Humboldt-Universität zu Berlin

Präsentation der Festschrift zum Universitätsjubiläum

Grußwort am 29.04.2010

Kluge Journalisten wie Jürgen Kaube, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben es längst geahnt: Der Kirchenhistoriker Markschies ist natürlich nur deswegen Präsident der Humboldt-Universität geworden, weil er sich als Historiker gern einmal in die Geschichte einer traditionsreichen Bildungseinrichtung einarbeiten wollte, die als Transformation jener Antike, jener antiken Bildungseinrichtungen gelten kann, die seit langem zu seinem, zu meinem Forschungsgebiet gehören. Dazu war in den letzten Monaten reichlich Gelegenheit: Da ein Vortrag über das Verhältnis der Brüder Humboldt, dort etwas zu Schleiermacher, hier ein Wörtlein zu Droysen und so weiter und so fort. Da Präsidenten in der Regel nur Grußworte halten, ist auch nie sonderlich aufgefallen, daß ich weder ein gelehrter Bildungshistoriker - wie Heinz Elmar Tenorth,  noch ein kluger Universitätshistoriker - wie Rüdiger vom Bruch - noch ein erfahrener Neuzeithistoriker - wie Dieter Langewiesche - bin. Und meine Grußworte also nicht auf jahrzehntelangen Forschungen beruhen, wie bei den genannten Kollegen, sondern vielfach auf den momentanen Eindrücken und kurzen Lektüren, zu denen das anstrengende Amt eines Universitätspräsidenten, zwischen zwei Berufungsverhandlungen, drei Baubesprechungen, fünf Krisensitzungen wegen finanzieller oder sonstiger Desasterlagen überhaupt noch Zeit läßt.

Der momentane Eindruck vermag gelegentlich zu beeindrucken. Wer im Raum unter Ihnen, verehrte Damen und Herren, weiß schon, daß im ehrwürdigen Frey-Grynaeischen Institut der Universität Basel, genauer im Zimmer des gegenwärtigen Lektors, der grün bezogene Schreibtischstuhl des armen De Wette steht, also jenes unglücklichen, wegen seines Trostbriefes für die Mutter des Kotzebue-Mörders Sand von dieser Universität vertriebenen zweiten Theologieprofessors dieser Universität? Wir alle kennen Schleiermachers und seiner Kollegen Versuche, de Wette in Berlin zu halten, Hegels Zustimmung zu der Relegation, die wie im Brennglas Mißverhältnis und Unterschiede zwischen Schleiermacher und Hegel auf den Punkt bringt - man kann es jetzt auch im heute vorzustellenden vierten Band dieser Universitätsgeschichte nachlesen; Wilhelm Gräbs Beitrag über die Theologie und damit auch über diese Zusammenhänge eröffnet, wie es sich gehört, den Reigen der disziplinorientierten Darstellungen. Um es ganz direkt zu sagen: Hier im Raum sitzen doch manche, die über diese Zusammenhänge deutlich besser Bescheid wissen, als der Kirchenhistoriker, der gerade Präsident dieser Universität ist und da helfen die anekdotischen Eindrücke, die er dann und wann oder da und dort gesammelt hat, ziemlich wenig. Und doch, meine Damen und Herren: Es kömmt ja darauf an (um ein bekanntes Diktum zu variieren), was man aus den anekdotischen Eindrücken so zu machen versteht. Wenn man auf De Wette in Basel blickt, auf seine Geschichte dort und auch auf seine Nachgeschichte - ja, dann wird wieder sehr schnell deutlich, daß die problematischen Seiten der Geschichte dieser Universität nicht erst 1933 beginnen, als die Bücher mit tatkräftiger studentischer Hilfe vor dem Haus brannten, sondern sehr früh, die liberale, hierarchiefreie Humboldtsche Universität mit ihren antiuniversitären Zügen existierte eben in weiten Partien nur auf dem Papier und - wie Dieter Langewiesche so schön wieder und wieder betont - auch ein gutes Stück als Reformmodell nur in den Köpfen derer, die von der Erfolgsgeschichte des Humboldtschen Universitätsmodells fabulierten und noch heute die entsprechenden formelhaften Monstranzen (wie die berühmte Rede von der "Einheit von Forschung und Lehre") durch die Gegend tragen. Schelsky ist nicht Humboldt; an solche schlichten Wahrheiten muß man gelegentlich erinnern.

Nur mit Bilderstürmerei kommen man ebenso wenig weiter wie nur mit Anekdoten und Eindrücken über Baseler Stühle von vertriebenen Berliner Professuren. Es muß aus solchen Lichtblitzen über dunklem Lande Geschichtsdarstellung gewonnen werden, Analyse zu Darstellung verdichtet werden. Das ist mühsam, allzumal neben dem laufenden Lehr- und Forschungsbetrieb; über Vielbeschäftigung sollten nicht nur Präsidenten klagen. Ich habe, wie schon vor Wochenfrist, erneut dem Kollegen Tenorth zu danken. Er hat konzipiert, geplant und vor allem gemahnt. Denn sonst gäbe es keinen Band, der heute vorzustellen wäre. Er hat auch redigiert, ich bezeuge, daß wir gelegentlich auch über Beiträge diskutiert haben und im Ergebnis nicht alles, was gedruckt wird, so aussieht, wie das Manuskript, das Tenorth auf den Schreibtisch und in den Computer flatterte.

Nicht jede Einsicht des letzten großen Jubiläums hat sich schon überall herumgesprochen. Ich habe das immer wieder einmal gemerkt, wenn ich in den letzten Jahren die Bedeutung Schleiermachers für die Universitätsgründung hervorgehoben habe - Kade und Lenz, so wollen wir einmal entschuldigend formulieren, sind eben antiquarisch nur schwer zu bekommen und werden auch nicht von jedem gelesen. Nun wird schon wieder ein Jubiläum gefeiert und schon wieder müssen wir von lieb gewonnenen Legenden Abschied nehmen. Jedenfalls dann, wenn der Akademieverlag sich noch entschließt, eine preiswerte Taschenbuchausgabe der vielbändigen Universitätsgeschichte aufzulegen, wobei wir ihm natürlich auch schon für die edlen festgebundenen Bände auf gutem Papier mit feinem Vorsatzblatt danken wollen, sie tragen, historisch betrachtet, den Namen der Berlin-Brandenburgischen Akademie, aber publizieren doch allerlei der großen Namen unserer Universität, aus Vergangenheit und Gegenwart.

Angesichts so vieler kluger Kollegen sollte der Historiker im Präsidentenamt nicht versuchen zu kommentieren, was er schon gelesen - oder gar: was er noch nicht gelesen - hat, auch nicht versuchen, zwischen Tenorth und Langewiesche zu schlichten, oder den Kollegen vom Bruch mit einigen ketzerischen Bemerkungen zu provozieren: Nein, meine Funktion heute war, Sie als Hausherr und, wie das so schön im Titel steht, Auftraggeber der Bände zu begrüßen und dabei, wie es sich gebührt, auch ein wenig zu unterhalten. Ein letzter Gedanke: Der Mittelweg ist schwer zu finden, zwischen einer Überbetonung der Funktion und Rolle dieser Universität für die Universitätsgeschichte und einem zeitgemäßen dekonstruktivistischen Herunterreden der eigenen Bedeutung; der Mittelweg ist schwer zu finden zwischen Denkmalszerstörung der beiden Heroen draußen vor der Tür und heroischer Vergötzung eines Dioskurenpaares romantischer Gelehrsamkeit und nachnapoleonischer Bildungspolitik. Der Mittelweg ist schwer zu finden, weil die Deutschen, die deutsche Universität und vielleicht auch die deutsche Wissenschaft so in die Extreme verliebt sind. Der Band, den wir heute präsentieren, meidet die Extreme. Wer ihn deswegen langweilig findet, hat etwas Zentrales nicht verstanden. Und auch deswegen danke ich denen, die ihn neben Heinz-Elmar Tenorth zu Wege gebracht und mit klugen Texten versehen haben, namens der Universität.


Prof. Dr. Dr. h.c. Christoph Markschies
Präsident der Humboldt-Universität