studium, mit ihm begannen und dann verzweifelt abbrachen, niemand im nämlichen Institut kalt lies. Nun könnte man natürlich fragen, ob die Phase vor dem ersten Semester der rechte Zeitpunkt für einen solchen Test ist, oder nicht besser das Ende dieses ersten Semesters, und genauso sicher könnte man fragen, ob der Test selbst seinen Zweck erfüllt und eine gewisse Prognosesicherheit im Blick auf Studienerfolg erlaubt – und es gibt bekanntlich wissenschaftliche Einrichtungen in diesem Land, die sich auf Testforschung und die Überprüfung solcher Tests spezialisiert haben. So wurde aber 2006 an dieser Universität nicht diskutiert. Den einen schien die heilige Kuh des freien Zugangs zu einem freien Studium bedroht und sie begriffen gar nicht, daß elendiglich in der Chemie scheitern ein sehr abstraktes und auch ein wenig unmenschliches Modell von Freiheit ist (wenn ich polemisch sein wollte: das Modell, das dem Räuberkapitalismus des neunzehnten Jahrhunderts zugrunde lag), die anderen empfanden das in unserem Berliner Hochschulgesetz ausgedrückte Verbot solcher Prüfungen als den Gipfel staatlicher Bevormundung. Der Rest der Geschichte ist mindestens den Angehörigen dieser Universität bekannt und muß auch nicht noch einmal erzählt werden. Wirklich frech ist meine Diagnose, daß da alte ideologische Schlachten geschlagen werden, eigentlich auch nicht. Bleibt das zweite Beispiel: Der Übergang vom Bachelor in den Master, jüngst beim Studierendenstreik eine der zentralen Forderungen der Streikenden. Wie die Übergangsquoten überhaupt an der Universität auch dies ein hochideologisches Schlachtfeld. Denn da spielen wieder die abstrakten Freiheitsmodelle eine Rolle, die ohne Rücksicht auf Begabungsprofile von Studierenden und also rücksichtslos postuliert werden, ganz egal, ob es nun Sinn macht, einen hohen Prozentsatz der Bevölkerung wirklich zehn Semester durch ein Fachstudium zu ziehen oder ob es nicht wirklich sinnvoller ist, an dieser Stelle noch einmal einen Schnitt zwischen dem angestrebten Berufsprofil und seinen spezifischen Voraussetzungen einerseits und der individuellen Begabung andererseits zu machen.

Aber, meine Damen und Herren, wenn man nüchtern und unideologisch über solche Fragen reden wollte, dann müßte man ja wenigstens kurz einmal an die großen Tabuthemen der deutschen Universität rühren: Wie geht das eigentlich zusammen, Massenuniversität und Elitebildung? Hier beginnt nun der zweite Teil meiner Begrüßung, überschrieben mit: Selbstkritik. Genau die eben zitierte Frage stellte mir ganz zu Beginn meiner Amtszeit eine kluge Journalistentruppe. Ich stotterte damals – das sei dem Theologen verziehen – etwas von Schleiermacher, davon, daß der große Berliner Theologe die Mittelmäßigen und die Besten gern zusammen an der Universität bilden wollte, weil weder schon eindeutig klar ist, wer eigentlich Mittelmaß bleiben wird und wer nur Spätentwickler ist, noch die Elite fern jeder Verantwortung für die Gesellschaft im Elysium leben darf. Aber wie geht das konkret? Schnelläuferklassen wie an den Schulen? Das, was man im Wissenschaftsenglisch unserer Tage „fast track“ nennt, also den Schnellzug vom Bachelor zur Promotion? Selbstkritisch möchte ich bemerken, daß wir das alles nur auf dem Papier haben, auf Papieren von mir selbst und Kollegen. Wenn man wissen will, wie man den Spagat zwischen disziplinärer und allgemeiner Bildung in einem studium generale konkret schließt, muß man nach Lüneburg schauen: bei dem Kollegen Spoun ist Praxis, worüber wir nur theoretisieren. Und Gleiches gilt für den fast track: Auch da muß ich selbstkritisch bemerken, daß andere weiter sind. Wie genau das – ich verwende jetzt sehr bewußt das altertümelnde Wort des neunzehnten Jahrhunderts – „Mittelmaß“ und die „Elite“ (auch da verwende ich bewußt den Ausdruck, den die unvergessene Frau Bulmahn wieder zurückziehen mußte gleich zu Beginn ihrer gleichfalls unvergessenen Kampagne „Brain up“) ins rechte Verhältnis zu setzen, ist an deutschen Hochschulen bisher nur sehr ansatzweise gelungen und doch des Schweißes der Edlen durchaus wert.

In Berlin ist der ideologische Charakter der Bildungsdebatten vielleicht sogar noch einmal höher als anderswo; man schlägt sich in dieser Stadt auch gern einmal eine Bratpfanne auf den Kopf und klagt über mangelnde Transparenz und Kommunikation, wenn einem in Wahrheit das Konzept nicht paßt, das der andere verfolgt. Liebe Gäste: Geben Sie uns doch einmal ein Beispiel einer pragmatischen, nüchternen Diskussion, ohne Ideologie, aber dafür mit vielen Argumenten, vor allem mit neuen, solchen, die noch nicht auf den laminierten DIN A 5-Zetteln stehen, die wir dringend brauchen. Dann werden wir auch nicht Kaffee trinken gehen, sondern Ihnen gespannt zuhören und mit dieser unausrottbaren Hoffnung begrüße ich Sie alle sehr herzlich und meinen ebenso verehrten wie geschätzten Kollegen Bernhard Lorentz von der Mercator-Stiftung besonders herzlich.


Prof. Dr. Dr. h.c. Christoph Markschies
Präsident der Humboldt-Universität

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