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Ansprache zur Verleihung des Bundesverdienstkreuzes am Bande an Werner Bab am 16.5.2006

Frau Staatssekretärin,
verehrte Kolleginnen und Kollegen,
liebe Studierende, meine Damen und Herren,
vor allem aber: verehrter, lieber Herr Bab,

die DVD „Zeitabschnitte“, die unser Student Christian Ender produziert hat und die ein Gespräch über die dunkelste Periode im Leben von Werner Bab enthält, zeigt zu Beginn einen idyllischen Teich. Der Teich ist nicht sehr groß, man könnte ihn Tümpel nennen und die Vögel zwitschern. Der Teich liegt in einer frischen, grünen Landschaft und ist vom Bäumen gesammelt, eben eine recht idyllische Landschaft. Einige unter uns, meine sehr verehrten Damen und Herren, werden diesen Teich aber kennen und zögern, die Landschaft idyllisch zu nennen. Der Teich liegt hinter der berüchtigten Rampe und den Ruinen der gesprengten Krematorien des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau und war der Ort, in die die Asche der vergasten und verbrannten Opfer gekippt wurde. Für mich gehört der Teich am Ende dieses perfekt organisierten Sackbahnhofes des Todes – nichts anderes ist das Lager Auschwitz-Birkenau – zu den fürchterlichsten Erfahrungen meines Lebens. Der Teich liegt idyllisch, gerade wie im Film von Christian Ender, und ist doch in Wahrheit gar kein Tümpel wie jeder andere, sondern ein schrecklicher Friedhof. Ich bin seinerzeit den Weg vom Tor über die Rampe hin zu den Resten des Krematoriums und dann hin zum Teich gelaufen und habe mich wieder und wieder gefragt, warum die Natur nicht schreit, sondern die Vögel zwitschern, warum Ordnung und Präzision nicht lauthals dagegen protestieren, daß und wie sie hier für den Massenmord in Anspruch genommen worden sind, für einen Sackbahnhof, der vor allem dazu dient, möglichst schnell möglichst viele Menschen umzubringen.

Der scheinbar so idyllische Teich von Auschwitz-Birkenau ist in Wahrheit wahrscheinlich der gräßlichste Teich, den es auf dieser Erde überhaupt gibt. Wer nur sein Bild sieht, kann sich gewaltig täuschen. Von den Krematorien vor dem Teich sind nur die Fundamente und ein paar aufragende Mauern geblieben, Schornsteine und Wände haben die Wachmannschaften vor dem Abzug gesprengt. Wer nur die Trümmer sieht, kann sich gewaltig täuschen. Meine Generation der Nachgeborenen, verehrte Damen und Herren, kann sich gewaltig täuschen, denn die Steine von Auschwitz schreien nicht, sondern bleiben dem stumm, der nichts weiß – und deswegen ist es so wichtig, daß Überlebende dieser Hölle auf Erden erzählen und ihre Erzählungen in Wort und Bild festgehalten sind. Christian Ender, ein Student des kulturwissenschaftlichen Seminars, hat den erwähnten Film „Zeitabschnitte“ produziert, in dem Werner Bab von seinem Aufenthalt im Stammlager Auschwitz erzählt, vom Todesmarsch, den Erlebnissen in Mauthausen und bei der Befreiung durch die Amerikaner. Durch die Bilder, mit denen Christian Ender die Erinnerungen von Werner Bab unterlegt hat, wird deutlich, daß der scheinbar so idyllische Teich der Titelei ein Friedhof ist – mitten im Film sieht man ihn wieder und im Vordergrund stehen nun plötzlich drei Grabsteine aus Granit. Mich hat die allmähliche Entlarvung der Idylle durch die Einstellungen dieses Films äußerst stark beeindruckt – ein weiteres Beispiel: ein Panjewagen fährt über ein Sträßlein im Morgennebel und plötzlich schwenkt die Kamera nicht mehr auf die dichten, buschigen Gräser und die Nebelschwaden, sondern auf die Wachtürme des Lagers und den todbringenden elektrischen Zaun. Noch beeindruckender aber sind die Erzählungen von Werner Bab, die der Film von Christian Ender im Grunde nur sehr sparsam bebildert. Zumeist sitzt Bab in einem Lehnstuhl und erzählt – Frau Staatssekretärin Kisseler wird ihn nachher eigenes würdigen, so daß ich mich auf einen einzigen Eindruck beschränken kann – einen schauerlichen Eindruck der tiefen Ambivalenz von Bürokratie, die einem dieser Film unabweisbar aufnötigt. Die deutsche Bürokratie hat Werner Bab in ein Konzentrationslager gebracht, in einem Eisenbahnwagen ins besetzte Polen transportiert, von der Rampe in das Stammlager eingewiesen und ihm eine Nummer eintätowiert. Sie hat aber auch verhindert, daß er eben einmal schnell an einem Sonntag erschossen wurde – Sonntags war, wie Herr Bab im Film ungerührt erklärt, eben in Berlin niemand in den Büros, um die Hinrichtung eines Schutzhäftlings zu bestätigen.

Ihre Lebenserinnerungen, lieber Herr Bab, und der Film, den Christian Ender darüber produziert hat, zeigen äußert eindrücklich, wie bedroht alle Errungenschaften unserer Zivilgesellschaft sind und wie schnell der Abgrund aufreißen kann: Eine Eisenbahnverwaltung organisiert den Massenmord, eine Bürokratie verwaltet den millionenfachen Tod und eine scheinbare Idylle mitten in Polen kaschiert das ungeheuere Verbrechen und fort sind alle mühsam erkämpften Errungenschaften einer jungen Republik und ihrer ach so vorbildlichen Reichsverfassung. Sie, lieber Herr Bab, erzählen – und wo Sie nicht erzählen, sprechen Sie durch den Film von Herrn Ender. Wir brauchen solche Erinnerungen, gerade an der Humboldt-Universität. Ich trage die seit meiner Inauguration im Februar die alte Rektorenkette der Friedrich-Wilhelms-Universität aus dem Jahre 1817, nicht nur, um die Kontinuitäten unserer Einrichtung zu den hellen und berühmten Phasen der Geschichte der alma mater Berolinensis sichtbar zu machen, sondern auch, um unsere Verantwortung für die dunklen Perioden öffentlich sichtbar zu dokumentieren. Diese Universität war tief in den nationalsozialistischen Unrechtsstaat verwickelt. Sie hat willfährig ihre jüdischen Professoren entlassen, politisch mißliebige Dozenten und Studenten entfernt oder vom Studium ausgeschlossen. Hier an dieser Universität wurde der sogenannte „Generalplan Ost“ mit vorbereitet, die bürokratische Organisation der Umsiedlung und Vernichtung der polnischen Landbevölkerung und die Germanisierung der so „entvölkerten“ Landstriche. Mir liegt als Präsident der Humboldt-Universität daran, daß die eher zögerliche Erforschung der Verwicklung unserer Universität in den nationalsozialistischen Unrechtsstaat im Vorfeld unseres zweihundertjährigen Jubiläums mit aller Entschlossenheit vorangetrieben wird und zugleich eine angemessene Form öffentlichen Gedenkens und öffentlicher Erinnerung gefunden wird. Um so glücklicher bin ich darüber, daß die Auszeichnung von Herrn Bab durch die Staatssekretärin im Senatssaal dieser Universität stattfindet und auf diese Weise der ganzen Universität ein Beispiel gelungener Erinnerungskultur zur Nachahmung präsentiert wird.

Ich gratuliere Ihnen, lieber Herr Bab, zu dieser Auszeichnung, beglückwünsche unsere Universität und ihr kulturwissenschaftliches Seminar zu ihrem Studenten Christian Ender. Sie beide halten uns schreckliche Erinnerungen wach und präsent, die verhindern, daß wir unsere Zivilgesellschaft mitsamt ihren Grundrechten in scheinbarer Idylle und angeblich perfekt organisierter Bürokratie einfach tatenlos verlorengehen lassen. Und dafür sind wir Ihnen beiden tiefen Dank schuldig.

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