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Verabschiedung von Robert Leicht und Einführung von Paul Nolte in das Amt des Präsidenten der Evangelischen Akademie zu Berlin

Grußwort vom 7. Oktober 2009

Wen oder was teilt Sankt Martin? Diese Frage, verehrter Herr Ratsvorsitzender, lieber Wolfgang Huber, verehrte Damen und Herren, liebe Schwestern und Brüder, aber nicht zuletzt: lieber, verehrter Robert Leicht und verehrter, lieber Paul Nolte - die Frage, wen oder was Sankt Martin teilt, hat der neue Präsident der evangelischen Akademie zu Berlin jüngst in einem Interview einer Zeitung aufgeworfen, in der man immer wieder auch geistreiche Kolumnen von Robert Leicht lesen kann1. Wen oder was teilt Sankt Martin? Wir kommen auf die nämliche Frage und auf die Antwort, die Paul Nolte gab, gleich noch zurück. Zunächst aber liegt mir daran, festzuhalten, daß ungeachtet aller nicht gerade geringen Unterschiede zwischen dem studierten Rechtswissenschaftler aus Naumburg an der Saale und dem studierten Historiker aus Geldern wenigstens das Eine beiden gemeinsam ist: Sie stellen Fragen und formulieren Antworten, über die dann wiederum in Form von Frage und Antwort diskutiert werden kann und auch immer wieder diskutiert worden ist. Dies aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, Fragen von öffentlicher Relevanz aufzuwerfen und vor diesem Forum diskussionswürdige Antworten zu geben, ist ja wohl die vornehmste Aufgabe einer evangelischen Akademie und allzumal der evangelischen Akademie zu Berlin. Denn das kleine Wörtchen "zu" soll doch wohl anzeigen, daß es sich wohl um eine in Berlin befindliche, aber nicht auf Berlin und Brandenburg und vielleicht noch die schlesische Oberlausitz beschränkte Akademie handelt, sondern um die zu Berlin befindliche Akademie der evangelischen Kirche in Deutschland, gerade so, wie bei anderen Institutionen auch: Wissenschaftskolleg zu Berlin, Staatsbibliothek zu Berlin oder eben auch: Humboldt-Universität zu Berlin, ein naher Nachbar der evangelischen Akademie. Daß wir uns hier in der evangelischen Akademie zu Berlin und nicht einfach nur in der Berliner evangelischen Akademie versammeln, das haben wir nicht zuletzt Robert Leicht zu verdanken, den Fragen, die er aufgeworfen hat, aber vor allem auch den Antworten, die er zur Diskussion gestellt hat. Da sprach nicht nur ein Rechtswissenschaftler aus Naumburg an der Saale, ein Professor für öffentliche Kommunikation und aktuelle Politik, ein Journalist - nein, da haben wir immer auch einen Laientheologen von echtem Schrot und Korn, einen doctor theologiae vernommen, honoris causa, sed in actu. Wer einen Aufsatzband mit dem Titel "In Wahrheit frei" überschreibt, lieber Robert Leicht, der braucht keine Belehrung von Theologen, Gott bewahre, der kann vielmehr die Theologen lehren und manchen anderen dazu. Wer unter uns je einen Beitrag dieses Bandes gelesen hat (und das werden ja nicht wenige sein), braucht keine Erläuterung. Unter der Überschrift "Was ich dem Wort heute noch zutraue" differenziert nicht nur ein Journalist messerscharf zwischen Wahrheit und Lüge, was doch das eigentliche Amtes des Journalisten ist und doch so selten; es spricht unter dem nämlichen Titel dann aber auch ein Theologe kundig über das Verhältnis von scriptura und verbum. "Für mich sind die konfessionell geprägten Akademien - Kirche im Konjunktiv. In den Akademien gilt es zu untersuchen, wie es in der Welt und in der Kirche auch aussehen könnte", heißt es an anderer Stelle des Bandes "In Wahrheit frei" . Bleibt dem Theologen im Präsidentenamte nur, festzuhalten, daß unter der Präsidentschaft von Robert Leicht hier eben dies geschehen ist, in herausragender Weise und damit die evangelische Akademie zu Berlin herausragen begann über die vielen anderen Akademien dieses Landes, ein Leuchtturm der ganzen Evangelischen Kirche schon ein paar Jahre vor jenem Reformprozeß, in dem vor noch nicht langer Zeit ein paar weitere, neue Leuchttürme auf den Weg gebracht worden sind.

Paul Nolte ist ganz anders, wer wollte schon Äpfel und Birnen vergleichen und sei es mit der trivialen Aussage, daß es sich in beiden Fällen um wohlschmeckendes Obst handelt. Wer an der Brust der Bielefelder Sozialgeschichte aufgezogen wurde und also gleichsam mit der Milch der mild kirchlichen Sozialdemokratie genährt wurde, dann aber bereits im Habilitationsvortrag vor zehn Jahren den staunenden Bielefelder Lehren eröffnete, daß dieser Zugangsweg nicht das Ende aller methodischen Debatten, sondern lediglich eine Epoche darstelle und vielleicht sogar eine zu Ende gehende - ja, meine Damen und Herren, wer von Anfang an so auftritt, verspricht Debatten, kontroverse, wohlgemerkt. "Generation Reform. Jenseits der blockierten Republik", "Riskante Moderne" und jüngst ein Plädoyer für den religionsfreundlichen Staat: Unter dem Präsidenten Nolte wird hier am Gendarmenmarkt und drüben in Schwanenwerder ganz gewiß eher mehr als weniger diskutiert und dafür ist dem Rat der Evangelischen Kirche zu danken. Denn mitten im Reformprozeß unserer Evangelischen Kirche muß es bei aller Notwendigkeit der Schärfung der Profile und der Stärkung der Identitäten Orte geben, an denen darüber gestritten wird, was "Kirche für andere" und "Kirche einmal anders"  - um nochmals dem scheidenden Präsidenten das Wort zu geben - eigentlich bedeuten.

Die größte Versuchung eines Grußwortes ist, nicht nur zu grüßen - herzlich den scheidenden Präsidenten und nicht minder herzlich den kommenden -, sondern sich auch gleich noch deren Amt anzumaßen, also in unserem Falle Fragen vorzulegen, die diese hohe Akademie beantworten könnte und gar selbst Antwortversuche zu unternehmen. Nun wäre es ja eine allzu naive Vorstellung, daß ausgerechnet Theologen, die gewißlich über Versuchungen zu reden wissen, besser vor ihr gefeit wären als andere. Aber ich beantworte trotzdem noch eine Frage, denn ich habe sie nicht selbst aufgeworfen. Meine Frage vom Anfang, Paul Noltes Frage vom Anfang - wir erinnern uns: Wen oder was teilt Sankt Martin?

Im nämlichen Interview lesen wir: "Die radikale christliche Ethik von Sankt Martin sagt: Du mußt den Mantel teilen. Wir müssen so lange abgeben, bis wir alle gleich viel haben". Sie ahnen, ein solcher Satz über den aus Pannonien, im heutigen Ungarn stammenden und 397 in Tour begrabenen römischen Militär und gallischen Bischof läßt einen Altkirchenhistoriker nicht ruhig schlafen. Und er blättert durch die Bilder des großen Heiligen der Barmherzigkeit, die sich durch die abendländische Kunstgeschichte ziehen. Mit der anschließenden Frage: Was trägt der heilige Martin eigentlich unter dem Mantel, den er da teilt? Die Antwort kommt hochwissenschaftlich daher und ist doch vergleichsweise trivial. Was trägt Martin unter dem Mantel? Nun ja, das ist kunststilabhängig. Bei El Greco beispielsweise eine wunderbare Renaissancerüstung, ein wahrhaft königliches Stück. Auf dem Barockrelief von Frankfurt-Höchst einen schlichten römischen Militärpanzer, ein wenig blechern schaut er aus. Was aber auch immer der heilige Martin unter dem Mantel trägt, sei es kostbar oder schlicht - er behält es, behält es für sich und gibt dem Bettler nur den Mantel. Ist das nun eine andere, nicht minder radikale christliche Ethik? Ich werde mich, lieber Wolfgang Huber, lieber Robert Leicht, lieber Paul Nolte, hüten, diese Frage, die der neue Präsident der evangelischen Akademie in mir erweckt hat, jetzt zu beantworten. Denn dafür gibt es ja, wie ich zu Rüdiger Sachaus Einführung vor einiger Zeit gesagt habe, diesen wunderbaren geistigen Tauschplatz (um eine Formulierung von Wolf Lepenies zu verwenden) hier am Gendarmenmarkt. Und wenn hier je einmal die Themen ausgehen sollten (was selbstverständlich ganz und gar unwahrscheinlich ist): Ja, dann vielleicht einmal eine Tagung über Sankt Martin und die radikale christliche Ethik.

Fragen gibt es genug, an diskussionswürdigen Antworten wird auch kein Mangel sein, was können wir also mehr wünschen? Ach doch, eines sollten wir wünschen, dem, der Abschied nimmt und uns hoffentlich doch bleibt und dem, der mit Aplomb angefangen hat: Gottes Segen sollten wir beiden wünschen, den Segen des Gottes, der uns einmal die Antwort auf alle Fragen schenken will und heute schon gnadenhalber wenigstens einige erschöpfend beantwortet.


Prof. Dr. Dr. h.c. Christoph Markschies
Präsident der Humboldt-Universität


1 "Die Probleme wurden im Wahlkampf verdrängt". Der Zeithistoriker Paul Nolte sprach mit dem Tagesspiegel über Steuersenkungsversprechen, weitere Lasten für die Mittelschicht und die Aufgaben einer neuen Regierung, in: Der Tagesspiegel, 27.09.2009, hier zitiert nach: http://www.tagesspiegel.de/politik/wahlen2009/Paul-Nolte-Wahlkampf;art20195,2909304.

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