Humboldt-Universität zu Berlin

Feierliche Eröffnung des Kollegiums jüdische Studien

Grußwort vom 6. Juli 2009

Gestern, verehrter Herr Staatssekretär Husung, verehrte, liebe Frau Süßkind, liebe Frau von Braun und lieber Herr Schoeps, Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren - gestern traktierte ich gemeinsam mit meinem Princetoner Kollegen Peter Schäfer im Rahmen eines Blockseminars für Studierende der Judaistik und der Theologie einige der sogenannten Shi'ur Qoma-Texte samt ihren christlichen Parallelen - rätselhafte Texte, in denen die Länge der Arme Gottes und der Abstand zwischen seinen Augenbrauen in Parasangen, einem persischen Längenmaß angegeben wird, in Zahlen, die so aberwitzig hoch sind, daß die Angabe einer Zahl zugleich die Zählbarkeit dementiert. Viele unter uns werden wissen, daß der wissenschaftliche Anstoß, auf die Shi'ur Qoma Texte zu achten und überhaupt die lange verdrängte spätantike und mittelalterliche Mystik des göttlichen Thronwagens, die Merkava-Mystik, zu studieren, von einem in Berlin geborenen und aufgewachsenen Juden stammte, von Gershom Scholem, der seit 1933 den Lehrstuhl für jüdische Mystik an der Hebräischen Universität inne hatte. "Von Berlin nach Jerusalem" sind die Erinnerungen übertitelt, in denen Gershom Scholem die Kindheit und Jugend Gerhard Scholems beschreibt, das Elternhaus in der Neuen Grünstraße, seine Schule, das Luisenstädtische Realgymnasium und den ersten Theaterbesuch im Schillertheater in der Bismarckstraße in Charlottenburg, natürlich Schiller, Wilhelm Tell. Die meisten unter uns wissen, was Gershom Scholem über das, wie er sagte, als "Deutschjudentum bekannte Amalgam" geschrieben hat und einem Autor, der seine erwähnten Jugenderinnerungen "dem Andenken meines Bruders Werner, geboren im Dezember 1895 in Berlin, ermordet im Juni 1940 in Buchenwald" widmen muß, werden allzumal wir nachgeborene Deutsche diese Position niemals verübeln dürfen. Aber wahrscheinlich wissen nur wenige unter uns, daß Scholems frühe Tagebücher deutlich machen, wie sehr sein Interesse an den mittelalterlichen Handschriften der Merkava-Mystik, die er der Wissenschaft erschlossen hat wie die Shi'ur Qoma-Textcluster in ihnen, formiert wurde von einem allgemeinen Interesse an mystischer Literatur im Berlin des frühen zwanzigsten Jahrhunderts.

Bevor ich unversehens in eine Vorlesung über Details der Geschichte des Berliner Judentums abgleite, für die andere unter uns gewiß berufener sind als ausgerechnet der Ordinarius für ältere Kirchengeschichte, der sich vielleicht ein wenig im formativen Bereich des antiken Judentums kundig gemacht hat, liegt mir eher daran, zu markieren, welche grundsätzlichen Schlüsse sich aus diesen mehr anekdotischen Beobachtungen zu den Wochenendvergnügen des Präsidenten dieser Universität und aus seiner Lektüre von Gershom Scholems sehr unterschiedlichen autobiographischen Texten ziehen lassen: Mir scheint zum einen, daß wir nur glücklich sein können, daß der ungeheuer spannende Kosmos der Geschichte des deutschen und Berliner Judentums seit dem neunzehnten Jahrhundert in Zukunft an der Humboldt-Universität durch ein Netzwerk von Kolleginnen und Kollegen erforscht wird. Am Rande des erwähnten Blockseminars unterhielt ich mich mit einem Kollegen aus Dahlem über die Berliner Reformsynagoge in der Johannisstraße, an deren Stelle heute ein öder Parkplatz die Innenstadt ziert (ein Gedenkstein ist erst jüngst errichtet worden) und die große, neue Synagoge in der nahe gelegenen Oranienburger Straße. "Wissen Sie", fragte mich mein Gesprächspartner, "wonach die Gemeinde in der Johannisstraße unmittelbar nach ihrer Errichtung 1853 im Gottesdienst sang?" Ich stotterte irgend etwas von Siddur und verwies auf eine wunderschöne, kommentierte CD-Edition mit Musik des wunderbaren Louis Lewandowski, die das Tel Aviver Diasporamuseum Beth Hatefutsoth vor einiger Zeit einmal veröffentlicht hat und die ich immer wieder einmal gern höre. Da lachte mein Gesprächspartner und verwies auf die Lebensdaten von Lewandowski und sagte: "Zu Beginn haben die protestantische Gesangbücher verwendet". Da war ich wieder einmal ziemlich baff - mindestens mein Forschungsbedarf über das Berliner Judentum seit dem neunzehnten Jahrhundert ist noch riesengroß und schon von daher kann man sich nur von Herzen freuen über die Initiative, die heute zu Stand und Wesen kommt und den Initiatoren, Christiana von Braun und Julius Schoeps, sehr herzlich danken für ihre Initiative.

Einen zweiten Grund meiner Freude möchte ich aber noch nennen. Jedesmal, wenn ich in der Tucholskystraße an der einstigen Hochschule für die Wissenschaft des Judentums vorbeikomme, denke ich, wie unmittelbar wir noch heute von ihren Leistungen profitieren und wie stark auf ihrer Arbeit aufbauen - als Altertumswissenschaftler werden Sie mir nachsehen, meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn ich meine großen Leitsterne, Ismar Elbogen, Leopold Lucas und vor allem Chanoch Albeck nenne, dem wir die mustergültige Textedition von Bereschit Rabba verdanken, einem der für das Studium der antiken christlichen Exegese zentralen Midraschim, diese drei und nicht die vielen anderen großen Gelehrten, an die Sie vielleicht denken und über die Frau Heschel demnächst auch ganz gewiß sprechen wird. Freilich befällt mich jedes mal, wenn ich an der Tucholskystraße vorbeifahre, natürlich auch der Kummer darüber, daß es diese Einrichtung nicht mehr gibt, auch der Kummer darüber, daß sie rebus sic stantibus vor ihrer Schließung nie ein Teil der Friedrich-Wilhelms-Universität werden konnte wie auch viele jüdische Dozenten anderer Disziplinen vor den Toren der Universität bleiben mußten, in deren Hof nicht nur ein Denkmal für den liberalen Theodor Mommsen stand und steht, sondern bis 1946 auch ein Denkmal für Heinrich Treitschke. Drei Jahre im Senat der jüdischen Hochschule in Heidelberg und die Verbindungen nach Potsdam haben mir deutlich gemacht, daß bis auf den heutigen Tag alle Fragen, die sich mit der Wissenschaft des Judentums, der Judaistik, der Rabbinerausbildung (und natürlich erst recht der Rabinerinnenausbildung) verbinden, großer Sensibilität bedürfen und nicht jedes Hilfsangebot einer Universität wirklich hilfreich ist - die enge Kooperation der Heidelberger Hochschule und der Universität ist ein kostbares Gut und ich erinnere mich sehr gern an diese Jahre. Daß es nun, nach so vielen Katastrophen - die Lektüre von Susannah Heschels "Theologians Under Hitler" steckt mir als altem Jenaer Professor durchaus noch in den Knochen und sollte es vermutlich jedem, der dieses Buch zur Hand nimmt -, daß es also nach so vielen Katastrophen wieder gelingen kann und soll, das, was an dieser Universität Bernhard Schlink und Christina von Braun schon begonnen haben, nun in eine festere Form zu bringen, mit neuem Schwung zu beginnen und - so hoffe ich doch - prächtig herauszuführen, daß ist ein Grund großer Dankbarkeit und Freude. Namens der ganzen Universität, aber auch sehr persönlich danke ich Ihnen beiden, allen Mitstreitern und räume nun eilig das Pult, um mehr zu hören vom geplanten Kollegium und vor allem etwas durch Susannah Heschel von der Modernität der Wissenschaft des Judentums, die uns in Berlin um Umfeld des Koranprojektes der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften schon gelegentlich in Ansätzen aufgefallen ist. Ihnen allen einen wunderschönen Abend und herzlichen Dank für Ihre Geduld mit dem überlangen Grußwort des Präsidenten.


Prof. Dr. Dr. h.c. Christoph Markschies
Präsident der Humboldt-Universität

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