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Abendveranstaltung der Herbert Quandt-Stiftung mit Frau Prof. Elena Zubkova

Grußwort am 24. Januar 2008

Darf man, verehrte Frau Abgeordnete, meine sehr verehrten Damen und Herren, lieber Graf Kalnein, liebe Frau Zubkova, als Präsident der Humboldt-Universität sein Grußwort mit einem Zitat von Napoleon beginnen und sich dann in demselben gar noch positiv auf die Worte des Korsen beziehen? Immerhin sind Studenten und Professoren dieser Universität und darunter nicht wenige Prominente, Schleiermacher und Savigny und viele andere, gegen Napoleon gezogen; darf man ihn da so mir nichts dir nichts auf die Bühne des Hauses zurück holen? Wenn hier im Hause der Beginn eines Grußwortes mit Napoleon vollkommen unproblematisch sein sollte – und selbstverständlich ist er das –, dann macht er gleich zu Beginn unserer Veranstaltung deutlich, wie sehr sich in den fast zweihundert Jahren der Geschichte dieser Universität der Stellenwert von Nation und Europa gegeneinander verschoben hat und unsere Alma Mater Berolinensis ist auch an diesem Punkte auch wieder nur ein sehr treues Bild des sie umgebenden Landes.

Hier könnte ich eigentlich schließen und mit ein paar Eindrücken meiner letzten Moskaureise – auf den Kremltürmen nebeneinander der frisch vergoldete zaristische Doppeladler und der tief rubinrot leuchtende rote Stern – garniert versichern, wie sehr wir uns auf den Vortrag von Frau Kollegin Elena Zubkova freuen und wie dankbar wir der Herbert Quandt-Stiftung für ihre erneut so großzügige Unterstützung sind. Dann hätte ich Ihnen allen aber das mit solchem Aplomb angekündigte Zitat des Kaisers vorenthalten und das wäre gewiß nicht recht, zumal es uns auf andere Weise mitten in das Thema des heutigen Abends führt. Napoleon hat bekanntlich von der historischen Wahrheit behauptet, sie sei eine Fabel, auf die man sich geeinigt habe („La vérité historique est souvent une fable convenue“). Immer wenn ich diesen Satz höre oder lese, beschäftigt mich weniger die Frage, ob das Zitat nicht eigentlich von Voltaire stammt, als vielmehr der Gedanke, es gäbe vielleicht auch vor De Certeau eine konstruktivistische Tradition im Nachdenken unseres Nachbarlandes über Geschichte. Und außerdem hoffe ich als Kirchenhistoriker immer, daß der Satz mit einem leicht ironisch-resignativen Unterton gesagt ist – denn mindestens ich hoffe darauf, daß es eine basale Widerständigkeit historischer Zusammenhänge gibt, die sich gegen interpretatorische Terrorattentate in Gestalt häßlicher Rezensionen und besserer Darstellungen zur Geltung bringen – wenn Sie, verehrte Damen und Herren, dem Sohn eines Fabelforschers, der es eigentlich besser wissen sollte, diesen durchaus nicht ganz zeitgemäßen Ausbruch von etwas verzeihen, was man in gewissen historiographischen Schulen als naiven Positivismus denunzieren würde. Wenn der Satz Napoleons tatsächlich so, also mit Schalk, formuliert wäre, dann wäre er das rechte Gegenstück zu einem anderen Satz, dem mein Lehrstuhlvorgänger Harnack ebenfalls bescheinigt hat, er sei nicht restlos ernst gemeint gewesen. Ich meine den berühmten Satz aus der Einleitung der „Geschichten der romanischen und germanischen Völker“, den Ranke noch als Frankfurter Gymnasialprofessor über seinen historiographischen Versuch schrieb: „so hoher Ämter unterwindet sich gegenwärtiger Versuch nicht: er will blos zeigen, wie es eigentlich gewesen“ (VII). Der Kernsatz des deutschen historiographischen Positivismus wie der parallele Kernsatz des französischen Konstruktivismus ein und dieselbe tief rhetorische, tief ironische Tiefstapelei? Ich befürchte, daß man bei allen schwierigen historiographischen Themen – und die Geschichtsdebatte im heutigen Rußland hat solcher schwieriger Themen nun wahrlich genug und übergenug – dann und nur dann weiterkommt, wenn man tatsächlich seine historiographischen Analysen mit dem Schuß Ironie vornimmt, den Napoleon wie Ranke an den Tag legen oder mindestens mir an den Tag zu legen scheinen, weder die fabulösen Elemente eigener und fremder Historiographie leugnet noch die Faktizität historischer Ereignisse in die Probleme ihrer menschlichen Erkenntnis auflöst.

Aber Napoleons Satz hat neben seiner ironischen Komponente – die Rede von einer „Fabel“ – auch eine zutiefst realistische: „…eine Fabel, auf die man sich geeinigt habe“. Diese Worte, meine sehr verehrten Damen und Herren, beschreiben mein Tun als Kirchenhistoriker, Ihr Wirken als Osteuropahistoriker, die Arbeit der Historiker und, verehrte Frau Zubkova, von Historikerinnen in Rußland und natürlich die Rezeption aller solcher Tätigkeit dann doch sehr treffend: Man kann das perpetuum mobile, den stets unabgeschlossenen Prozeß von Veröffentlichung und Gegenveröffentlichung, von Monographie und Rezension, von Quellenfund und Quellenneufund, natürlich als ein ständiges Pingpong-Spiel zwischen Akteuren beschreiben, die in Wahrheit nur für sich selbst spielen, Solisten, Solipsisten, Narzißten – aber man kann den Diskurs zwischen Autor und Rezensent, zwischen dem einen Kollegen und seiner Kollegen, jedenfalls dort, wo er gelingt, durchaus als beständigen Prozeß des Aushandelns von Kompromissen, gemeinsamen Sichtweisen, eben als Prozeß einer allmählichen Einigung beschreiben. Wir befinden uns tatsächlich, wenn es gut geht, als historisch denkende Menschen und allzumal als Historiker in einem ständigen Prozess des Sich-Einigens: der eine von uns findet etwas heraus, was noch keiner wußte, der nächste wird davon angeregt, in eine völlig neue Richtung zu denken, der dritte widerspricht, indem er einen zentralen Punkt aufzeigt, den alle übersehen haben, was wiederum den ersten zu einer neuen Aussage bewegt – in anderen Worten, wir einigen uns wohl tatsächlich Stück für Stück auf das, was wir über die Vergangenheit sagen kann. Und das ewige Perpetuum Mobile historiographischer Kommunikation steht nie still – steht jedenfalls in demokratischen Gesellschaften nie still. Es ist im Grunde auch immer wieder einmal ein historiographisches Palindrom: Was von vorn gelesen wurde, wird plötzlich von hinten gelesen, et vice versa. Still steht es jedenfalls nie. Und damit sind wir nun, verehrte Frau Zubkova, ein drittes Mal mitten im Zentrum des heutigen Abends angelangt: Gibt es im heutigen Rußland, so haben Sie im eindrucksvollen Fragenkatalog zur heutigen Vorlesung gefragt, wieder eine „staatliche“ (meint: eine vom Staat bestellte) Geschichte? Angesichts solcher Aussichten gefriert natürlich dem Präsidenten dieser Universität das Blut in den Adern. Wo das Palindrom historiographischer Kommunikation stille zu stehen droht und nur angeworfen wird, weil es der Monarch, die Regierung, die Kirche oder wer auch immer will, ist weit mehr erstarrt als die Debattierzirkel der Historiker. Ich denke, hier im Hause wissen manche noch gut, wovon ich rede; auch das gehört zu zweihundert Jahren Humboldt-Universität zu Berlin.

Das große historische Museum am roten Platz in Moskau endet kurz vor der Oktoberrevolution, jedenfalls endete es, als ich und meine Frau es vor einem knappen Jahr besuchten, exakt dort. Die Geschichte der Jahre 1917ff. wird gerade neu konzipiert und wir wissen nicht, ob „blos“ so, „wie es eigentlich gewesen“ oder ob man uns gleich eine nette Fabel erzählt, auf die man sich geeinigt hat. Nun ist das, scheint mir, kein Problem von Museen am roten Platz. Ich erinnere zaghaft an die Diskussion über das Deutsche Historische Museum und seine Ausstellungen, bis hin zur Dauerausstellung. Es möchte ja sein, daß wir, wenn wir unter Ihrer Anleitung, verehrte Frau Kollegin Zubkova, auf Rußland, auf seine Geschichtsdebatte zwischen Europa und Nation, schauen, immer wieder einmal auch in den Spiegel schauen und uns selbst sehen, unsere Eltern, unsere Großeltern – ja, und eben uns selbst. Also freuen wir uns besonders auf einen solchen Vortrag, selbst wenn er schwierige und schmerzliche Themenfelder berühren sollte. Seien sie alle hier in diesem Hause, dessen schwierige Vergangenheit man hier überall mit Händen greifen kann, herzlich willkommen.


Prof. Dr. Dr. h.c. Christoph Markschies
Präsident der Humboldt-Universität

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