Eröffnung der zweiten Periode des Sonderforschungsbereichs "Transformationen der Antike"
Grußwort des Präsidenten der Humboldt-Universität zu Berlin vom 27. November 2009
Nachdem Johannes Cassian, einer der großen spätantiken gallischen monastischen Theologen, ursprünglich aus der Dobrudscha gebürtig, lieber Herr Böhme, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Gäste, liebe Mitglieder unserer Transformationen, - nachdem also Johannes Cassian aus Marseille über neun Kapitel seiner de institutis coenobiorum et de octo principalium uitiorum remediis libri duodecim die Kleidung der ägyptischen Mönche als vorbildlich beschrieben hat, vom Gürtel des Mönchs, von seinem Kleid, der Kapuze, dem Untergewand, den Armschnüren, dem Schulterkleid, Ziegenfell und Stab samt Schuhen gehandelt hat, hält der Autor ein. Und setzt mit einem Abschnitt fort, den der deutsche Übersetzer - ein längst verstorbener Freiburger Franziskaner - überschrieben hat: "Notwendige Änderungen der Überlieferung". Darin führt Johannes Cassian aus, daß man das über die ägyptische Mönchskleidung im frostigen Gallien nur insoweit beachten müsse, "wie es zur geographischen Lage und zum örtlichen Brauch paßt". Cassian wird noch detaillierter: "Die winterliche Kälte verwehrt es uns nun, uns mit Sandalen, dem leinenen Untergewand oder nur mit einer Tunika zufrieden zu geben. Uns mit einer kleinen Kapuze zu bedecken …, würde bei denen, die uns sähen, nur Gelächter hervorrufen". Der den Gallier übersetzende Badenser überschrieb, wie gesagt, den Abschnitt mit den Worten: "Notwendige Änderungen der Überlieferung". Das steht so nicht im lateinischen Original. Ich bin mir sogar ziemlich sicher, daß dem antiken Mönchsvater die Überschrift seines franziskanischen Kollegen nicht gefallen hätte. Überlieferungen ändern wollte in der Antike kein braver Christenmensch: πρεσβυτερον κρειττον, das Ältere das Bessere ist nicht gerade ein Programm zur Runderneuerung des Überlieferungsbestandes, weder in dogmaticis noch in ethicis. Ich könnte mir aber gut vorstellen, daß Johannes Cassian die Überschrift "Transformationen der Überlieferung" gefallen hätte. Denn bei näherer Betrachtung zeigt sich, daß er ja die Kapuze, das leinene Untergewand nicht abzuschaffen gedenkt, sondern in Wahrheit nur transformiert: Die kleine Kapuze ist ein Kleidungsstück für Kinder und die gallischen Mönche tragen zwar nicht die Kapuze der Ägypter, weil es im Norden angesichts des raueren Klimas lächerlich aussieht; und dann tragen sie sie eben doch: Sie sollen kapuzenlos oder mit größerer Kapuze die ägyptische Kinderkapuze im Geiste tragen, zum Zeichen, "daß sie stets die Unschuld und Einfalt der Kinder beachten sollen".
Daß wir es hier mit Transformation der Antike zu tun haben, werden sie mir zugeben. Daß wir es mit einem besonders schönen, der Analyse werten Beispiel zu tun haben, vielleicht auch. Und eigentlich, lieber Sprecher, liebe Kolleginnen und Kollegen, müßte ich ja nun die ziselierte Terminologie unseres Sonderforschungsbereichs anwenden, um präziser zu beschreiben, inwiefern da die gallischen Mönche nun ägyptisch gekleidet sind und inwiefern nicht - aber sie verzeihen mir hoffentlich, daß ich das nun nicht tue, scherzhaft könnte ich sagen, daß die säumige Teilnahme des Präsidenten an den Veranstaltungen seines Sonderforschungsbereiches eben ihren Preis hat: Er ist terminologisch nicht restlos sattelfest. Oder liegt es daran, daß alle Historiker einen unausrottbar positivistischen Grundzug haben und er auch? Nun ja, das kann ja am Rande dieses Symposiums auch noch mit diskutiert werden.
Symposium? Im zweiten Teil seiner Institutiones handelt Cassian nach Kleidung, Psalmgebet und Fragen der - wie wir heute sagen würden - Governance eines Klosters über die acht Hauptfehler oder Hauptsünden, wie es der ausführliche lateinische Titel auch annonciert. Das hat er alles bei einem klugen ägyptischen Mönch abgeschrieben - oder, um nicht noch weiter in terminologische Unsicherheiten zu stürzen: transformiert. Und aus diesem Teil seines Werks nehme ich meine Wünsche für den Sonderforschungsbereich, präsidiale namens der ganzen Universität und professorale als Mitglied unter Hartmut Böhmes inspirierender Leitung: Ach möchte es uns doch erspart bleiben, miteinander in den kommenden Jahren Kummer und Überdruß mit den "Transformationen" zu erleben, Hochmut, eitle Ruhmsucht und Geldgier, drei mehr oder weniger für Professoren typische Todsünden, sollen uns nicht plagen - nur, meine Damen und Herren, ein wenig Freßlust darf es sein, mindestens heute abend. Ich weiß, wovon ich rede und kann mindestens die evangelischen Christenmenschen unter uns von dieser Todsünde morgen früh wieder lossprechen, wenn es denn beliebt. Aber über so ernste Dinge wie Hauptsünden sollte man vielleicht nicht tändeln und nicht so lose sprechen - was Evagrius Ponticus und Johannes Cassian beispielsweise über den Überdruß, die "Erschlaffung der Seele" schreibt, ist viel zu feinsinnig beobachtet: Der Überdrüssige kann nicht an seinem Schreibtisch bleiben, eilt ständig davon zu sinnlosen Geschäften, kocht sich einen Tee, bohrt in der Nase, telefoniert mit dem Kollegen und so weiter und so fort. Gewiß, auch diese Passage habe ich ein wenig vom Klima des ägyptischen Wüstensandes in das der märkischen Streusandbüchse transformiert, aber sei es drum.
Mir liegt vielmehr daran, in unser aller Namen Hartmut Böhme zu danken - ohne ihn ständen wir nicht hier -, seine Mitarbeiter zu preisen, Herrn Schlelein zuförderst, ohne sie wären wir nicht hier versammelt und unsere heitere, so anregende Gemeinschaft zu preisen. Ich habe dreieinhalb Jahre diese Gemeinschaft viel zu oft entbehren müssen, freue mich sehr darauf, bald wieder mehr und anders dabei zu sein und hoffe, mit meinem kleinen Grußwort eher ihre Freude darauf denn ihren Überdruß gesteigert zu haben. Vielen Dank!
Prof. Dr. Dr. h.c. Christoph Markschies
Präsident der Humboldt-Universität