Feierliche Eröffnung der zweiten Förderperiode des SFB 640 "Repräsentationen sozialer Ordnungen im Wandel"
Gestatten Sie mir, liebe Kolleginnen und Kollegen, lieber Herr
Baberowski, lieber Herr Kaelble, liebe Frau Stollberg-Rilinger,
verehrter Herr Staatssekretär, heute abend als Kollege zu Ihnen zu
sprechen, mithin noch weniger als sonst den Präsidenten zu geben? Also
nur ganz kurz die Sprüchlein zu sagen, die da zu sagen sind - also dem
Sprecher und allen Teilprojektleitenden, den Mitarbeitenden namens der
Universität zu danken, daß sie eine so stolze Drittmittelsumme in die
notorisch knappen Kassen der alma mater Berolinensis gespült haben, so
viele kluge Menschen in unsere Mauern als Doktorierende und
Mitarbeitende bringen und so weiter und so fort, etc. pp.? Denn viel
lieber möchte ich zur Sache sprechen, angeregt durch die Begehung und
gelegentliche Kontakte mit Veranstaltungen und Veröffentlichungen aus
der ersten Förderperiode. Allein, ich bin Kirchenhistoriker und dies
dazu im Bereich der Antike. Es möchte also sein, daß Sie meine Gedanken
zu Ihrem Thema für eine mehr oder wenige unpassende präsidiale Zumutung
eines Dilettanten halten. Wenn dem so wäre, wäre ich Ihnen verbunden,
wenn Sie mir diesen Eindruck gelegentlich weitergeben würden - dann
würde ich selbstverständlich postwendend meine Grußworte wieder in das
normale deutsche Präsidentenformat bringen und mich in diesem Genre um
ein paar launige Worte bemühen.
Für heute also - da Sie nicht widersprechen - noch ein paar
Dilettantenbemerkungen des Althistorikers zur Frühneuzeit, zugleich ein
Tribut an Frau Stollberg-Rilinger . Seit ich das erste Mal als Student
den großen Reichssaal im Regensburger Rathaus sah, in dem seit 1594 der
Reichstag, seit 1663 als immerwährender Reichstag, tagte, frage ich
mich, warum die Schäbigkeit der Inneneinrichtung, die billigen Bänke
mit ihren ebenso billigen Filzüberzügen, Bierbänken nicht unähnlich ,
kurz: die Schäbigkeit der Reichsrepräsentation so wenig empfunden
wurde, daß man das ganze achtzehnte Jahrhundert nichts an eben dieser
schäbigen Inneneinrichtung änderte. Und - um die Beobachtungen
auszuweiten - die Kaiser in abgewetzten Gewändern krönte, mit löchrigen
Strümpfen und mit einer schief sitzenden und billig zusammengesteckten
Reichskrone. Der Grad, der Ehrwürdigkeit von Schäbigkeit trennt, ist
bekanntlich schmal. Über die kurfürstliche Repräsentation im Alten
Reich habe ich - wenn ich das kurz einflechten darf - ja bereits bei
einer Festivität des verehrten Kollegen Schilling gesprochen, so daß
ich mich heute auf dieses Feld nicht wagen muß, sondern gleich zur
conclusio kommen darf. Ich frage, warum man offenkundig nicht einmal
den Versuch einer Modernisierung der Repräsentation des Reiches
unternahm, wo man doch immer wieder einmal über Reichsreform
debattierte.
Zur Vorbereitung meines Grußwortes habe ich vorgestern mit einem
klugen Frühneuzeithistoriker, der sich insbesondere mit dem Reichstag
und der Edition seiner Akten beschäftigt, ein längeres Gespräch auf dem
Nürnberger Flughafen geführt. Und - damit mindestens einige unter Ihnen
den Kollegen zuverlässig identifizieren können - jenen Schüler von
Gerhard Oestreich gefragt, ob es wirklich keine Texte von überzeugten
Reichsständen und Freunden des Reiches gibt, in denen diese Schäbigkeit
der Reichsrepräsentation behandelt wird - Sie ahnen, daß ein schneller
Überblick über einschlägige Texte mangels einer Sammlung für den
Nichtfachmann und Dilettanten schwierig ist. Der Erlanger Kollege hat
mir bestätigt, daß Kritik an den Lächerlichkeiten der Frankfurter
Krönung, den Absonderlichkeiten eines Krönungsmahles mit abwesenden
Essern und Sättigungsgelegenheiten in Hinterzimmern immer nur von den
Kritikern angegriffen wurde. Für die überzeugten Reichsstände - und
Freunde des Reiches gab es ja, wenn wir Georg Schmidt glauben wollen,
bis zum Schluß in größerer Zahl als borussische Geschichtsschreiber und
ihre Erben uns glauben machen wollen - wirkte die Reichsrepräsentation
eben offenkundig nicht schäbig, sondern nur für die notorischen
Kritiker und Spötter. Was aber, so frage ich Sie, liebe Mitglieder des
Sonderforschungsbereiches Repräsentation, lernen wir denn aus diesem
Umgang mit der Schäbigkeit der Repräsentation? Vermutlich haben Sie
alle diese Fragen schon in der ersten Förderperiode beantwortet, aber
es wäre nett, wenn Sie mir die einschlägigen Publikationen zustellen
würden, damit ich bei meinem Grußwort zu Ihrer nächsten Verlängerung
nicht wieder so dumme Fragen stelle.
Schüchtern stelle ich eine zweite Frage, auf die mich der erwähnte
Erlanger Kollege brachte. Was bedeutet es denn für Repräsentation -
diesmal nicht des ganzen Reiches, sondern die seiner Stände - wenn im
immerwährenden Reichstag Regensburger Patrizierfamilien nicht nur
unterschiedliche Reichsstände vertraten, von ihnen Weisungen empfingen
wie noch heute die Diplomaten Weisungen ihrer Obrigkeit empfangen,
sondern auch unterschiedliche Konfessionen, unterschiedliche politische
Optionen und so fort? Wurde so die Einheit des Reiches repräsentiert,
hielt gar das Reich wegen solcher kreuzweiser Repräsentation zusammen?
Fiel es trotz mancher Auseinandersetzungen nicht auseinander? Oder war
diese besondere Repräsentation eher schon ein Zeichen des
Bedeutungsverlustes der Institution, ja des Reiches überhaupt?
Vermutlich sind Repräsentationen mindestens doppelt kodiert, mehrfach
lesbar, vielfach interpretierbar. Aber ich befürchte, daß solche
basalen - oder schärfer - trivialen Bemerkungen Sie auch nur
langweilen, weil Sie alle diese Fragen längst beantwortet, alle diese
Gedanken längst gedacht haben. Oder spätestens Frau Stollberg-Rilinger
dies tun wird . Langweilen willen ich Sie nicht. Also wünsche ich Ihrem
Sonderforschungsbereich in seiner zweiten Förderungsperiode, daß er -
wenn er meine Fragen schon beantwortet hat - noch viele neue Fragen
aufwirft, mindestens einige davon beantwortet und so viel Ergebnisse
publiziert und in die Öffentlichkeit wirft, daß auch der
vielbeschäftigte Präsident nicht überhören und überlesen kann, was da
gedacht und erforscht wird. Dann könnte ich beim nächsten Grußwort in
vier Jahren vielleicht ein paar neue Fragen aufwerfen, wenn ich dann
überhaupt noch Präsident bin und dieses Amt nicht von einem anderen
ausgeübt und die Universität anders (um das mindeste zu sagen)
repräsentiert wird.
Prof. Dr. Dr. h.c. Christoph Markschies
Präsident der Humboldt-Universität