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Erstes Humboldt-Streitgespräch in Kooperation mit der Stiftung Mercator zum Thema "Wo soll es hingehen? Die Zukunftsthemen der Wissenschaft"

Grußwort am 3. Dezember 2009

Wozu, liebe Gäste, lieber Herr Lorentz, meine Damen und Herren, veranstaltet die Humboldt-Universität in ihrem Jubiläumsjahr in Kooperation mit der Mercator-Stiftung Streitgespräche? Wird gegenwärtig nicht schon genügend gestritten an deutschen Universitäten? Streit um die Bologna-Reform allerorten, in Berlin Streit um die Universitätspräsidenten - heute morgen die Schlagzeile im alltäglichen Berliner Wissenschaftsboulevard: "Kein Wort, kein Nicken" und es ging einmal nicht um die Präsidenten dieser Universität. Wird also, meine Damen und Herren, nicht genügend gestritten an deutschen Universitäten? Um Hilfskraftmittel, um Studierende, um Berufungen, Streit allerorten? Nun ja, erstens dürften wir uns wohl einig sein, daß über manche Dinge an deutschen Universitäten viel zu spät gestritten wird: In diesen Tagen könnte man den Eindruck bekommen, daß man sich da eine Bologna-Reform zusammenpatzerte und es zehn Jahre brauchte, bevor ordentlich darüber gestritten wurde. Fast zu spät gestritten, hoffentlich nur: fast zu spät. Und da rollen gerade wieder Hochschulreformen über die von Reformen schwer gebeutelte deutsche Universität hinweg - in Hamburg sollen Professoren demnächst bis zu vierzehn Stunden lehren, um bei gleichen Finanzmitteln noch ein paar mehr Studierende auszubilden und wahrscheinlich gibt es wieder kaum Streit über das finstere Bild vom Lehrknecht, das hinter solchen Reformvorschlägen (in Anführungsstrichen) steht. Also: Es gibt zu wenig Streit, weil es zu spät Streit um die wichtigen Dinge gibt an deutschen Hochschulen und zu viel und zu früh Streit um Nebensächlichkeiten, oft motiviert durch akademische Eitelkeiten und politischen Firlefanz, der viel zu viel Einfluß gewonnen hat, hier in Berlin und anderswo.

Und dann, meine Damen und Herren, kann man meine These, daß zu spät gestritten wird, noch weiter zuspitzen: Es wird überhaupt viel zu wenig gestritten an der deutschen Universität Humboldtscher Prägung - eine mittelalterliche Universität wie die gestern jubilierende Universität Leipzig oder gar die arme Universität in Oberitalien, deren Name nun schon zehn Jahre für einen reformbedürftigen Reformprozeß herhalten muß: diese Universitäten waren durch den permanenten, wenn auch ritualisierten Streit geprägt, Zirkulardisputationen, Promotionsdisputationen, Streitgespräche allerorten. Wer Thomas von Aquin studierenden will, kommt um seine disputatio de veritate nicht herum, Martin Luther ohne seine disputatio de homine bliebe ein Wikipedia-Luther, wahre universitas litterarum nicht würdig. Die Berliner Reformer vor zweihundert Jahren haben mit den staubigen Zöpfen der Barockuniversität auch gleich dieses wunderbare Disputationswesen abgeschafft, wir kennen das, alle paar Jahrzehnte wird irgendwo Muff in der deutschen Universität entdeckt, hübsch radikal und mit den Zöpfen fallen auch gleich ein paar Köpfe, mindestens ein paar kapitale Ideen. Und wir nehmen's hin und streiten nicht einmal darüber.

Heute wird es ganz mittelalterlich, wir disputieren geordnet unter kundiger Leitung - und indem es mittelalterlich wird, wird es ganz modern. Das ist Dialektik, an der Universität von Hegel und Marx vielleicht dann doch gar nicht so ungewohnt, man möchte es wenigstens hoffen. In den mittelalterlichen Disputationen drängte sich viel Volks, denn agonal präsentiert macht Wissenschaft deutlich besser als in langweiligen Sermonen eines einzelnen, dem niemand widersprechen kann und darf. In den mittelalterlichen Disputationen lief aber auch zusammen, was Rang und Namen hatte - und so, meine sehr verehrten Damen und Herren, halten wir das ja heute abend auch wieder: interessierte Öffentlichkeit, herzlich willkommen; Persönlichkeiten aus Politik, Kultur und Gesellschaft, dito: herzlichst willkommen. Es bedarf weniger Worte darüber, daß wir die Reihe fortsetzen, das kann nach meiner wuchtigen Eröffnung über zu späten, zu wenigen Streit über falsche Themen an der deutschen Universität ja auch kaum anders sein. Die richtigen Themen sind die Themen unserer nächsten Streitgespräche und die sind:

  • Wo soll es hingehen? Die Zukunftsthemen der Wissenschaft
  • Wie sollen wir arbeiten? Die Zukunft der Methoden (HGS Luisensaal)
  • Wer darf studieren? Die Zukunft des Studiums (Grimm-Zentrum)
  • Wie werden wir besser? Die Zukunft der Institution Hochschule (Gropius-Bau; Eröffnung Weltwissen)

Nun sind Sie gewiß eher nicht gekommen, um einen einzelnen Universitätspräsidenten über die Krise der deutschen Universität räsonieren zu hören, sondern um ein Streitgespräch zu den Wegen aus der Krise zu verfolgen. Aber Sie müssen sich, meine sehr verehrten Damen und Herren, wenigstens noch anhören, wie der Universitätspräsident dankt - neben seinen Gästen vor allem der Stiftung Mercator (namentlich Herrn Dr. Lorentz) die die Streitgespräche finanziert, aber weit mehr getan hat, als uns Geld für eine feine Idee zu geben, wie es einer guten Stiftung wohl ansteht. Vielmehr hat Elisabeth Lack, der ich ebenfalls sehr herzlich danke und die diese Veranstaltungen hier im Hause vorbereitet hat, an sehr vielen, auch inhaltlichen Punkten mit der Stiftung äußerst konstruktiv zusammengearbeitet und so wird aus stifendem mäzenatisches Handeln von großer Noblesse und Kraft. Auch dafür herzlichen Dank. Bevor ich den Ring zum Streit freigebe, darf ich aber Herrn Dr. Lorentz noch um seinen Gruß bitten.


Prof. Dr. Dr. h.c. Christoph Markschies
Präsident der Humboldt-Universität

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