Verlegung von 20 Stolpersteinen vor der Humboldt-Universität
Zu den bewegendsten Ereignissen meiner knapp fünfjährigen Amtszeit gehört die Verleihung von Ehrendoktortiteln an zwei jüdische Studierende, die entweder gar nicht an unserer Universität studieren durften oder aber Hals über Kopf Berlin und seine Universität verlassen mussten, um Leib und Leben zu retten. Der eine ist wohl bekannt, ein großer Journalist und Literaturkritiker vor dem Herrn, der andere wird mindestens von Freunden der Literatur gekannt; jüngst widmete ihm ein Verlag noch einmal eine schöne, zweibändige Gesamtausgabe. Und weil sie beide so schöne, so unterschiedliche und doch in manchem vergleichbare Texte geschrieben haben, seien beider Namen genannt und nicht nur angespielt: Marcel Reich-Ranicki und Hans Keilsson. Hier hatte die Universität, hier hatte ihr Präsident das große, das unverdiente, das bewegende Glück, Menschen noch die Hand schütteln zu können und ins Angesicht die Worte zu sagen, die an unserer Universität lange nicht über die Lippen kamen: Wir schämen uns. Wir bitten um Entschuldigung. Wir wollen nicht vergessen, sondern aus der Desastergeschichte unserer Universität im zwanzigsten Jahrhundert lernen.
Aber es gehört zu dieser Desastergeschichte, daß wir uns bei vielen Betroffenen nicht mehr entschuldigen können, ihnen niemals mehr die Hand drücken dürfen, weil unsere Vorfahren das Desaster mit deutscher Gründlichkeit geplant und flächendeckend durchgeführt haben, auch mit Hilfe von Professuren dieser Universität - wenn es um diese Desaster geht, will plötzlich kaum jemand Rechtsnachfolger der alten Friedrich-Wilhelms-Universität sein - bei den Nobelpreisträgern ist das schon anders. Wir stellen uns dieser Geschichte und erinnern an die, bei denen wir nicht mehr um Entschuldigung bitten können und auch nicht mehr nachholen können, was die entartete Wissenschaft versäumt hat. Insofern danke ich für die wunderbare Initiative, Biographien von einstigen, ermordeten Studierenden zu recherchieren und ihnen einen Gedenkstein zu legen, über den wir stolpern und uns so erinnern, auch wenn wir eigentlich verdrängen wollten.
Jahr für Jahr führt die Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" eine ganze Schar Studierender aus Deutschland, Israel, Österreich, Polen und Ungarn an die Humboldt-Universität, Jahr um Jahr entstehen spannende Projekte aus den Begegnungen in diesem Jahr. Das diesjährige Projekt ist besonders bemerkenswert und mir bleibt nur noch, ganz herzlich zu danken. Das Zeichen war überfällig und es hilft uns, die noch liegengeblieben Aufgaben, die uns die Geschichte dieses Hauses eigentlich in jeder Sekunde vor die Füße legt, beherzt anzupacken. Es gibt noch mehr Biographien, die erinnert werden sollten und noch viele Gelegenheiten für Stolpersteine.
Vivant sequentes, wie unsere Universitätsgründer gesagt hätten.
Prof. Dr. Dr. h.c. Christoph Markschies
Präsident der Humboldt-Universität